: Besuch beim Kaukasischen Salamander
Der Borjomi-Kharagauli-Nationalpark in Georgien ist mit seinen 76.000 Hektar der erste Naturpark von Weltbedeutung im ganzen Kaukasus. Pro Quadratmeter leben hier hundertmal so viele Tier- und Pflanzenarten wie im Weltdurchschnitt. Doch der Park soll auch Arbeitsplätze schaffen
von BARBARA KERNECK
Die Stille summt und zwitschert, tief unten wirbelt der Fluss Mtkvari. Die Sonne überbrückt ihn mit einem Regenbogen, und ein feiner Nebel kühlt die Gesichter der Gäste, die Karin Steinmetzer an diesem Morgen auf den drei Kilometer langen „Aufwärmpfad“ über die wildromantische Schlucht von Borjomi geschickt hat.
Die deutsche Fachfrau für Naturparkmanagement und Tourismusentwicklung ist als Beraterin bei der georgischen Verwaltung des Borjomi-Kharagauli-Nationalparks angestellt. Mit seinen 76.000 Hektar ist dies der erste Naturpark von Weltbedeutung im ganzen Kaukasus. Ausgebaut wurde er seit 1991, finanziert haben ihn die deutsche Regierung und der WWF. Die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau spendierte fast 1 Million Euro für die Ausbildung des Parkpersonals und die ökologische Bildung der Bevölkerung der Region. Für beides ist Karin seit der Fertigstellung 2001 zuständig.
Zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer gelegen, beherbergt Georgien subtropische Zonen, Halbwüste und Hochgebirgsregionen. Deren Flora und Fauna, europäische, mittelasiatische und subalpine, gedeihen in diesem Park friedlich nebeneinander, in einzigartiger Vielfalt. Auf den Quadratmeter kommen hier hundertmal so viele Tier- und Pflanzenarten wie im Weltdurchschnitt, viele von ihnen gelten als bedroht.
Gemsen und Rotwild, Braunbären, Luchse und Wildkatzen fühlen sich im Park wie zu Hause. Die Raubtiere meiden meist die Wege der Menschen. Dafür lassen sich Goldadler und Nachtigallen sehen, allerhand kleine Nager und ein lang gestrecktes Kerlchen, schwarz mit grellem gelben Zackenmuster – der Kaukasische Salamander. Es gibt ihn nur hier, in der Nordtürkei und in den Comicheftchen einer ehemaligen deutschen Schuhfirma. Kleine Orchideen und Lilien kuscheln sich pastellfarben ins Moos. Eine Art wilde Gartenschau findet hier jährlich im Mai statt, wenn im Süden des Geländes dicht an dicht Rhododendren und Azaleen blühen.
„Nach drei Kilometern haben Sie einen ersten Eindruck“, relativiert Karin, als die Leute begeistert zurückkehren: „Aber ein richtiges Gefühl für unseren Park gewinnt man erst nach drei bis fünf Tagen, wenn man auf den Hütten oder Rangerstationen übernachtet hat.“ Architektur und Möblierung dieser Unterkünfte sind in allen Fällen gemütlich rustikal, die Aussischt ist atemberaubend, der Komfort äußerst bescheiden. Statt Herden gibt es Feuerstellen, und gewaschen wird sich im Bach. Karin Steinmetzer hofft, im nächsten Jahr wenigstens Duschen einbauen zu können.
Wer auf der Hütte angekommen ist, hat immerhin Großes geleistet. Selbst Menschen, die in der Ebene zügig vorankommen, fühlen schon nach dem 3-Kilometer-Aufwärmpfad häufig ein Ziehen in Knien und Oberschenkeln. Die acht ausgebauten Wanderwege haben verschiedene Schwierigkeitsgrade. Man kann auf ihnen zwischen einem Tag und einer Woche unterwegs sein und Höhen von 800 bis zu 2.600 Metern überwinden. Für weniger geübte Bergwanderer gibt es heute vier Stationen, an denen südrussische Bergpferdchen ausgeliehen werden können. Aber auch diese müssen sich ihren Weg oft mit großer Bedachtsamkeit bahnen. Wer sich tagsüber so vorgearbeitet hat, begreift abends, wo er sich befindet: mit einem Guide allein in der Wildnis.
