: Pfeffersäcke zu Kieskörnern
Wo Pflanzen ranken und die Wäsche trocknet: Hausgärten und begrünte Dachterrassen sind en vogue. In Berlin ist die wohlhabende Klientel, die es sich leisten kann, Gartenarchitekten mit der Umgestaltung zu beauftragen, allerdings rar gesät
von MICHAEL KASISKE
„My home is my castle“, lautet eine Redensart. Mittlerweile muss man zweifelsohne auch die eigenen Flecken Grün dazuzählen. Ob ein Garten ums Haus, die Terrasse, der Balkon, ein Platz im Schrebergarten – der von Sammeln und Jagen entfremdete Städter sucht wieder Refugien, die ihn mit der natürlichen Umwelt verknüpfen. Der Kultivierung dieser Neigung hat sich ein eigener Berufsstand verschrieben: die Gartenarchitekten.
Nur 47 Quadratmeter misst die Dachterrasse in Charlottenburg, die Christiane Schwarz nach dem Vorbild japanischer Zengärten entworfen hat. Die so genannten „karesansui“ oder Trockengärten werden weniger durch üppige Pracht als durch einige markante Elemente charakterisiert, was denn auch an diesem Ort genug Raum ließ, um alltägliche Dinge wie Wäschetrocknen, aber auch abendliche Mahle unter freiem Himmel zu bewerkstelligen.
Wenn man auf Bildern den vormals vollkommen mit Platten versiegelten Außenraum mit dem aktuellen Zustand vergleicht, scheint das Paradies Einzug gehalten zu haben. Die Aufmerksamkeit wird gefangen genommen von einer solitär aufragenden Kiefer, von porösen Grottensteinen, einer Statue oder den Details der reizvollen Blattstrukturen, wenn beispielsweise teppichartig geschlossene, dickblättrige Rhododendren neben elegant schmalblättrigen Gräsern stehen.
Vielfältige Materialien
Die Dachterrasse ist in einen Miniaturgarten im Süden, einen Sitzplatz im Zentrum nahe der Wohnräume und den großen Garten im Norden eingeteilt. Neben den Pflanzen sorgen die Materialien Travertin, Kies und Erde für ein vielgestaltiges Aussehen der Fläche, die sich in der Vertikalen durch Bambuszäune und hölzerne Pflanztröge fortsetzt. Die ehedem unansehnliche Wand zum Nachbarhaus erhielt eine Zierleiste aus Holz, an der Hanfseile das Ranken immergrüner Pflanzen unterstützen.
Obwohl die Anlage einiges kostete, muss Schwarz resümieren, „dass ein Gartengestalter von solchen kleinen Aufträgen nicht leben kann“. Allein die Suche nach geeigneten Pflanzen erfordere viel Zeit, „erst recht, wenn sie zum Blickfang werden sollen, wie in diesem Garten die Kiefer“, so Schwarz. Auch sind die Vorstellungen der Klienten oft an Images geknüpft und es bedarf der zeitaufwändigen Einfühlung, den Bedürfnissen der Nutzer Gestalt zu geben.
Leider werden Gartenarchitekten zu selten konsultiert, wenn es darum geht, den meist beschränkten individuellen Freiraum gleichermaßen gut in nützlicher wie ästhetischer Hinsicht zu gestalten. Das war für die Bauherren bis in die 1950er-Jahre hinein keine Frage. Zahlreiche Beispiele lassen sich aufführen, von denen das bekannteste in der näheren Umgebung wohl der Stein- und Senkgarten des Karl Foerster in Bornim bei Potsdam ist. Von Herta Hammerbacher und Hermann Mattern ließ sich der Staudenzüchter den Garten als eine Art Ausstellungsort für seine Pflanzen entwerfen. Das kleine Anwesen überrascht immer wieder durch die Dichte der Pflanzen, wobei ihre versierte Setzung verhindert, dass nebeneinander stehende Pflanzen zur gleichen Zeit blühen.
Gibt es denn neuzeitliche Hausgärten in Berlin? „Wir befinden uns nicht in Hamburg, München oder gar am Starnberger See“, lacht Martin Rein-Cano, „dort gibt es eine wohlhabende Klientel, die ihre Gärten von Landschaftsarchitekten gestalten lässt.“ Ob freilich das erfolgreiche Büro Topotek 1 von Rein-Cano und Lorenz Dexler in den Genuss eines solchen Auftrags käme, mag angesichts in der Regel wertkonservativ gesinnter „Pfeffersäcke“ oder Seeanrainer bezweifelt werden.
Losgelöste Symbole
Bei der Gestaltung des eigenen, zum Büro gehörenden Dachgartens in Berlins Mitte verzichteten die beiden jedenfalls auf Pflanzen. Hier stand vielmehr das Herauslösen von Symbolen aus ihrem üblichen Kontext im Vordergrund. Aus vorgefertigter Folie für den Fahrbahnbau wurden in einer spontanen Aktion Markierungen auf die Dachpappe aufgebracht, die lediglich der Lage unter freiem Himmel und dem Fernsehturm als Orientierungspunkt gehorchten. Wie die aus der Urzeit stammenden Piktogramme an Hängen Südenglands oder wie in barocken Parterres überhöhen die Zeichen das Areal und geben dem inzwischen auch mit einer Parkbank ausgestatteten Rückzugsort seine eigene Prägung.
Gemäß dem schon im Namen enthaltenen Faible für Oberflächen lag das Augenmerk von Topotek 1 auch bei einer Terrasse am Hackeschen Markt mehr auf dem Material als auf der Bepflanzung. In diesem konkreten Fall kontrastieren das Holz der Sitzbänke und die verschieden gekörnten Kiessorten als Bodenbeläge mit den glänzenden Brüstungen aus poliertem Edelstahl und Glas. Ein schmaler Streifen immergrüner Hecken soll bald das Glas verdecken und damit den kreisrunden Tisch, in dessen Oberfläche sich die Wolken spiegeln, noch mehr in den Mittelpunkt rücken.
Ein Hausgarten jüngeren Datums im klassischen Sinn wurde am Wannsee gefunden. Regina Poly gestaltete auf der Rückseite einer neu errichteten Villa den Übergang zwischen Land und Wasser, auf der anderen einen Vorgarten. Die finanzielle Potenz des Bauherrn erlaubte die großzügige Anlage einer Bastion als „Seebalkon“ am Ufer sowie einer Freitreppe zum Wasser, die durch ihre kubischen Formen und die Granitverkleidung wuchtig in Erscheinung treten. Die tektonische Gestaltung erinnert an die ursprüngliche Ausbildung Polys als Architektin. Zwischen See und Haus spannt sich eine weite Rasenfläche auf, die als Display für Skulpturen dient. Die übrige Uferkante erhielt eine Steinschüttung, die mit der Zeit überwuchert wird.
Solch üppige Aufträge sind allerdings rar, auch für etablierte Landschaftsgestalter. So liegt das Augenmerk vorrangig auf Dachgärten, für die es immerhin – wie der Blick über die Berliner Dachlandschaft zeigt – große Potenziale gibt. Und als „Weltfassade“, also als Berührungspunkt zwischen Mensch und Universum, sind sie ein spannendes Betätigungsfeld.
Christiane Schwarz, Tel. 4 64 47 09, schwarzc@tu-cottbus.de; Topotek 1, Tel. 2 83 52 47, www.topotek1.de; Regina Poly, Tel. 8 82 35 72, www.regina-poly.de; Ausflugstipp: Stein- und Senkgarten von Karl Foerster, Am Raubfang 6, Potsdam-Bornim, täglich geöffnet von 9 Uhr bis Sonnenuntergang
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