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Vorsätzliches Dauerelend

Mit der Stiftung Berufliche Bildung wickelt der Senat Hamburgs letzten Bildungsträger für benachteiligte Jobsuchende ab. Umschüler bangen um Abschlüsse. Krisengespräch mit Behörde

„Durch ihr Spardiktat belässt die Behörde Tausende Menschen planmäßig in der Dauerarbeitslosigkeit“

Von EVA WEIKERT

Eigentlich hatte er das Gros schon geschafft: Seit zwei Jahren lernt Matthias Maul das Handwerk des Anlagenmechanikers, im nächsten Juni will er die Abschlussprüfung machen. Doch kurz vor dem Ziel droht der berufliche Traum des 41-Jährigen jetzt zu zerplatzen: Der Hamburger Rechts-Senat stellt seine Zuwendungen an Mauls Ausbilder, die Stifung Berufliche Bildung (SBB), zum Jahresende ein, so dass der Abschluss des Umschülers gefährdet ist. Maul: „Hier herrscht große Verunsicherung.“

Dass die Stadt gerade der SBB den Geldhahn zudreht, „verstehe ich nicht“, ärgert sich Maul. Denn mit der SBB stürbe in Hamburg der mittlerweile letzte Weiterbildungsträger von niedrigschwelligen Qualifizierungsangeboten für benachteiligte Jobsuchende. Die rund 3.000 Teilnehmer, welche die SBB in ihren zwei Haupthäusern in Hamm und einigen Außenstellen jährlich in Berufsvorbereitungskursen und Umschulungen qualifiziert, können keinen Berufs- oder Schulabschluss vorweisen oder sind als Langzeitarbeitlose, MigrantInnen oder Suchtgefährdete auf dem engen Arbeitsmarkt ohnehin gehandikapt. Stiftungschef Thomas Knoche: „Das sind die Schwächsten der Schwachen.“

Umschüler Maul sagt: „Die SBB hat mir aus einer Notsituation geholfen.“ Jahrelang hat der angehende Handwerker als Sachbearbeiter im Büro gearbeitet. „Das war nichts für mich, da bin ich krank geworden“, berichtet Maul, der seinen alten Job in einer großen Versicherung wegen einer Depression aufgeben musste. „Bei der SBB haben die mein Selbstbewusstsein wieder aufgebaut“, so Maul, „in einer normalen Gewerbeschule hätte ich diese Unterstützung nicht bekommen.“ Klappt es noch mit dem Abschluss, „kann ich mich wieder mit breiter Brust auf dem 1. Arbeitsmarkt verkaufen“.

Zu verdanken hat Maul dies „der Kernkompetenz“ der SBB, wie Vorstand Knoche erklärt. Als die Einrichtung vor 20 Jahren entstand, „gab es in der Republik für unsere Klientel faktisch keine berufliche Qualifizierung“, berichtet er. Als erster Träger bundesweit habe die Hamburger Einrichtung damals Bildungselemente für benachteiligte Erwachsene entwickelt. Knoche: „Das war Pionierarbeit.“

Zu den Elementen, von denen der Stiftungschef spricht, gehören neben der fachlichen Ausbildung in den Metall- und Elektrowerkstätten vor allem die persönliche Beratung zur Berufsorientierung, das Ausloten von Schlüsselkompetenzen und das Trainieren von Lernfähigkeiten. „Immer mit dem obersten Ziel“, so Knoche, „der Integration in den Arbeitsmarkt.“ Dass die SBB dabei erfolgreich ist, belegen ihre Vermittlungsquoten: So finden Knoche zufolge 70 Prozent der Umschüler nach Abschluss einen festen Job.

Eine feste Anstellung als Friseurin ist das Ziel von Tawakkul, einer 23-jährigen Afghanin, die ohne Berufsausbildung nach Deutschland gekommen ist. Die anerkannte Asylbewerberin verbessert ihre Deutschkenntnisse und übt Bewerbungsgespräche im SBB-Berufsvorbereitungskurs. „Wenn es die bald nicht mehr gibt, wird es für Migranten in Hamburg noch schwerer, sich zu etablieren“, sagt sie. „Die SBB ist für mich eine Chance.“

Dass die verantwortliche Bildungsbehörde durch ihr Spardiktat künftig Tausende benachteiligte Erwerbslose „planmäßig in der Dauerarbeitslosigkeit belässt, ist ein Unding“, empört sich eine Mitarbeiterin, die nur Barbara T. genannt werden will. Sie moniert, es „ist wirtschaftlich unklug und menschlich unverantwortlich, das Potenzial dieser Leute brachliegen zu lassen“.

Auch Barbara T. und ihre 70 Kollegen drohen bald auf der Straße zu stehen, wenn Chef Knoche die verantwortliche Senatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos) nicht umstimmen kann. Knoche ist überzeugt, dass sich der Senat die vor einem Monat angekündigte Einstellung seines kompletten Zuschusses von 3,9 Millionen Euro gar nicht leisten kann, und verweist auf das neue Arbeitsmarktgesetz Hartz IV. Mit dem Gesetz, das ab Januar 2005 gilt, werden die Gruppen der Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfänger zusammengelegt zu Empfängern des Arbeitslosengeldes II (ALG II). Und weil nach Hartz IV künftig auch alle arbeitsfähigen Sozialhilfeempfänger Qualifizierungsmaßnahmen wie berufliche Weiterbildung genießen sollen, erhöht sich 2005 nach Berechnung der Bundesanstalt für Arbeit die Zahl der Förderungswürdigen um bundesweit fünf Millionen. „Auf Hamburg kommen 130.000 ALG-II-Bezieher zu“, sagt Knoche, „wir fragen uns, wie der Senat dem gesetzlichen Auftrag, diese Menschen beruflich zu integrieren, nachkommen will, wenn er anerkannten Weiterbildungsträgern die Mittel streicht.“

Knoche will Senatorin Dinges-Dierig jetzt überzeugen, zur Umsetzung von Hartz IV die „Erfahrungen der SBB zu nutzen“. Ein Gespräch ist schon terminiert.

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