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Was kommt aus deinem Horn heraus

Selbst die Augenbrauen zucken im Takt. Die Filmfestspiele von Locarno widmen ihre Retrospektive in diesem Jahr dem Jazz im Kino. Die Dokumentar-, Spiel- und Kurzfilme machen eines deutlich: Die Geschichte des Jazz ist auch eine Geschichte von versagter Anerkennung, Ausbeutung und Einschränkung

Der frühe Zeichentrickfim hat das Wesen des Jazz am besten verstanden

von ANKE LEWEKE

Der Jazz steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Das Lächeln, die Mimik, alles ist Rhythmus, selbst die Augenbrauen zucken im Takt. Detailaufnahmen zeigen Hände, die wie im Zeitraffer über die Tasten flitzen. Wenn die Kamera hochfährt, erfasst sie ein schwarzes Musiktrio, das mit sich und der Musik völlig verschmolzen ist. Der amerikanische Kurzfilm „Boogie Woogie Dream“ aus dem Jahre 1941 erzählt die Geschichte dreier Tellerwäscher, die davon träumen, Karriere als Musiker zu machen. Erst nachdem der letzte Gast das schicke New Yorker Restaurant verlassen hat, trauen sie sich aus der Küche und nehmen die Instrumente wie in Trance in Besitz. Während sich die beiden Männer ans Klavier setzen, greift die Frau zum Mikro und stimmt „Unlucky Woman“ an. Ihr langsamer Hüftschwung groovt mit der Melancholie des Songs, während im Hintergrund eine imaginäre Big Band den Rhythmus übernimmt.

Eigentlich will Hans Burgers feierabendliche Jamsession eine Hommage an die Spielfreude farbiger Jazzer sein und ihre entfesselte Musikalität feiern. Und doch erzählt auch dieses eigentlich harmlose Barfilmchen mehr oder weniger unfreiwillig von Grenzsetzung, Einschränkung, Diskriminierung. Ein perfides Happyend, bei dem das anrührende Trio strahlend sein erstes Engagement ergattert, steht stellvertretend für das Schicksal und die Biografie vieler schwarzer Jazzkünstler: Es ist ein verknöcherter weißer Produzent samt blonder Gefährtin, der die begabten Musiker unter Vertrag nimmt, sie letztlich einen Pakt mit dem Teufel unterzeichnen lässt.

„All that Jazz“, die Retrospektive des gestern eröffneten Filmfestivals von Locarno, erzählt immer wieder die Geschichte der kommerziellen wie künstlerischen Ausbeutung schwarzer Künstler in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie. Charlie Mingus, Thelonious Monk, Duke Ellington und andere Jazzgrößen kommen in Locarno in Dokumentarfilmen zu Wort, immer wieder geht es um ihre Schwierigkeiten innerhalb der von weißen dominierten Entertainmentindustrie, immer wieder ist von Knebelverträgen, Missachtung und Ausnutzung die Rede. Gelassen reflektiert etwa Mingus in Thomas Reichmanns Porträtfilm vor laufender Kamera sein Dasein als schwarzer Musiker, während hinter ihm die Wohnung zwangsgeräumt wird, da er die Miete nicht mehr bezahlen kann. Ganz beiläufig erzählt Clint Eastwood in „Bird“ von den alltäglichen Strapazen und Unannehmlichkeiten, die Charlie Parker auf sich nahm, um überhaupt spielen zu können. Zusammen mit seinen Mitstreitern wurde er auf Konzertreisen in den abgerissensten Hotels mit quietschenden Betten und voller Ungeziefer untergebracht.

Immer wieder führt die Retrospektive buchstäblich in den Keller. In die dunklen, feuchten Untergeschosse, wo die Mieten erschwinglich waren, wo die Karrieren von Cab Calloway, Duke Ellington, Ella Fitzgerald und so vieler anderer begannen, und wo sich ein neues schwarzes Selbstbewusstsein bildete. In den so genannten Roaring Twenties blies einem im New Yorker Stadtteil Harlem selbst aus dem letzten Loch die Aufbruchstimmung entgegen. Eine sinnliche Lebensfreude und eine bis dato kaum genutzte Kreativität durchdrangen die Musik. Sie wurde Ausdruck einer historischen Trauer und einer ungeheuren Wut angesichts jahrhundertelanger Unterdrückung. „Wenn du es nicht erlebt hast, kommt es nicht aus deinem Horn heraus.“ So brachte Charlie Parker einmal den Jazz auf den Punkt. Ein Erleben, das immer wieder überhört werden sollte. Die Geschichte des Jazz ist die Geschichte eines Lebensgefühls, das ausgestellt und dabei zugleich domestiziert wurde. Um salonfähig zu werden, musste sich das neue schwarze Selbstverständnis immer wieder zurechtstutzen lassen.

Ein wahres Juwel der Reihe ist „St. Louis Blues“ von 1929, enthält er doch die einzigen Filmaufnahmen der legendären Sängerin Bessie Smith. Dudley Murphys Kurzfilm versteht sich als Verneigung vor der „Empress of the Blues“ und der noch jungen Kunstform. Wenn sich Bessie Smith ein Bier hinter die Binde kippt und dabei Leid und Trauer über ihre unglückliche Liebe in einem Song ausschüttet, dann scheint ihr Gesang aus dem tiefsten Inneren einer geschundenen Seele zu kommen, dann ist ihr wuchtiger wogender Körper ein einziger Blues. Bessie Smith starb mit nur 39 Jahren an den Folgen eines Autounfalls, weil das „weiße“ Krankenhaus, in das sie eingeliefert wurde, jede Behandlung abgelehnt haben soll.

Auch wenn man Murphys durchaus liebevoll inszeniertem Kurzfilm die Verehrung für die Sängerin anmerkt, auch wenn die Tonspur jede Note auskostet und die Sängerin von vierzig Vokalisten begleiten lässt, bleibt „St. Louis Blues“ ein zwiespältiges Dokument. Denn auch hier werden Können und Kunst ausgestellt, während das Wesen und die Persönlichkeit der Musikerin außen vor bleiben. So erfüllt Bessie Smith in „St. Louis Blues“ vor allem das damals gängige Klischee der „tragischen Negerin“, die entweder gewaltsam von ihren Kindern getrennt wird oder an unerfüllter Liebe leidet. Seltsam ausgestopft wirkt sie, als hätte man ihr Kissen in die Kleidung gesteckt, damit sie besser ins Bild der mummy passt. Der entfleuchte Filmehemann wiederum verkörpert in seiner kaum zweiminütigen Leinwanderscheinung gleich ein ganzes Bündel von Stereotypen: den Aufschneider im Anzug, den unmoralischen Frauenhelden, den skrupellosen Spieler, ausgestattet mit überdimensionalen Scheinen, die auf seine Großkotzigkeit verweisen. Kurioserweise wurde dieser Film von der Hayes-Zensurbehörde verboten, vielleicht wegen seiner frivolen Ehebruchsgeschichte, vielleicht aber auch aus unterschwelliger Angst vor einer schwarzen Präsenz, die sich, wie im Fall von Bessie Smith, mühelos durch die Klischees hindurchsingt.

In der Schablone gegen die Schablone spielen: In kaum einer Musikerbiografie schossen das Klischee des komischen Negers und dessen fortwährende musikalisch-physische Transzendierung auf so tragische Weise zusammen wie im Falle von Louis Armstrong. Ob er bei „Hello Dolly“ den musikalischen Dampfmacher gab, mit dem ebenfalls singenden Karlheinz Böhm, Bibbi Johns und Rudolf Platte in „La Paloma“ den swingenden Onkel Tom markierte oder die fadenscheinige Handlung von „Paris Blues“ mit Paul Newman und Sydney Poitier in den Rollen zweier Jazzmusiker durch seine Nummern aufpeppte: Armstrong blies sich die Seele aus dem Leib, du-deeedle-la-bahmte sich um Kopf und Kragen, ohne dass ihm selbst oder dem Wesen seiner Musik größere Beachtung geschenkt wurde. Er blieb der ewige Zaungast.

Dennoch hinterlassen seine kurzen Auftritte mehr Eindruck als der gesamte Rest so manchen Films. In Anthony Manns 1954 entstandenem Biopicture „The Glenn Miller Story“ etwa spielt James Stewart die Titelfigur so hölzern, dass sein Bigbandleader dem Takt immer etwas hinterherschnippt. Einmal, wenn er mit seinen weißen Kumpels in einen Jazzkeller hinabsteigt, wo Armstrong gerade einen Gig veranstaltet, haftet auch Stewarts rhythmischem Beinwippen etwas Natürliches an, und plötzlich gerät der Film in Fahrt. Für einen wunderbaren Augenblick bekommt man die mitreißende Wucht von Armstrongs Kunst zu spüren und versteht sogar den etwas seltsamen Vergleich von Henry Miller, der den Mann mit der knautschigsten aller Reibeisenstimmen als die Reinkarnation des Dionysos gefeiert hat.

Höchstwahrscheinlich hat der frühe Zeichentrickfilm das abgründige, ausufernde und lebenspralle Wesen des Jazz am besten verstanden und deshalb immer wieder Musiker wie Cab Calloway oder Louis Armstrong engagiert. Wie der Jazz war auch der Animationsfilm ein Draufgänger, der alle erdenklichen Konventionen über Bord warf. Die Jazzmusiker stellten mit ihren Tönen die Welt auf den Kopf, während Trickfilmer wie Tex Avery, Walter Lantz, John Hubley oder Max und David Fleischer mit ihren Strichfiguren die Schwerkraft der Verhältnisse aufhoben. Unbeeindruckt von der prüden Stimmung der 30er-Jahre stöckelte Betty Boop im eng anliegenden Kleidchen über die Leinwand. Das erotische Tuten der Jazztrompete untermalte ihren Hüftschwung. Mit großer Lust fiel der Animationsfilm über die Vorurteile der damaligen Zeit her, karikierte die erzkonservativen Moralvorstellungen mit seinen bösartigen Zeichenmännchen. Erst der Jazz verpasste diesem hintersinnigen Spiel den richtigen Drive, beflügelte die Figuren zu immer neuen, übermütigen Schandtaten.

Natürlich wurde in diesen Filmen auch das Stereotyp des Schwarzen überspitzt, so weit, bis die festgefahrenen Klischees in ihrer ganzen Boshaftigkeit entlarvt wurden. Bitterer als in dem Betty-Boop-Klassiker „Snow white“ kann der Kommentar zum Bild des Schwarzen in der Unterhaltungsindustrie nicht sein. Wenn die fiese Schwiegermutter die Frage nach der Schönsten im ganzen Lande stellt, starrt ihr aus dem Spiegel die Fratze eines „Negergesichts“ entgegen: Spiegeleieraugen und Weißwurstlippen.

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