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Der Weg der Tomate

Dem Status quo misstrauen: Um kritisch-analytische Perspektiven auf die Globalisierung von Nahrung und Nachrichten geht es der Ausstellung „Bankett – Metabolismus und Kommunikation“ im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie

von TILMAN BAUMGÄRTEL

Der Besitzer der Plantage ist ein Japaner, aber angebaut wurde die Tomate in Brasilien. Sie wurde geerntet, verkauft und, da sie verdorben war, in den Müll geworfen. Aus dem Abfall wird Schweinefutter gemacht. Was die Schweine nicht fressen, wandert auf eine Müllkippe mit dem lyrischen Namen „Ilha das Flores“ („Insel der Blumen“). Dort stehen schon die Ärmsten der Armen am Eingang Schlange, um für zehn Minuten im Abfall nach essbaren Nahrungsresten zu suchen. Das Schweinefleisch wird unterdessen zum großen Fressen nach Europa verkauft.

Es ist eine ebenso simple wie erschreckende Geschichte, die Jorge Furtado in seinem Kurzfilm „Ilha das Flores“ erzählt. Doch die Dokumentation fasst das vielschichtige Thema der Ausstellung „Bankett“, die zur Zeit am Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe zu sehen ist, vielleicht am besten zusammen: Es geht um das Verhältnis von Ernährung und Globalisierung, von Kommunikations- und Nahrungskreislauf. Eine Ausstellung mit diesem Thema und dem nicht gerade elektrisierenden Untertitel „Metabolismus und Kommunikation“ – das wirkt auf dem Papier wie eine pulvertrockene Angelegenheit. Doch tatsächlich ist „Bankett“ eine der ungewöhnlichsten Ausstellungen der letzten Zeit, die – frei von jeder Didaktik – ihre Besucher mit überraschenden Kombinationen von Kunstwerken immer wieder aufs Neue verblüfft.

Der Metabolismus ist der Stoffwechsel im menschlichen Körper, doch die Ausstellung, die von Karin Ohlenschläger, Luis Rico, Ivan de la Neuz, Sabine Himmelsbach und ZKM-Chef Peter Weibel kuratiert wurde, überträgt den Begriff als Metapher in die Bereiche Biologie, Sozioökonomie und Information. So sollen wir in den Stand gesetzt werden, „die Muster und Prozesse zu verstehen, welche die globalen Ströme von Materie, Energie und Information dirigieren“, wie es in der Ankündigung der Ausstellung heißt. So zeichnet „Bankett“ ein ungewöhnliches und assoziatives Bild unserer Gesellschaft, die in zunehmendem Maß auf Strömen von Kapital, Information, Technologie, Bildern, Tönen und Symbolen beruht, aber eben auch von Kiwis aus Neuseeland und Schweinefleisch aus Südamerika. Die gemeinsam geteilten Tische, die Daniel Spoerri mit seinen fixierten Resten von Mahlzeiten zelebriert, könnten als die symbolischen Schnittpunkte dieser gigantischen Netzwerke gesehen werden. Dies suggeriert zumindest Paul Sermon mit seiner telematischen, interaktiven Installation „The Table Turned“, bei der Ausstellungsbesucher an drei Tischen Platz nehmen können, die sich in drei verschiedenen Ausstellungsräumen befinden. Auf dem Monitor des jeweiligen Tisches finden sie sich dann an einem gemeinsamen, virtuellen Tisch wieder.

Weil die Schau, die nach der Station in Karlsruhe noch in Madrid gezeigt wird, das Essen zum Aufhänger für ihre Argumentation macht, kann sie das abstrakte Thema der Globalisierung, das sich seiner Ausstellbarkeit sonst regelmäßig entzieht, sinnlich wahrnehmbar machen. Nicht fehlen dürfen dabei natürlich Künstler, denen es gelungen ist, ihr persönliches Regressionsbedürfnis zum Kunstschaffen zu adeln. Dazu gehören unter anderem Jason Rhoades und Paul McCarthy, die – witzig, witzig – den Kot aus Dixi-Toiletten, die bei der documenta aufgestellt waren, mit Babyöl vermischt und in elegant geformte Flaschen abgefüllt haben, die nun auf dem Kunstmarkt angeboten werden – eine traurige Neuauflage von Piero Manzonis eingedoster „Merde d’Artiste“, die hier natürlich auch nicht fehlen darf.

Glücklicherweise übergeht die Ausstellung sonst die zahlreichen Fäkalschmierereien, mit denen die Kunst des 20. Jahrhunderts reich gesegnet war, und legt den Schwerpunkt auf analytischere Arbeiten, die sich mit dem globalen Nahrungs- und Kommunikationskreislauf beschäftigen. Dazu gehören die Arbeiten von Peter Fend und Ingo Günther, die sich schon mit Globalisierungsphänomenen beschäftigt hatten, lange bevor es eine intellektuelle Mode wurde. Peter Fend befasst sich in einer utopischen Installation mit der Aufzucht von Riesenalgen, die er als erneuerbare Energie- und Nahrungsquellen nutzen will. Er ist nicht der einzige Künstler, der mit seinen nur scheinbar naiven Gegenvorschlägen zum globalen Raubbau den Status quo in Frage stellt: Die Kartoffeln, die der Argentinier Victor Grippo 1977 zur Energiequelle erklärte und an Elektroden anschloss, oder die Esstische aus recyceltem Kunststoff, die Dan Petermann entwickelt hat (nur in Madrid zu sehen), sind – gerade weil ihnen eine gewisse Hilflosigkeit anhaftet – anrührende Erinnerungen daran, dass es auch anders ginge.

Bis zum 24. August; Information unter www.banquete.org

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