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Hertha? Hertha!

Berlin ist an der Spitze der Fußballbundesliga. Kein Wunder: Hertha BSC ist immer dann gut, wenn die Welt zusammenkracht. Ein Abc zum Mitreden

VON KATRIN WEBER-KLÜVER

Alves, Alex – och nee, so geht es nicht. Wir wollen hier nicht gleich alles schlechtreden und mit fiesen Geschichten anfangen, die Hertha BSC Berlin als unzuverlässiges Prollglamteam ohne Persönlichkeit zeigen, wir wollen gar nicht erst mit dem Lamento beginnen, das Image des Vereins in seiner eigenen Stadt jenseits von Wedding und Charlottenburg sei so mies, dass in einschlägigen Kneipen Tore gegen Hertha eher als Tore für Hertha bejubelt werden. Zum in Berlin weltberühmten Brasilianer kommen wir daher später. Aber auch nur kurz.

Berlin also: Der Anspruch, als größter Fußballverein der Hauptstadt auch die erste Geige in der Bundesliga zu spielen, verfolgt Hertha seit dem jüngsten Aufstieg 1997. Meist konnte die alte Dame erfolgreich flüchten. Neue Freunde macht man sich mit Mittelmaß und Grauen in einer unwirtlichen Betonschüssel allerdings nicht. Des Vereins kongenialer Manager Dieter Hoeneß hat festgestellt, Berlin sei für Hertha ein Standortnachteil, denn eine Stadt könne zwar arm und sexy sein, ein Verein aber nicht. Dieses traurige Bekenntnis erfolgte allerdings kurz vor der Übernahme der Tabellenführung.

Chancenverwertung: Niemand schafft es, aus so wenig so viel zu machen wie Hertha 08/09. Die Berliner brauchen für ein Tor keine drei Versuche, an diese Effektivität reicht kein Konkurrent heran. Dass Mannschaften wie Hoffenheim, Leverkusen, Bayern viel mehr Chancen viel schöner herausspielen – geschenkt.

Defensiv: Das wirkliche Geheimnis des Tabellenführers ist die Abwehr. In 20 Ligaspielen hat Hertha 23 Gegentore kassiert, 9 davon bei Bayern und in Bremen. Das war natürlich nicht so gut, bedeutet aber für den Rest der Spiele einen prima Schnitt von 0,78 Gegentoren. Spielerisch berauschend ist das nicht. Ebenso wenig sexy. Aber: ERFOLGREICH!

Elfmeter: Hertha kann viel; dieses Geschenk anzunehmen, gehört nicht dazu. Da der Verein gewohnheitsmäßig im DFB-Pokal früh ausgeschieden ist, ist das egal. Besonders hervorgetan hat sich mit dem Vergeben der Elfer Marko Pantelic, der viermal in Folge verschoss. Wenn’s nach ihm gegangen wäre, hätte er es trotzdem weiter versucht. Er spielt gerne die Diva, dafür aber in der Planung des kompakt kollektiv denkenden Trainers für die kommende Spielzeit keine große Rolle.

Favre, Lucien: der Trainer! Ein Meister! Der Wahnsinn! O. k., nach Spielen parliert Favre in französisch akzentuiertem Deutsch eher niedlich denn erhellend. Aber: Der Mann weiß, was er will. Ist auch nicht so schwer: Erfolg, Titel. Seit kurzem weiß auch die Mannschaft, was der Trainer will, hat Josip Simunic verraten, der, seit er seine Aufgabe besser begreift, zu einem herausragenden Innenverteidiger der Liga aufgestiegen ist.

Gefangenenchor: Aus Gründen, die keiner versteht, will Hertha seinen Fans unbedingt ein originelles Lied schenken. In dieser Saison ist es ein Textmachwerk zur Melodie aus der Nabucco-Oper. Der Klassikbeglückung entzieht sich die Fankurve jedoch, mit Inbrunst gesungen wird dort seit Jahren: Nur nach Hause geh’n wir nicht.

