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Mach mir die Wasserleiche

Sommerzeit – Komparsenzeit. In den warmen Monaten wird am meisten gedreht. Doch viele der Standardstatisten sind im Urlaub. Die Chancen auf einen Nebenjob bei Film und Fernsehen stehen gut. Für die Vermittlung muss man allerdings zahlen

aus Berlin SILVIA HELBIG

„Da muss ick erst mal meene Frau fragen. Die is nämlich die Chefin von unsan Jeld.“ Der Weddinger Frührentner in kurzer Jeanshose und mit Goldkettchen berlinert davon, und ich bin dran. Auch ich muss erst mal schlucken. 150 Euro Anmeldegebühr kostet die Aufnahme in die Kartei von „Komparsenservice“. Dafür gehen meine Unterlagen an 17 Castingagenturen in Berlin, die vertraglich mit Komparsenservice zusammenarbeiten. Es winken Kurzauftritte als Wasserleiche, Fussgänger oder Cocktailschlürfer bei „Balko“, „Edel & Starck“ oder im „Tatort“.

Natürlich könnte ich auch selber Fotos machen und an die einzelnen Agenturen schicken, dann spare ich das Geld, erklärt mir Peter van Grieken, der Inhaber von Komparsenservice – „vor der Schrankwand, mit roten Augen und abgeschnittenem Unterkörper. Da stehen die nicht so drauf.“ Professionelle Fotos für die Mappe machen noch mal 75 Euro. In meinem Kopf rattert es: Eigentlich bin ich doch hier, um Geld zu verdienen. Schön bei „GZSZ“ hinten rumstehen und ein Bier trinken. Wenn ich den Nebenjob Komparse professionell angehen will, kostet mich das erst einmal 225 Euro. Und was kriege ich dafür? – „In der Regel werden unsere Leute ein bis sechs Mal pro Monat angerufen. Pro neunstündigem Drehtag gibt es 50 Euro plus Extras. Wenn sich gar nichts tut, haken wir nach.“

Wir, das sind Peter van Grieken und seine Praktikantin. Ich könnte das Geld also in einem Monat wieder raushaben. Oder in einem halben Jahr. Das Telefon klingelt alle zwei Minuten. Die Praktikantin sagt ihren Text auf: „Ja, Sie können jederzeit vorbeikommen. Wir nehmen immer Leute. Nein, Sie brauchen nichts mitzubringen.“

Ein Grund, warum die Menschen momentan Komparsen werden wollen, sei die hohe Arbeitslosigkeit, meint van Grieken. Seit knapp fünf Jahren betreibt der ehemalige Theaterfotograf seine Statistenvermittlung aus einem Weddinger Hinterhof. Noch nie hatte er so viele Leute in der Kartei wie jetzt: Rund 2.000, vom Säugling bis zum Rentner, wollen eine Rolle. Voraussetzungen sind Zeit, Flexibilität und Erreichbarkeit. Besonders Arbeitslose, Studenten und Rentner hätten davon ja ausreichend, sagt van Grieken. Und gut wäre natürlich, zusätzlich zur bloßen körperlichen Anwesenheit irgendwas Exotisches zu können oder optisch aus dem Rahmen zu fallen. „Schwarze, Asiaten oder Behinderte“ wären generell unterrepräsentiert, doziert der Vermittler, während ich das Anmeldeformular ausfülle.

Bei Tätowierungen, Piercings und Nacktaufnahmen kreuze ich „nein“ an. Unter Hobbys schreibe ich Schwimmen, Reiten, Lesen. Tanzen lasse ich lieber weg, schließlich sind die schlimmsten Szenen die, in denen steife Statisten Disko spielen.

Mitverantwortlich für die Komparsenschwemme ist außerdem die Castingwelle, die derzeit über Deutschland rollt. Auch bei van Grieken stehen immer mehr Möchtegernsuperstars auf der Matte. Was man schon daran erkenne, dass „die total aufgebrezelt“ wären und „rummeckern, dass sie bei RTL oder Sat.1 umsonst gecastet“ würden. Für die wäre sein Komparsenservice nix, echauffiert sich der 52-Jährige. Und so beteuere ich brav, keinesfalls Starallüren zu hegen und mit einer stummen Rolle total zufrieden zu sein. Der Chef von Komparsenservice nickt verständnisvoll und erzählt, wie er selbst mal bei einer kurzen Sprechrolle versagt hat: Zu Hause vor dem Spiegel hätten die fünf Wörter gesessen, doch als er sich dann als Gerichtsreporter auf Götz George stürzen sollte, brachte er vor Aufregung gar nichts mehr heraus.

Damit so etwas nicht passiert, bietet er jetzt auch Unterricht für Komparsen an – in seiner Komparsenschule, der ersten deutschlandweit. Für weitere schlappe 150 Euro könnte ich bei professionellen Schauspielern Atmen, Sprechen und die richtige Körperhaltung erlernen. In nur zwei Wochen.

Ich muss nochmals schlucken und sage, dass ich mir das überlegen werde. Schließlich bin ick ja och die Chefin von mein Jeld.

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