piwik no script img

Schreberei, Schröderei

Der Kanzler will Teil einer Bewegung sein – und wenn es die Bewegung der Kleingärtner ist. In Gelsenkirchen fand Schröder Labsal an der Scholle

Schon letztes Jahr habe man Schröder „eingelädet“, sagt der Vorsitzende nervös

AUS GELSENKIRCHENMARTIN TEIGELER

Auch in schlechten Zeiten kann Bundeskanzler Gerhard Schröder noch Menschen begeistern. „Ist er schon da?“, fragt am Mittwochabend hektisch ein SPD-Wähler, der seinen Ford Escort eilig vor der Kleingartenanlage in Gelsenkirchen-Bismarck geparkt hat. Unsere Antwort nicht abwartend vibriert der beleibte Mann: „Ja, der Kanzler. Ich hab‘s gerade im Videotext gelesen, dass er kommt. Bin sofort hier hin gefahren.“

Der Regierungschef soll tatsächlich da sein. In Gelsenkirchen. Beim Kleingartenverein „Bismarckhain“. Die Laubenbesitzer haben zur Feier des Tages geflaggt. Schalke04-, Deutschland-, und sogar Europafahnen wehen über der Anlage. Schon im vergangenen Jahr, zum 70. Jubiläum des Schreberclubs, habe man Schröder „eingelädet“, sagt der Vorsitzende der Gründäumler nervös. „Aber jetzt ist er ja da.“ Der Kleingartenchef ist ein älterer Mann mit Gehhilfe. Er stützt sich auf seinen Stock, und lässt sich von den zahlreichen Medienvertretern interviewen. Von WDR und Pro 7, von zigarillorauchenden Reporterinnen in hochhackigen Schuhen, die eher keine Affinität zur Kleingärtnerei vermuten lassen. „Wat ne Aufregung“, sagt der Chef von „Bismarckhain“. Seine Vereinsmitglieder haben wegen des großen Trubels einen eigenen Ordnerdienst gebildet. In schwarzen T-Shirts weisen sie rund 250 Schaulustige ein.

Als alle auf den Kanzler warten, kommen die Tropfen. Es regnet: Rabatten und Lauben und Zuschauer werden nass. Gelsenkirchens Oberbürgermeister Oliver Wittke von der CDU flüchtet vor den Niederschlägen. Sein SPD-Herausforderer Frank Baranowski darf deshalb das Empfangskomitee bilden. Wegen des miesen Wetters stürmt Schröder samt Entourage an den gepflegten Kleingärten vorbei. Kaum ein Mensch applaudiert. Denn fast jeder hat eine Kamera oder einen Camcorder in der Hand und filmt, wie der Regierungschef einen Baum pflanzt, einen Schluck Pilsbier aus einem großen Stauder-Glas trinkt und den neuen „Gerhard-Schröder-Weg“ einweiht.

Wahlkampf im engeren Sinne macht der inzwischen eingeregnete Kanzler nicht. In einer kurzen Ansprache lobt Schröder nur den „wertvollen Beitrag der Kleingärtnerbewegung“ für Gesundheit und Natur und Sommerfrische. „Ich habe selber keinen Kleingarten, aber als Kind bin ich oft in einem gewesen“, verrät Schröder. Nur SPD-Kandidat Baranowski politisiert an diesem Tag. „Bei einer Arbeitslosigkeit von 18 Prozent in Gelsenkirchen habe viele Menschen Angst“, sagt er seinem Parteifreund. Ein paar Leute klatschen, eine Frau im lila Kostüm sagt: „Richtig, der Gerd soll unseren Enkeln eine Lehrstelle besorgen.“

Erstmal hat er den Kindern der Kleingärtner zwei neue Fußballtore besorgt. Zum Lohn wird Schröder verköstigt. Der Kanzler sitzt geschützt unter einem Pavillon-Zelt und isst Currywurst, während das Volk staunend im Regen steht und zuschauen muss. Die Szene werden bösartige Betrachter wieder als Sinnbild deuten für die Politik von Rot-Grün. Für Agenda 2010 und Hartz-Gesetze. Die Mächtigen retten sich doch immer ins Trockene, und lassen ihre Untergebenen nass werden.

Nach 50 Minuten ist der Kanzler-Besuch vorbei. Unvermittelt bricht Schröder auf, wünscht noch „Glück auf und Gut Grün“. Er müsse weiter nach London: „Aber was ist das schon gegen Gelsenkirchen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen