: Ein Säckli zum Wohlfühlen
Der Hanfmarkt in der Schweiz blüht – und das ganz legal. Die agronautische Innovation „Duftsäckli“ macht’s möglich: Es tarnt Marihuana als Wellnessprodukt. Bald aber könnte Schluss damit sein
VON MATHIAS BROECKERS
Anders als in Deutschland können Schweizer Bauern und Privatleute Hanf ohne jede Genehmigung anbauen, die prohibitive Faust der eidgenössischen Betäubungsmittelgesetze greift erst ab da, wo die Hanfblüten in den Verkehr gebracht werden. Die Wiederentdeckung des Hanfs hat seit Anfang der 90er-Jahre so nicht nur für eine kleine Renaissance der Nutzpflanze gesorgt, sie hat aufgrund dieser Gesetzeslage in der Schweiz auch einen großen Markt für Marihuana und Haschisch aus heimischer Produktion geschaffen.
Denn die Schweizer Hanfbauern hatten nach genauer Lektüre der Gesetzeslage festgestellt, dass sie auch weiterhin voll im grünen, sprich legalen Bereich operieren, wenn sie ihre THC-reichen Hanfblüten nicht als Marihuana – also als Droge – in Verkehr bringen, sondern zu anderen Zwecken. So wurde die Idee der „Duftsäckli“ geboren: 3–5 Gramm feinstes Gras eingenäht in ein Säckchen zum Preis von 50 Franken.
Anders als die „Haschischtaler“, die kurzzeitig angeboten wurden, aber als „kunsthandwerkliches Produkt“ keine Gnade vor den Richtern fanden, ebenso wenig wie das „Duftmaträtzli“, das eine Füllung von 20 kg Gras hatte, womit ein Italiener an der Grenze gestoppt wurde, ließ sich bei den „Duftsäckchen“ die Zweckbestimmung als olfaktorisches Wellness-Produkt nicht ohne weiteres abstreiten – und so verbreitete sich diese agronautische Innovation in Windeseile.
Kaum ein größeres Schweizer Dorf, das nicht Ende der 90er über mindestens ein „Hanflädli“ verfügte; in Basel gab es im Sommer 2003 bereits über 100 solcher Läden, in denen oft nur ein Campingtisch stand – mit fünf bis zehn Säckli darauf sowie einer Großmutter dahinter, die den Verkauf abwickelte und den Enkel per Handy um Nachschub bat – bei einem Umsatz von mehreren tausend Franken pro Tag.
Mittlerweile hat der ansonsten liberale Kanton Basel dieser sehr freien Marktwirtschaft Einhalt geboten, andere Kantone haben den Säckli-Verkauf ganz verboten, in vielen wird er von der Polizei geduldet, wenn er diskret und nur an Erwachsene abgewickelt wird.
Gleichzeitig sind hunderte von Gerichtsverfahren gegen Hanfbauern und Ladenbesitzer anhängig oder wurden, mit teilweise heftigen Strafen und Bußgeldern, bereits abgewickelt. Die repressiven Kantone sehen sich dabei im Einklang mit den EU-Nachbarn und den US-Drogenkriegern, die den Liberalismus der Schweiz in Sachen Cannabis regelmäßig scharf kritisieren, während man sich in den freizügigeren Landesteilen mit der Regierungspolitik auf einer Linie sieht, die ein weitreichendes Reformgesetz auf den Weg gebracht hat.
Es sieht eine Legalisierung des Cannabiskonsums, einen kontrollierten Anbau und die Abgabe an über 18-Jährige vor. Nachdem das Gesetz 2002 schon den Ständerat (das Pendant zum deutschen Bundesrat) passiert hat, wird es im kommenden Jahr noch einmal von der Nationalversammlung abgestimmt werden, danach wird es voraussichtlich zu einer Volksabstimmung kommen. Der Ausgang dieser Entscheidung und die Frage, ob der Rechtsruck im Parlament gar zu einem Rollback führen könnte, ist für das hanfanbauende und hanfhandelnde Gewerbe in der Schweiz bis zum Jahresende 2004 die wichtigste politische Frage.
Von den drei größeren Hanfbauern, die ich hier kenne, haben zwei schon Bekanntschaft mit dem Gefängnis gemacht – und sind alles andere als scharf darauf, das zu wiederholen. Doch ebenso wenig wollen sie vom Hanfanbau lassen und sind bereit, dafür bis zur letzten Instanz zu kämpfen. Die Stimmung aber ist Umfragen zufolge gekippt: Stand das Wahlvolk vor einem Jahr noch mit 52 zu 48 deutlich für die Hanf-Reform, hat sich das Verhältnis mittlerweile umgekehrt. Die Aktivisten der „Schweizer Hanf Koordination“ sind dennoch zuversichtlich, dass die Reform auf den Weg gebracht wird. Schließlich verspreche Hanf große Gewinne für die heimische Landwirtschaft, weshalb selbst einige Parlamentarier der rechten SVP und ihre Klientel in der konservativen Bauernschaft dafür seien.
Der Super-Sommer 2003 hat den halblegalen Schweizer Hanfbauern sowohl quantitativ wie qualitativ sehr gute Ernten beschert – den „Duftsäcklis“ wird die Füllung also nicht ausgehen. Vielleicht aber den Schweizer Politikern jener Mut, den sie vor 15 Jahren aufbrachten und gegen die Proteste der Drogenkrieger ringsum einen vernünftigeren Umgang mit Heroinabhängigen durchsetzten und „Fixerstübli“ eröffneten – eine drogenpolitische Pioniertat, die heute weltweit anerkannt und kopiert wird. Auch was den Hanf betrifft, könnte die Eidgenossenschaft zu einem solchen Vorreiter werden – wenn die Duftsäckli gesetzeskonform nicht mehr nur geschnuppert, sondern auch inhaliert werden dürfen?
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