: Aufbau Ost mit Hightech nach Maß
Erst Uniformproduzent, dann Kombinatlieferant, jetzt Vorreiter des Aufbaus Ost: Bei den Bekleidungswerken Forst an der deutsch-polnischen Grenze will man der Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer trotzen
BERLIN/FORST taz ■ Die Frau verschwindet in der futuristisch anmutenden, badezimmergroßen weißen Kabine. Die Tür schließt sich. Dezente Hintergrundmusik ertönt, dann eine einlullende Frauenstimme vom Tonband: „Entkleiden Sie sich jetzt bis auf die Unterwäsche. Stellen Sie sich nun auf die markierte Fläche.“ Es wird dunkel. Ein Blitz. Nach außen spuckt die Box ein Stück Papier aus. Mit einem zufriedenen Lächeln kommentiert die Frau, die inzwischen der Kabine entstiegen ist, den Computerausdruck mit ihren über 30 Körpermaßen. „Da bin ich ja gar nicht so weit entfernt vom Idealmaß 90-60-90“, kokettiert sie.
Die Kabine steht in der Technikhalle der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik (GFaI), einem auftragsfinanzierten Forschungsinstitut in Berlin-Adlershof. Die Informatiker haben ein neues Körpermessverfahren entwickelt und führen es gerade Interessenten vor. Die Messkabine „BodyFit 3D“ soll der verwüsteten deutschen Bekleidungsindustrie wieder auf die Sprünge helfen und Arbeitsplätze in Ostdeutschland schaffen.
Die Idee: In Sekunden könnten die Maße elektronisch an Textilproduzenten übermittelt werden. Die 100.000 Euro teure Kabine soll ab 2005 in mehreren deutschen Kaufhäusern stehen.
Die Mitarbeiter der Bekleidungswerke Forst üben schon den Ernstfall. Das ostdeutsche Textilunternehmen will sich auf die Fertigung von Maßkonfektion mit BodyFit 3D spezialisieren. Die gerade genommenen Körpermaße werden elektronisch vom Berliner Institut in die Lausitz übertragen. Dort passt ein dafür ausgebildeter Schnittkonstrukteur den Konfektionsschnitt für eine Jacke mit einer speziellen Software an die Maße an – die Ärmel etwas länger, die Taille ein bisschen schmaler. Mit Hilfe des ausgedruckten Schnitts haben die Forster Näherinnen in gut einer Stunde eine Jacke maßgerecht gefertigt.
Bei der Anprobe, zu der die Berliner Gruppe angereist ist, sind alle überrascht, wie gut die Jacke passt. „Wir hoffen, dass noch viele solcher Ernstfälle kommen“, sagt Bärbel Duschat. Sie ist Prokuristin der Forster Bekleidungswerke und die Herrin des mehrstöckigen Fabrikgebäudes im Zentrum von Forst, das mit seinen roten Tonziegeln auf den ersten Blick so gar nicht nach Hightech aussieht.
Forst ist ein Ort mit textiler Tradition. „Deutsches Manchester“ wurde die Stadt einmal genannt. Forst boomte, als Uniformen Hochkonjunktur hatten – erst im Zweiten Weltkrieg, dann zu DDR-Zeiten. Jeder fünfte Anzug, jede fünfte Uniform in Deutschland kam einmal aus Forst. Nach der Wende ging es bergab. Die vormals rund 900 beschäftigten NäherInnen und TextilingenieurInnen der Region sind nun arbeitslos.
„Wir versprechen uns, dass wir hier etwas Neues aufbauen können“, sagt die ehemalige Geschäftsführerin eines geschlossenen Betriebs von Steilmann in Cottbus, Sylvia Töpper. Der Misere der deutschen Bekleidungsindustrie – in den vergangenen zehn Jahren sind die Beschäftigungszahlen um 75 Prozent gesunken – setzen die Forster hochwertige Maßkonfektion entgegen. 40 Prozent der Arbeit entfällt auf die Schnittkonstruktion, die spezielle Technik und Ausbildung erfordert. Deswegen rechnet man in Forst mit einem Aufpreis von bis zu 25 Prozent. Den wären rund eine Million Deutsche bereit zu zahlen, lautet das Ergebnis einer Umfrage des Textilforschungsinstitutes Hohenstein. Denn 50 Prozent der Kaufversuche endeten erfolglos, weil die Kleidung nicht passt.
Außerdem will man in Forst den Standort nutzen – durch geschickte Arbeitsteilung mit Polen. Was bisher ein Problem war, ist heute von Vorteil: Forsts Lage im deutschen Hinterland, direkt an der polnischen Grenze. Rund 85 Prozent der Aufträge werden von den Forster Werken an polnische Unternehmen weitergereicht. Dabei behalten die Forster die Fäden in der Hand: Sie sind verantwortlich dafür, dass alle Aufträge rechtzeitig geliefert werden. „Ohne die Kooperation mit Polen wären die Arbeitsplätze nicht zu halten“, sagt Bärbel Duschat. Bescheiden fängt die Bekleidungsindustrie Forst nach Weltkrieg und Wende zum dritten Mal von vorne an. 25 Beschäftigte haben die Bekleidungswerke, das „Überbleibsel der Konfektionsindustrie in Deutschland“. „Platz für Ausbau ist bei uns reichlich“, frohlockt Bärbel Duschat. MICHAELA KRAUSE
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