Seinen Doppelnamen bezieht der Nationalpark von den beiden Städten Borjomi und Kharagauli, in denen sich zwei der insgesamt vier Parkeingänge und die beiden Gebäude der Parkadministration befinden. Von ihnen aus werden die zwei Dutzend Ranger koordiniert, die auf den Bergen und in den Schluchten ständig patrouillieren.
Sechs Touristen-Guides, die Besucher auf Wunsch bei Touren begleiten, tragen Handys. Aber in all den Jahren seit Gründung des Parks ist noch niemand überfallen worden. Wo jedes der schwer zugänglichen Täler sein eigenes Universum bildet, scheinen der Nordkaukasus, und die Russische Föderation nebst Tschetschenien milchstraßenweit entfernt. Hier glaubt man dem Bericht eines Reisenden noch mehr als dem Fernsehen.
Über Telefone verfügten die Forststationen im Park schon unter dem Großfürsten Michail Romanow in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der ließ einen Teil des Parks einzäunen und setzte darin einen deutschen Oberförster ein und deutsche Eichhörnchen aus. Wer will, kann im dichten Grün ein Zarenschloss besuchen. Sonst tauchen zwischen den Wipfeln noch ältere Gebäude auf: mittelalterliche Kirchen und Festungen. Den Kern des Parks bildete ein 17 Hektar großes Naturschutzgebiet, das sich hier zu Sowjetzeiten befand. Einzäunen und die Bevölkerung aussperren – das verstand man damals unter Schutz der Natur.
Karin muss zurück nach Tbilisi. Im gegenwärtigen Stadium verbringt sie nur noch ein bis zwei Tage hier draußen, sonst arbeitet sie an der touristischen Vernetzung des Parks in der georgischen Hauptstadt. Den Wagen steuert ihr Mann, Stefan Kanther. Drinnen schläft friedlich der sechs Monate alte Sohn, getauft auf den gut georgischen Namen Levan. „Ich könnte meine Arbeit niemals machen, wenn Stefan nicht so ein guter Vater wäre“, sagt sie. Er hat seine Stelle bei einer Stiftung in Deutschland aufgegeben, um mit nach Georgien zu kommen. Jetzt arbeitet Stefan bei einem georgischen Zentrum für Kommunikationstraining und neben dem Baby am Bildschirm, wenn der Sohn schläft.
Der Kurort Borjomi, Quellort eines welberühmten Mineralwassers, hat sich vom Zerfall der Sowjetunion noch nicht wieder erholt. Im Zentrum springt Karin kurz aus dem Auto, um einige Verträge für Kleinkredite für vier dort ansässige Familien unter Dach und Fach zu bringen. Es geht um die Einrichtung zweier Bergpferdestationen und zweier Pensionen am Parkrand. Die Summen sind winzig: zwischen 200 und 3.000 Euro. „Unser Park soll nicht nur für Pflanzen und Tiere da sein, sondern auch für die Erholung der Menschen“, sagt die Touristikfachwirtin: „Und er soll Arbeitsplätze schaffen. Die internationale Erfahrung lehrt, dass die Anwohner Naturparks erst bewahren helfen, wenn sie von ihnen profitieren.“ Die Parkverwaltung betreibt deshalb ein Trainingszentrum, in dem Parkangestellte, Lehrer, Beamte und Politiker der Region sowie Mitglieder diverser NGOs Kurse besuchen. Bisher haben rund 600 SchülerInnen aus der Umgebung an Ökosommerlagern im Park teilgenommen.
Die desolate Versorgungssituation der Bevölkerung ist prekär und bedroht die einzigartige Natur. Seit der Unabhängigkeit Georgiens von der Sowjetunion im Jahre 1992 hat sich die politische und wirtschaftliche Lage immer weiter verschlechtert. Da das Land von Russland nur sehr wenig Energie bekommt, verfeuert die ländliche Bevölkerung viel Holz. Um die Siedlungen sind die Wälder kahl geschlagen. Aus Not essen viele Menschen Wildfleisch. Rehe und Rotwild werden schonungslos geschossen. Leoparden, Wölfe und Bären verhungern.
Von effizientem Tourismusmarketing ist der Borjomi-Kharagauli-Nationalpark Lichtjahre entfernt. In der Sowjetunion hatte die Region das, was man eine Unic Selling Position nennt. Die Betriebe aus dem ganzen Land schickten einfach ihre Mitarbeiter her. Jetzt müssen sich die Bewohner daran gewöhnen, dass sie mit anderen Teilen der Welt konkurrieren. Und obwohl die Leute hier Gäste noch mit ungeheuchelter Freude und Neugierde empfangen, meldet sich eine Empfangsdame an einer Rezeption am Telefon meist einfach mit „Hoh?“.
In Tbilisi befindet sich Karin Steinmetzers Büroraum in einer kleinen Villa des WWF. Hier erzählt sie uns von ihrem Werdegang. In Berchtesgaden wuchs sie auf, sie studierte Geografie und machte danach eine Ausbildung als Touristikfachwirtin. In Salzburg promovierte sie später über „Umweltbildung für Bergsteiger“, dann jobbte sie europaweit in Bergreservaten und landete schließlich in den Jahren 2000 und 2001 als „feste Freie“ beim Umweltministerium in Santo Domingo. Es ging um den Ausbau der dortigen Nationalparks. Jetzt ist sie Mitte dreißig. Und in Georgien am Endziel? Vorsichtig antwortet die junge Frau: „Ich fühle mich sehr wohl. Meine Anliegen kann ich hier viel leichter verständlich machen als zum Beispiel in Santo Domingo. Denn hier hat immerhin früher schon einmal etwas funktioniert.“ Was die Zukunft des Nationalparks betrifft, macht sich die Geografin keine Sorgen. „Er ist ein zu wichtiges Modell für die Region.“
Eine Nische im Park-Business hat auch Kacha Tolordava gefunden, mit dem Karin ihren Büroraum teilt. Der Jazzexperte und Drehbuchautor macht jetzt Park-PR. Anfangs hatte er seine Zweifel. „Aber dann kam meine erste Nachtwanderung im Park“, erzählt Kacha: „Unsere Gruppe von fünf Männern machte eine kurze Rast. Und plötzlich merkte ich, dass alles um mich herum ein merkwürdiges Licht ausstrahlte: die Bäume, wir selbst. Oh Gott, dachte ich: Ich bin doch nicht in der Wildnis plötzlich ausgerastet und begegne hier einem Ufo? Aber als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah ich, dass wir alle über und über von Glühwürmchen bedeckt waren. Ein Ranger lachte über mich: ‚Willkommen in Borjomi-Kharagauli‘, sagte er: ‚Magst du ein bisschen Wein?‘ “
Am besten geeignet für einen Aufenthalt im Borjomi-Nationalpark sind die Monate Juli, August und September. Die Temperaturen variieren dann tagsüber zwischen 18 und 23 Grad, auf den Bergen ist es entsprechend kälter. Flüge: Germania oder Air Zena, Preis: ca. 380 €. Die Übernachtung in den schönen, doch sehr einfachen Nationalparkhütten (waschen im Bach) kostet umgerechnet ca. 5 €. Für einen Guide zahlt man pro Tag 10 €, für Pferde ca. 13 €. Weitere Infos unter www.borjomi-kharagauli-np.ge
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