: Der Feind im eigenen Hafen
AUS NIIGATA MARCO KAUFFMANN
„Kaere“, brüllen sie – geht nach Hause! Die linke Hand an der Taille, die rechte im Takt des Schlachtrufes nach oben reckend. Zehn Männer haben sich am zentralen Pier der japanischen Hafenstadt Niigata aufgebaut. „Mit diesem Schiff werden Japaner verschleppt“, lärmt einer ins Megafon. Als seine Stimme nachlässt, reicht er den Stimmenverstärker weiter. „Haftbefehl für Kim Jong Il“, ruft der Nächste. Derweil dirigiert ein Hafenarbeiter die nordkoreanische „Mangyongbong-92“ mit ruhigen Bewegungen an ihren Bestimmungsort. Als sich das Schiff auf die Mole zudreht, wird ein roter Stern auf weißblauem Hintergrund sichtbar: Die Flagge der „Demokratischen Volksrepublik Korea“, in stolzer Größe um den Kamin gemalt, reizt die Protestierer zur Weißglut.
Die zehn Männer am Pier sind Lokalpolitiker der Regierungspartei LDP, Männer in gesetztem Alter, die jedes Mal erscheinen, wenn das Schiff aus dem nordkoreanischen Wonsan einläuft – regelmäßig alle drei Wochen. Die Rechtsextremen, die dann in Niigata einfallen, lässt die Polizei aus Sicherheitsgründen schon gar nicht mehr an den Landungssteg heran, sie müssen vor der Hafenzufahrt protestieren. Zu aufgeladen ist die Stimmung. Auch die wütenden Volksvertreter werden mit Absperrungen in die Schranken gewiesen. Näher als 15 Meter dürfen sie nicht an das Schiff heran, das gerade vertäut wird. In Nordkorea ist so manches gammelig und durchgerostet, dieser 1992 gebaute Kahn hingegen sieht fahrtüchtig aus. Die Motoren sind nun abgestellt, nur noch das Radar dreht sich.
Vor kurzem hat das japanische Parlament einen Warnpfeil Richtung Pjöngjang abgeschossen: ein Gesetz, wonach „bestimmten Schiffen“ verboten werden kann, Japan anzulaufen. Im Visier sind Schiffe aus Nordkorea und somit auch die einzige Verkehrsverbindung zwischen den beiden Ländern. Längst ist die Fähre zum Zankapfel geworden, zum Symbol für einen ewig währenden Streit. 2002 hatte Nordkorea eingestanden, in den 70er-Jahren ein Dutzend Japaner gekidnappt zu haben, als Lehrpersonal für angehende Japan-Spione. An der Küste von Niigata waren gleich mehrere Menschen verschleppt worden. Fünf Gefangene ließ Nordkoreas Diktator im Jahr 2002 ziehen und vor einem Monat deren Kinder. Die anderen Entführten seien verstorben, behauptet das kommunistische Regime, was in Japan kaum jemand glauben mag.
Jugendliche in Trainingsanzügen stehen an der Reling der „Mangyongbong“. Es sind wie die meisten Passagiere ethnische Koreaner mit Wohnsitz Japan. Den lärmenden Männern auf dem Pier sehen sie belustigt zu. „Was sagt ihr zu diesen Entführungen – he?“, ruft der mit dem Megafon nach oben. „Die waren so jung wie ihr, als sie gekidnappt wurden.“ Einer der Jungen schickt Küsschen nach unten. Die Männer rufen hoch: „Wenn ihr in Japan wohnen wollt, müsst ihr ein japanisches Gewissen haben.“
An der Seitenwand des weißen Kolosses öffnen sich zwei Türen. Aus dem Bauch des Schiffes säuselt süßliche Musik – vermutlich Hymnen auf den „Lieben Führer“ Kim Jong Il. Hinaus kommt eine ganze Weile niemand, vielmehr gehen Leute hinein, Zollbeamte mit Köfferchen und Hunden. Draußen unter einem Zeltdach ist ein Büro zur Passkontrolle aufgebaut worden.
Die älteren Herren haben die Transparente eingerollt und das Megafon verpackt, bevor der erste Fahrgast, eine Frau um die siebzig, auf den Quai tritt. Nach der Ausweiskontrolle verschwindet sie in einem Bus direkt neben dem Schiff. Keine Chance, mit ihr ein Wort zu wechseln. Auch Journalisten müssen hinter der Absperrung bleiben. Die Jugendlichen in den Trainingsanzügen und mit Puma-Taschen verlassen das Schiff als Nächste.
Mehr als 600.000 Koreaner leben in Japan. Viele stammen aus Familien, die während der japanischen Okkupation Koreas (1905–1945) als Zwangsarbeiter hierher verschleppt wurden. So wie die koreanische Halbinsel geteilt ist, so ist es auch die koreanische Bevölkerung in Japan. Die „Allgemeine Vereinigung der Koreaner“ steht dem kommunistischen Norden nahe, die „Union der Koreaner“ dem kapitalistischen Süden. Beide Gruppierungen schicken ihre Kinder an eigene Schulen.
Nach den Beschimpfungen am Quai erwartet die Nordkoreareisenden ein zweites Empfangskomitee. An der Ausfahrtsstraße hat sich ein Grüppchen postiert, das sich „Vereinigung für ein Anlegeverbot der Mangyongbong“ nennt. Ihr Zorn richtet sich zunächst gegen die heimischen Taxifahrer, die Reisende aus Nordkorea einladen wollen. Beobachtet von einem Dutzend Polizisten johlen die Männer: „Fahrt nicht solche Leute!“ Als das Taxi mit einem Fahrgast zurückkommt, pfeifen sie.
Dies seien Belästigungen der harmloseren Sorte, erzählt Kim Jon He von der pro-nordkoreanischen Vereinigung im nahen Gemeindezentrum. Herr Kim löst ein Klebeband vom Garagentor. „Sehen Sie die Einschusslöcher?“ Ein Unbekannter habe von der Straße aus auf das Gebäude gezielt. Nun patrouillieren Polizisten auf dem Gehsteig. Die Fensterläden sind verriegelt. Drinnen sieht es sehr nach Nordkorea aus – abgewetzte Kunstledersessel und druckfrische Zeitungen mit Kim Jong Ils Porträt auf dem Titel. 2.700 Koreaner leben in der Präfektur Niigata, sagt Kim, jene des südkoreanischen Lagers mitgezählt. Draußen hält ein Lastwagen mit Lautsprechern: „Kaere“ – geht nach Hause. Heute sei es eher ruhig, meint Kim nur.
An den Koreanern aus dem Norden entlädt sich nun die Empörung über das staatlich angeordnete Kidnapping in den 70er-Jahren. Besitzer von koreanischen Restaurants würden gefragt: „Bist du aus dem Norden oder dem Süden?“ Schüler nordkoreanischer Schulen wurden angegriffen, und vor einiger Zeit ging einer mit dem Messer auf den Gouverneur der Präfektur Niigata los. Der habe es versäumt, nordkoreanischen Schiffen zu verbieten, Niigata anzulaufen. Nun steht auf der Website der Behörden entschuldigend, über ein Verbot könne nur die Nationalregierung entscheiden.
Auf dem Weg zur Präfekturverwaltung fahren wir an der Kreuzung vorbei, wo die 13-jährige Megumi am 15. November 1978 verschwunden ist. Megumi sei von Agenten Nordkoreas vermutlich in einen Sack gepackt worden, erzählt ein Einheimischer. Die Entführer seien mit ihr durch das Wäldchen hinunter an den Sekiya-Strand gelaufen und übers Meer entkommen. Megumi habe sich 1993 das Leben genommen, behauptet das nordkoreanische Regime heute. Sie werde an einem geheimen Ort festgehalten, glauben ihre Eltern.
Vom Sekiya-Strand sieht man hinüber zur Insel Sadogashima, von der eine zweite Japanerin gekidnappt wurde. Hitomi Soga wurde 2002 freigelassen und lebt wieder auf der Insel. In Nordkorea zurücklassen musste sie ihre beiden Töchter und den Ehemann: Der US-Bürger Robert Jenkins soll – so die amerikanischen Behörden – Fahnenflucht begangen haben und vom Süden in den Norden Koreas geflüchtet sein.
Bei der Hafenbehörde sitzen Beamte in langen Reihen über sehr viel Papier. Am Ende jedes Tisches der Gruppenchef, an separaten Pültchen die Abteilungschefs. Frauen verteilen Dossiers und Teekrüge. „Aber nein“, sagt Herr Masaru Takahashi auf die Frage, ob die „Mangyongbong“ schärfer kontrolliert werde als andere ausländische Schiffe. Das würde dem Prinzip der Gleichbehandlung zuwiderlaufen, erklärt der groß gewachsene Beamte im Sommeranzug. Damit besondere Maßnahmen ergriffen werden könnten, müsste schon ein Verdacht vorliegen.
Vor zwei Jahren gab es so einen Verdacht. Ein nordkoreanischer Überläufer hatte behauptet, an Bord der Fähre seien Komponenten für das nordkoreanische Raketenprogramm geschmuggelt worden. Die Behörden erließen darauf neue Sicherheitsbestimmungen, welche die „Mangyongbong“ nicht erfüllen konnte. Der Fährbetrieb kam während sieben Monaten zum Erliegen. Erst nachdem Nordkorea das Schiff in Wonsan technisch aufgerüstet hatte, durfte es Niigata wieder anlaufen.
Im nordkoreanischen Gemeindezentrum versammeln sich einige Passagiere, die am kommenden Tag nach Nordkorea reisen. Was sagen sie zum Spalier der Beschimpfungen am Hafen? Das erste Mal sei sie schockiert gewesen, sagt eine Frau um die 60, die anonym bleiben möchte. „Aber nun reise ich schon zum 19. Mal.“ Sie besuche in Pjöngjang eine schwer kranke Tante. „Ich habe Mitleid mit den Japanern, die nach Nordkorea verschleppt worden sind“, sagt sie. Ihre Familie, von den japanischen Besatzern im 2. Weltkrieg nach Hiroschima gebracht, habe ja Ähnliches erlebt. Sie und ihr Mann haben nordkoreanische Pässe und ein permanentes Aufenthaltsrecht für Japan. Haben sie je daran gedacht, in Nordkorea zu bleiben? Der Mann fährt mit der Hand über den Bauch und sagt: „Ganz im Innern sind wir manchmal gespalten.“ Er hält einen Moment inne, wird dann aber bestimmt: „Nein, wir wollen nicht für immer nach Nordkorea.“
Am anderen Morgen um halb neun öffnen sich wieder die Seitentüren der „Mangyongbong“. Wieder dringt schwülstige Musik aus dem Bauch des Schiffs. Lärmende Parlamentarier sind jedoch keine mehr zu sehen. Sie zeigen sich nur zur Ankunft. Drei Wagen fahren über die Hafenmole vor zur Fähre. Ein paar Schüler eines nordkoreanischen Gymnasiums in Japan steigen aus. Für drei Wochen reisen sie nach Nordkorea. Die Passagiere haben reichlich Gepäck: Kisten mit Lebensmitteln, Heimelektronik, Haushaltsgeräte und – nach Angaben des japanischen Finanzministeriums – Unmengen an Bargeld. All dies sei für die Verwandten, beteuern die Nordkoreareisenden.
Exakt um 10 Uhr, 25 Stunden nach dem Einlaufen, steuert die „Mangyongbong“ eskortiert von der Küstenwache hinaus ins Japanische Meer. In drei Wochen wird das Schiff der Empörung aus Nordkorea wieder zurück sein. Dann kann das Spektakel im Hafen von Niigata von neuem beginnen.
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