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Rettungsschirm für Beschäftigte

1.500 Gewerkschaften demonstrierten in der Hamburger Innenstadt gegen den entfesselten Kapitalismus, der die Finanzkrise verursacht habe – und für Lohnzuwächse als Konjunkturprogramm

VON KAI VON APPEN

Für Britta Nagel* kommt alles nicht überraschend. Dennoch ist sie über das derzeitige Ausmaß entsetzt. „Immer höhere Gewinn- und Renditenerwartungen lassen die verantwortlichen Vorgesetzten einfach blind und skrupellos werden“, sagt die gelernte Bänkerin. Sie hatte bei der Hamburgischen Landesbandesbank in den sechziger Jahren ihre Bankkauffraulehre absolviert, dort ihren Mann kennengelernt, der bis vor wenigen Jahre bei der Landesbank in hochrangiger Funktion gearbeitet hat. „Wir waren immer stolz auf unsere solide Arbeit. Hochspekulative Transaktionen gab es nicht. Doch heute regiert die nur noch die Gier nach schnellen Renditen.“ Nagel ist froh, dass sie alles nun hinter sich hat. Anders als die Beschäftigten der HSH-Nordbank, die wegen des Finanzroulettes um ihre Jobs bangen müssen und deshalb heute Mittag auf die Straße gehen.

Bereits am Donnerstagabend marschierten 1.500 GewerkschafterInnen durch die Hamburger City. „Schließt das Finanzcasino – in Arbeit, Bildung und Zukunft investieren“, lautete das Motto des DGB-Marsches. „Finanzcasinos schließen heißt Kapitalismus überwinden“, setzte die Gruppierung Jour Fix der Gewerkschaftslinken drauf. „Sachdebatten und Fachvorträge, die wir in den vergangenen Monaten vielfach hatten, können die demokratischen Aktionen, die Willensäußerungen in der Öfentlichkeit nicht ersetzen“, sagte DGB-Chef Erhard Pumm vor der Finanzbehörde „Wir gehen auf die Straße, weil wir politischen Druck machen wollen, gegen die sozialen Ungerechtigkeiten, die sich durch die Finanz- und Wirtschaftskrise noch zu verschärfen drohen.“

Für die Bezirksleiterin der IG Metall Küste, Jutta Blankau, muss Schluss sein mit dem „neoliberalen Geschwafel“. „ Wir setzen ein Zeichen gegen soziale Spaltung.“ Manager von Banken müssten die Grenzen aufgezeigt werden, notfalls durch Verstaatlichung. Ver.di Landeschef Wolfgang Rose stellte sogar die Haltung der Gewerkschaften in der Lohnpolitik in Frage.

„Immer mehr Menschen haben in der Wirtschafts- und Finanzkrise gelernt, dass Lohnverzicht die Krise schlimmer macht“, wetterte Rose. „Löhne sind nicht nur Kosten, sondern auch Kaufkraft. Autos kaufen keine Autos. Das können nur Menschen tun, die dafür das Geld übrig haben.“

Höhere Steuern für die Reichsten der Reichen seien deshalb notwendig, denn durch privaten Superreichtum entstehe öffentliche Armut. Freiwillig Mäzen zu werden sei kein Ersatz dafür, gerechte Steuern zu zahlen. Es gebe die gesetzliche Pflicht, auch Milliardäre für das Wohl der Allgemeinheit aufkommen zu lassen. „Ein Rettungsschirm für die Banken reicht nicht – wir brauchen einen Rettungsschirm für die Arbeitnehmer und Arbeitslose“, so Rose „für die Familien und für die Armen und für die Alten“.

*Name geändert

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