: „Nur einfach gegen die USA zu sein ist unpolitisch und bequem“
Die Soziologin Karin Priester meint, dass die Deutschen ihre Kritik an den USA Punkt für Punkt überprüfen müssen. Viele Grüne seien auf der Tagung aber zu US-freundlich gewesen
taz: Frau Priester, was haben Sie gelernt bei dieser Veranstaltung?
Karin Priester: Die Grünen scheinen mir sehr auf der Suche zu sein.
War die Veranstaltung nicht überraschend US-freundlich und milde?
Ja, den Eindruck hatte ich auch. Manche scheinen sich hinter der Vaterfigur Joschka Fischer zu verstecken. Bei Gesprächen mit Zuhörern in den Pausen fiel mir auf, dass sich viele nicht gemeldet haben mit viel kritischem Potenzial. Die haben sich nicht getraut. Da hat es nicht gezündet.
Sind Sie antiamerikanisch?
Nein, überhaupt nicht.
Und Sie haben deshalb auch kein Verständnis für den Antiamerikanismus vieler deutscher Linker?
Doch, habe ich, unbedingt. Man kann gegen Amerika als System einiges sagen, ganz klar. Die USA sind der Inbegriff des Kapitalismus. Aber wir sind genauso kapitalistisch. Gegen viele Dinge kann man etwas haben: Rassismus, den Waffenfetischismus, die Klimapolitik, nicht zuletzt die Außenpolitik. Ich habe hier bei den Grünen vermisst, dass man das mal beim Namen nennt. Andererseits: undifferenziertes Projizieren aus einem Unbehagen mit sich selbst heraus ist schlimm und falsch.
Der Antiamerikanismus dient den Deutschen demnach als Blitzableiter?
Ja. Es ist eine spezifisch deutsche Verarbeitung der NS-Vergangenheit. Daraus folgte dieses „Nie wieder Krieg“, man richtete sich bequem ein hinter dem Schirm der USA. Man ließ sich von diesem schützen. Man wollte sich nie mehr die Finger schmutzig machen. Das ist seit 1989 nicht mehr möglich. Jetzt muss man lernen, mit der neuen Situation umzugehen. Allerdings nicht mit der Merkel-Linie: Wir bleiben treue Vasallen der USA.
Was verstehen Sie unter differenziertem Antiamerikanismus? War die Antihaltung beim Irakkrieg nicht richtig?
Ja, schon. Aber man muss fragen, wogegen ist man genau? Pauschale Urteile sind ohne Perspektive. Wir müssen unser USA-Bild Punkt für Punkt durchgehen.
Sie meinen also: Wenn die USA nach dem Ende des Sozialismus neue Feindbilder brauchen, um sich im Innern zu stabilisieren, dann machen es sich viele einfach und sagen: Da muss man ja antiamerikanisch sein!
Natürlich. Irak war koloniale Landnahme, Imperialismus. Aber nur dagegen zu sein ist unpolitisch und bequem. Was dann? Eine europäische Achse andenken …
Eine Achse des Guten?
Meinetwegen. Aber eine Achse Paris–Berlin–Moskau, vielleicht noch Japan, ist sehr schwer vorzustellen und hat zudem eine sehr rechtslastige Tradition.
Und im Alltag? Darf man als Linker Cola trinken?
Ja, sicher. Alles andere ist albern. Das ist ein alter bildungsbürgerlicher Reflex. Dass die USA ein kulturloses Land seien.
Ein Teilnehmer hier hat gestern stolz erzählt: Ich war im Leben nie bei McDonald’s. Das ist für ihn ein politischer Akt.
Das gönn ich ihm. Aber es ist überheblich und töricht. Wir essen ja auch alle so gern italienisch. Pizza und Nudeln sind auch Massenprodukte. INTERVIEW: BERND MÜLLENDER
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