Hoeneß: Dieter, als Spieler und Manager im Schatten seines älteren Bruders Uli stehender, dabei körperlich größer gewachsener Fußballfachmann; seit 1996 Manager der Hertha. Er hatte zwischenzeitlich wegen unerklärlicher Schwächen des von ihm brillant zusammengekauften Teams schon seinen Traum begraben, mit der Meisterschaftsschale durchs Brandenburger Tor zu fahren. Diese Saison wäre seine vorletzte Chance. 2010 gibt er seinen Managerposten auf.

Idole: Internationales Format brachte in der jüngeren Vergangenheit der Brasilianer Marcelinho; ach ja, er war ein Bruder Leichtfuß mit Hang zu Nachtschwärmerei, aber, wenn er guter Dinge war, auch bei der Arbeit eine Freude. Für lokale Streetcredibility stand Andreas Zecke Neuendorf. Der hatte auf dem Platz keine überragenden Fähigkeiten, dafür eine große Klappe und die Idee mit dem Künstlernamen Zecke.

Jugendarbeit: schwierig, schwierig, wie soll es auch anders sein in dieser Stadt, wo überall Probleme lauern, Verlockungen, Verwirrungen. Die Sache ist die: Außer dass es ab und an kulturell oder altersbedingte Schwierigkeiten zwischen Nachwuchsspielern und Ausbildern gab, gibt es das Dilemma, dass sich der Nachwuchs andernorts besser durchsetzt als zu Hause. Das geht aber nicht nur Hertha so, und es gibt ja Schlimmeres, als die Entwicklung der Original-Weddinger Boateng-Brüder aus der Halbdistanz zu verfolgen.

Krise: Hertha ist immer richtig gut, wenn die echte Welt zusammenkracht. Deutscher Meister wurde der Verein erst- und letztmals in der Weltwirtschaftkrise zu Zeiten der untergehenden Weimarer Republik (1930 und 1931); gut in Schwung kam die Hertha noch mal kurz nach der Ölkrise in den 1970er-Jahren, aber die Überschaubarkeit des wirtschaftlichen Dramas brachte den Verein 1975 nur bis zur Vizemeisterschaft. Bei der Ballung von Weltwirtschaftskatastrophen der Gegenwart müsste es mit Meisterschaft drei klappen.

Lauf: Wenn nicht bei der Hertha, bei wem sollte man dann von einem Lauf sprechen? Zu notieren sind: acht Heimerfolge in Serie; und sogar auswärts ist Berlin nicht grottenschlecht, sondern viertbestes Team. Doch, es läuft.

Maskottchen: Die Meinungen über Sinn und Unsinn von Menschen, die als Glücksbringer in bizarren Kostümen stecken, gehen auseinander. Das Hertha-Maskottchen Herthinho, ein 1999 geborener Bär, dessen Name an brasilianische Ambitionen des Clubs erinnert, ist jüngst schon erfolgreicher als sein Club: Er war bereits Deutscher Meister seiner Zunft.

Namen – sind Schall und Rauch und können zu Missverständnissen führen. Bereits erwähnter Alex Alves hatte sich in seiner Heimat einen Namen als Superstar gemacht und wurde so 2000 zum teuersten Hertha-Einkauf. Der Brasilianer machte dann weniger Freude und Tore – immerhin 25 in gut 80 Spielen – als viel Ärger. Oft musste er Strafgelder in die Hertha-Kasse zahlen, insgesamt angeblich einen sechsstelligen Betrag. Zu großem Ruhm kam Alves, als er sich nicht in der Lage sah, seinem Beruf nachzugehen, weil er Fußpilz an sich entdeckt hatte.

Ökonomie – und damit zurück zur Gegenwart: Von den 12 gewonnenen Ligaspielen hat Hertha 9 nur mit einem Tor mehr für sich entschieden. Das ist solides Haushalten mit den eigenen Kräften. Oder einfach nur sehr geballtes Glück. Muss man abwarten.

Polyvalent: in seiner frühen Zeit bei Hertha das Lieblingswort von Trainer Favre. Kein Wunder, dass die Spieler Probleme hatten, ihm zu folgen. In etwa verlangte der Schweizer umfassende Fähigkeit und Bereitschaft, sich allüberall abzurackern, damit keine Gegentore fallen. Inzwischen spricht er weniger von Polyvalenz. Und die Mannschaft begreift ihn besser.

Quote: Wer wird Deutscher Meister? Die Mehrheitsmeinung geht immer noch davon aus, dass Bayern den Titel holt, reich wird man mit diesem Tipp nicht. Für die exklusive Wahl der Hertha bekäme man hingegen ordentlichen Gewinn. Die Quote steht ungefähr bei 1:10.

Rekordkulisse: Niemals hat ein Zweitligist so viele Zuschauer gehabt wie Hertha, als im April 1997 75.000 Zuschauer das Spiel gegen Kaiserslautern sahen. So locker ausverkauft war das Olympiastadion in jüngster Zeit nur noch selten. Aber das wird jetzt natürlich wieder ganz anders.

Spielsystem: Man ist ja variabel heutzutage, aber am besten bewährt sich bei Hertha 08/09 ein 4-4-2. Und zwar tendenziell in der lockeren Doppelsechsvariante, in der Spitze funktionieren Voronin und Pantelic gemeinsam, aber auch mit anderen Partnern. Die ganz große Show jedoch veranstalten derzeit Torhüter Drobny und bereits erwähnter Simunic. Doch, Defensive kann auch fußballästhetisch ansprechend sein.

Torschützen: Die meisten Liga-Tore für Hertha hat Michael Preetz erzielt, nämlich 84. Belohnt wurde er dafür mit einer gefühlt 20 Jahre währenden Managerausbildung bei Dieter Hoeneß und der Aussicht, den Lehrmeister zu beerben. In der laufenden Saison tun sich Pantelic (derzeit verletzt) und Voronin hervor, beide haben bei je 16 Einsätzen je 6 Mal getroffen. Als Dauerjoker (14 Einwechslungen bei 14 Einsätzen) hat Domovchiyski 3 Treffer erzielt.

Unterstützung: Ja gut, Talk of the Town ist Hertha nur selten, und das letzte Mal, dass es schick war, regelmäßig ins Olympiastadion zu gehen, ist ein Jahrzehnt her, damals tourte der Club durch die Champions League. Es gibt aber tatsächlich echte Hertha-Fans in der Metropole, inzwischen sogar in Kreuzberg. Es sind Nachgeborene vorzugsweise westdeutscher Zuwanderer. Da wächst was nach.

Vermögen: Mit Geld kann man bei Hertha nicht so gut umgehen, manchmal kommt auch noch Pech dazu. Der Verein ließ sich in den 1990er Jahren vor lauter Hauptstadt-Ambitionen dazu hinreißen, viel zu spendabel zu wirtschaften. Jetzt arbeitet man an einem verschachtelten Schuldenabbauprogramm. Schon in den Bundesligaskandal 1970/71 waren Hertha-Spieler verwickelt, der Protagonist des Wettskandals 2005, der Schiedsrichter Robert Hoyzer, war ebenfalls Herthaner, ihn lockte unter anderem ein Flachbildschirm als Gabe für zu verschiebende Spiele. Und in den 60er-Jahren kam alles zusammen: Hertha in Spendierhosen bezahlte seinem Torwart mehr Geld als erlaubt, Wolfgang Fahrian wurde gesperrt, der Verein musste zwangsabsteigen.

Wolfsburg: Und so tritt der Spitzenreiter vermutlich zur erstmaligen Verteidigung seiner Top-Position heute im nahegelegenen Wolfsburg an: Drobny – Stein, Friedrich, Simunic, Rodnei – Ebert, Dardai, Cicero, Nicu – Raffael, Voronin.

Zufall, das alles? Eine Tabellenführung nach 20 Spieltagen kann kein Zufall sein. Eine andere Frage ist, ob einer an der Spitze ist, weil er so gut ist oder weil die anderen so schlecht sind. International eingeordnet: Im Uefa-Cup ist Hertha im Dezember schon in der Gruppenphase gescheitert. Uefa-Cup an sich ist in Berlin eh keine Freude, legendär der Auftritt 2003, als für die große Hertha beim kleinen polnischen Groclin Dyskobolia aus Grodzik in der ersten Runde Schluss war. Da ist noch Berliner Luft nach oben.

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