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normalzeitHELMUT HÖGE über den Aufschwung Südost

„Wir haben Kreuzberg an den Weltkunstmarkt angeschlossen!“ (M. Lüpertz)

Kreuzberg ist wieder „im Kommen“, wie Ingeborg Bachmann bereits 1964 unkte. Nun allerdings ohne Touristen und „Lifestylisten“ – so bezeichnet die SO 36-Ethnologin Barbara Lang den letzten Schrei aus Künstlern, Linksalternativen, Hausbesetzern, Alten Wilden und Autonomen im „Problembezirk“, die nach der Wende gen Osten verschwanden.

Viele der Dableiber wurden nach und nach arbeitslos: „Wenn früher von zehn offenen Stellen neun durch Türken besetzt wurden, werden heute stattdessen neun Ostdeutsche eingestellt“, so sagte es 1995 der Osram-Betriebsrat. Infolgedessen versuchen sich die Türken in allerhand Existenzgründungen, wobei sie nicht selten auch Deutsche mit ins Boot nehmen. Wenn ich nicht irre, machte das Restaurant Kafka in der Oranienstraße den Anfang.

Überhaupt hat sich diese Straße vom wendeeuphorischen Shit for Brain Drain bereits gut erholt. Jetzt ist die Wiener Straße dran: Hinten eröffnete der türkische Efesgarten „Burg am See“, vorne entsteht – an der Stelle des abgebrannten Bolle – eine handgeschnitzte Moschee, ein Stück weiter hat sich das Tanzcafé Advena etabliert, und gegenüber eröffnete gerade das Gartenlokal Feuerwasser. Um von dort einen Zugang zur Wiener Straße zu haben, musste die Feuerwache nebenan ihre Zustimmung geben – was sie auch tat.

An ihrer Stelle stand übrigens früher einst ein jüdisches Kaufhaus, das dann von einem Rollkommando aus dem SA-Gartenlokal Wiener 10 gestürmt wurde. In dieser Nazistammkneipe hatte sie im Kegelbahnkeller ein „wildes KZ“ eingerichtet – und bis heute lastet ein Fluch auf dieser Location: Kein Wirt hält es darin länger als ein Jahr aus, jetzt versucht es der türkische Hausbesitzer zur Abwechslung mal wieder selbst – nützt aber nichts.

Ansonsten geht es jedoch gut ab in der Wiener, weswegen sich der Gartendurchbruch – von der Skalitzer 14 aus – für das Feuerwasser auch lohnt. Initiiert hat es Cahit Aslan, ein Garten-, Landschafts- und Raumgestalter, der oft und gerne mit den vier Elementen arbeitet. Am Lokal ist es ein großer Brunnen im Garten, aus dem unentwegt Feuer und Wasser sprudeln. Nachdem er damit fertig war, übernahmen drei junge Leute, Kerem Atasever, Kaan Müjdeci und Sascha Wilczek, das Objekt, wo sie zuvor schon das Sinema Cekirdek (Sonnenblumenkernekino) betrieben, in dem freitags und samstags alte türkische Spielfilme gezeigt werden, dazu gibt es Zuckerwatte, Halva, Eis und frisch geröstete Kichererbsen sowie Sonnenblumenkerne. Ansonsten sind die drei beim Multikulti-Karneval aktiv und Herausgeber eines kostenlosen Veranstaltungs-„Magazins der Kulturen“ namens Tellal („Ausrufer“ auf Arabisch). Das Gartenlokal war zuvor ein türkischer Zockertreff, der sich jedoch nicht rentierte. Überhaupt mussten die meisten türkischen Männerlokale mangels Umsatz inzwischen steuerbegünstigten Kultur- und Sportvereinslokalen weichen. Das Feuerwasser muss noch den Vorbesitzer auslösen, ein Problem, an dem Cahit angeblich scheiterte. Im Gartenlokal soll es nach einer Renovierungspause neben dem Kino noch Lesungen sowie Musik- und Tanzveranstaltungen geben – eine indische Tänzerin und eine Bauchtänzerin sind quasi schon unter Vertrag.

Andersherum hat das Künstlerhaus Bethanien bereits Interesse an einer Kooperation mit dem „Feuerwasser“ gezeigt. Denn dort, das heißt in der aus Geldmangel geschlossenen türkischen Bibliothek, wird am 27. August eine Ausstellung mit türkischen und deutschen Künstlern eröffnet: „Berlin–Istanbul vice versa“. Und diese Schau ist wiederum Vorspiel für ein ähnliches, größeres Kunst-„Projekt“ im nächsten Jahr …

Ich will damit sagen: Der Exodus der Deutschen (Trendhechler) aus Kreuzberg hat dem Bezirk gut getan! Ganz anders sieht das natürlich der CDU-Ekelprotz Landowsky: „Die interessante Szene“ hat sich nach Mitte verlagert, meint er, während in SO 36 nur „Junkies, Gewalt und Ausländer zurückblieben“. Was er nicht sagt, ist, dass daran allein die BVG schuld ist, die am Görlitzer U-Bahnhof ständig „Zu-rückbleiben!“ ruft. Die Gegend drum herum ist darob regelrecht gemütlich geworden.

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