: Weltreise auf 500 Metern
Kiez-Cuisine V: Rund um die Simon-Dach-Straße in Friedrichshain liegen feinste kulinarische Raritäten und feiste Trinktempel dicht an dicht. Ein kurzer, aber um so gehaltvollerer Spaziergang im Kiez
VON STEFFEN GRIMBERG
Alte Friedrichshainer können sich ja angeblich noch an einen Kiez erinnern, in dem es kaum Kneipen gab. Aber wie alle guten Geschichten ist das wahrscheinlich gelogen. Wo also anfangen?
Da einen bei solchen Überlegungen meist der kleine bis mittlere Hunger packt, startet man am besten im Nil. Der außengastronomische Bereich des sudanesische Imbisses (Grünberger Str. 52) fällt mit einem Tisch und zwei Bierbänken zwar verhältnismäßig übersichtlich aus, aber wo sonst gibt es lecker gewürzte Thunfischsteaks so günstig (4,50 Euro) oder die hier Tamiya genannten Falafel? Alles serviert zu Quark mit so spannendem Gewürz wie Bockshornkleesaat. Dass die ebenfalls obligatorische Erdnusssauce ziemlich dagegen abfällt – verziehen. Suppenkasper und Tierfreunde wechseln einfach die Straßenseite: Im Hot Dog Soup (Grünberger Str. 69) gibt es nämlich genau dies.
So gestärkt hält man zumindest die paar hundert Meter bis zur nächsten Ecke Gabriel-Max-Straße durch. Wer noch nichts gegessen hat, weil Sudan und Suppe nicht ganz, Südamerikaner dagegen viel eher dem Geschmack entspricht, kann sich im Caiman (Gabriel-Max-Str. 15) an diversen Tapas gütlich tun – übrigens eines der wenigen chilenischen Restaurants in Berlin.
Wenige – genauer gesagt zwei – Häuser weiter liegt dann schon ein Laden, wo man mehr Appetit als für eine Kleinigkeit mitbringen sollte: Im Babel (Gabriel-Max-Str. 16) wartet die zu Unrecht nicht gerade weitläufig bekannte Küche des Libanon. Wie wär’s mit Kubbe, also fein gehacktem Lamm mit Pinienkernen in einem Weizenschrotmantel? Weil der Libanon ein tolerantes Land ist, das alle Religionen, Völker und Trinksitten toleriert, gibt es libanesischen Wein – nicht ganz billig, aber noch eine Entdeckung. Selbst der Provinzbesuch gestresster Berliner Szenegänger, der doch viel lieber „Original Berliner Küche“ (was immer das ist) essen wollte, muss hier nicht darben: Für ihn gibt’s (Puten-)Leber mit Äpfeln und Zwiebelringen. Darauf ein Wasserpfeifchen? Bitte sehr, mit 5 Euro ist man dabei und verzieht sich am besten ins schmucke Hinterzimmer.
Etwas weiter vom Boxhagener Platz weg grüßt Paules Metal Eck (Krossener Str. 15). Man muss ja nicht reingehen, aber irgendwas hat der Laden. Aber wie jetzt den Übergang finden? Schließlich geht es um einen direkten Nachbarn, der unterschiedlicher nicht sein kann: Das Bar-Restaurant Malago bietet über 50 exotische Coxcktails und eine relative kleine Speisekarte. Weil es ebenso gut schmeckt und „Malago“ auf Thailändisch Papaya bedeutet, kommt man schnell auf den Trichter, dass zwischen dem Malago und dem Papaya gleich gegenüber (Krossener Str. 11) ein Zusammenhang besteht. Es geht immerhin um einen der besseren Thailänder Berlins. Die Küche im Papaya ist fein, hoch aromatisch, gern auch mal scharf und stets reservierungspflichtig.
Voll wird’s gern auch in der Volckswirtschaft (Krossener Str. 17). Aber keine Angst, hier ist noch jeder satt geworden. In einer (oft Bio-)Qualität und zu Preisen, die glücklich machen. Übrigens: Stammgäste zahlen noch weniger. Einen kleinen Umweg wert ist auch das Übereck (Sonntagstr. 31). Hier gibt es noch die gute Standardkneipe ohne Chi-Chi, mit klassischen Frühstücken und kleiner Karte für alle Gelegenheiten.
Zurück auf der Simon-Dach-Straße bietet sich für den Absacker natürlich die Dachkammer (Simon-Dach-Str. 39) mit ihrem netten Wohnzimmerflair und dem entzückenden kleinen Balkon im ersten Stock. Oder zu späterer Stunde gleich daneben die Astro Bar (Simon-Dach-Str. 40) inklusive DJ, Flaschenbier und erstaunlich rückenfreundlichen 70er-Jahre-Sitzen.
Weiter die Straße runter grüßt ein Mönch. Cayetano war sein Name, ein argentinischer Künstler hat die Figuren am Eingang geschaffen und gleich das ganze Lokal (Simon-Dach-Str. 14) in einer Mischung aus nicht ganz ernst gemeinter Kapellenatmosphäre und nettem Kitsch designt. Der Namenspatron war nach Auskunft des Wirts ein argentinischer Heiliger des 16. Jahrhunderts, der Wein – überwiegend direkt importiert – kommt heute allerdings aus Spanien, wie auch rund drei Viertel der Gerichte auf der Karte. Und in so einem Laden wird natürlich auch die Cocktailkarte zum Kreuz.
Fragen Sie sich mittlerweile auch, ob es im Kiez denn überhaupt keine Italiener gibt? Also los, rechts ums Eck – obwohl: Im Miseria & Nobilità (Kopernikusstr. 16) wird in Wahrheit sardische Küche serviert, denn wo finden sich sonst Dolci wie fritierte Marzipantäschchen mit Obst und Honig? Die Nudeln sind hausgemacht, der Laden klein und gemütlich. Kurzum: Hier isst der Chef noch selbst.
Wem eher nach Eis zumute ist: Seit drei Wochen gehört der Kiez zu den besseren Berliner Adressen für Gelati. Das Caramello (Wühlischstr.31, einfach in umgekehrter Richtung zurückgehen) hat so ungewöhnliche Sorten wie Desidero (Studentenfutter mit Mascapone) im Angebot, und die Komposition 1001 Nacht (Grundstoff: Rote Grütze und Panna Cotta) hat der Eismensch seiner Verflossenen gewidmet. Wir schmelzen mit. Passenderweise gleich daneben liegt die Apotheke (Wühlischstr. 32). Nein, nicht was Sie jetzt denken. Hier handelt es sich ebenfalls um einen kleinen, feinen Italiener. Wirt Patrizio macht gute linke Pasta und verwickelt seine Gäste liebend gern in eine politische Diskussion. (Weil’s nach einem Kurzschluss gebrannt hat, ist derzeit zu, ab Anfang August soll es spätestens weitergehen).
So lange vertage man sich getrost in Die Tagung (Wühlischstr. 29). Hier sieht es immer noch so aus wie im VEB Getränkekombinat Berlin, man darf sogar auf Lenins Kopf sitzen. Und hört vielleicht vom Nachbartisch die schöne Geschichte aus der Zeit, als der Kiez noch kneipenleer war – aber es Die Tagung natürlich schon gab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen