piwik no script img

Die richtige Rösche in der Überseestadt

In Gröpelingen steht seit mehr als hundert Jahren die Roland-Mühle mit eigenem Hafenanschluss. „Dieser Hafen macht uns wettbewerbsfähig“, sagen die beiden Chefs. Der Stadt werfen sie vor, die Betriebe zu verunsichern. Teil 1 der Serie „Betrieb im Hafen“

Mehltechnisch gesehen ist übrigens der Hamburger das Gegenteil von einem Keks

Nicht weit vom Areal des Space-Park dreht sich ruhig und gemächlich die Planetenrührmaschine. Mit dem Weltall und hochfliegenden Träumen hat sie allerdings wenig im Sinn. Eher schon mit dem Backen kleiner Brötchen. In der Backstube der Roland-Mühle verlassen täglich mehrere Dutzend „Krosse“ den Ofen und warten darauf, von Herrn Molitor, dem Qualitätssicherer, verkostet zu werden. Genau. Verkostet. Nicht bloß beim Wein, auch beim Brötchenbacken kann so einiges schief gehen. Ist die Kruste auch wirklich „zartsplittrig“, hat sie die richtige „Rösche“? Erzeugt die Krume ein „kompaktes Mundgefühl“?

„Man kann Getreide nur zum Teil analytisch beschreiben“, so Berend Jürgen Erling, einer der beiden Chefs der Roland-Mühle, über den sensiblen Rohstoff Korn. „Sie können sagen, wie hoch der Anteil der Proteine ist, aber wie es sich dann beim Backen wirklich verhält, das wissen sie vorher nicht.“ Also wird von jeder Ladung Korn, die mit dem Schiff aus Deutschland, Übersee oder Osteuropa ankommt, eine Probe gezogen. In sauber beschrifteten Leinensäcken landet die Probe dann in der Backstube, wird dort in einer kleinen Mühle gemahlen, in der Rührmaschine zu Teig geknetet und anschließend gebacken. „Erst dann weiß man, mit was für einem Mehl man es zu tun hat und erst dann kann ich sagen, ob es das richtige für diesen oder jenen Kunden ist“, so Erling.

Sein Vetter Hans-Christoph Erling, der andere Chef, bringt es auf eine Formel: „Wir befinden uns mit der Mühle an der Schnittstelle von Natur und Industrie. Der Backbetrieb, ob das nun Coppenrath, Brandt-Zwieback oder eine kleine Bäckerei in Walle ist, will, dass sich das Naturprodukt Mehl in seinem Teig immer gleich verhält. Und dafür müssen wir sorgen.“

An die 200 Mehlsorten werden in der Waller Mühle hergestellt. Mehl für Kekse, für Tiefkühl-Croissants, für Hamburger oder Vollkornbrot. Mehltechnisch gesehen ist übrigens der Hamburger das Gegenteil von einem Keks. Während der eine vor Proteinen nur so strotzen muss, darf das Keksmehl nur sehr wenig davon haben. Ganz so ausdifferenziert war die Palette der Mühle nicht immer. Angefangen haben die Vorfahren der heute geschäftsführenden Vettern im Jahre 1834 mit der Mühle in den Wallanlagen. Mit der Bevölkerungsexplosion und dem rapide steigenden Bedarf an Grundnahrungsmitteln in den Städten machte Carl Erling dann mit einer spektakulär-modernen Dampfmühle von sich reden. Die heutige Roland-Mühle, ein Vorzeigebau der Gründerzeit, steht erst seit 1897 im Waller Holz- und Fabrikenhafen. Der massige backsteinerne Turm mit dem pagodenartigen Dach und dem goldenen Schriftzug „Roland-Mühle“ ist eines der markantesten Gebäude der Übersee-Stadt.

Mehl ist in diesem Wahrzeichen allerdings nicht drin. Das lagert in heutigen Zeiten vielmehr in den zahlreichen und wenig spektakulären Silos drum herum. Und auch die Mühle selbst befindet sich in einem eher unscheinbaren Nebengebäude, dem man seine Funktion von außen nicht ansieht. In der untersten Etage stehen, sauber hintereinander aufgereiht, 80 knallrote „Walzenstühle“ - als Sitzmöbel eher ungeeignet. Darin zermahlen Walzen mit unzähligen Riffeln das Korn. Ein einziger Mensch ist in der großen Halle mit einem Wischmob dabei, die Mahlmaschinen so staubfrei wie möglich zu halten. Darüber rütteln auf mehreren Etagen mannshohe, grün-metallene Schränke lärmend vor sich hin. Der helle Holzboden aus kanadischer Pitchpine federt die permanenten Stöße ab. In den Metallschränken werden Siebe hin und her gerüttelt, sie trennen das gemahlene Korn in die feinen und weniger feinen Bestandteile. Mehl, Kleie und Schrot werden in blitzblanken Rohren hinauf und hinunter in die angrenzenden Stockwerke gepustet. Menschen sieht man hier überhaupt nicht.

Aber es gibt sie natürlich. Gut hundert Leute arbeiten in der Roland-Mühle – der zweitgrößten Deutschlands. „Früher waren es 400“, sagt Berend Jürgen Erling, „aber da haben die Packer die 100-Kilo-Säcke ja auch noch einzeln gestemmt. Sogar eine eigene Sackflickerei hatte die Firma früher“. Damit ist heute freilich Schluss. Nach wie vor aber sind es Schiffe, die das Getreide bis vor die Haustür der Roland-Mühle bringen. Anders als bei Kaffee, Kakao oder Baumwolle ist die „Containerisierung“ der Schifffahrt am Getreidetransport vorbeigegangen. Die Containerverschiffung ist zu aufwändig für ein Produkt, das bei weitem nicht so werthaltig ist wie eben Kaffee oder Kakao. Stattdessen sind also die Binnen- oder Hochseeschiffe mit einem Bauch voller Korn auf den Meeren unterwegs, auch auf den Flüssen – sofern sie tief genug sind. „Dass wir den Hafen haben, ist unser größter Standortvorteil“, beschreibt Berend Jürgen Erling den Unterschied zu anderen Mühlen. „Ein Hafen bedeutet Flexibilität in der Logistik, so dass wir in jeder Ernte die Gebiete auswählen können, mit deren Getreide wir unsere Mehlqualität optimal herstellen können. Das ist mal Deutschland, mal Übersee und mal Kasachstan.“ Bis zu 90 Prozent des Getreides für die Roland-Mühle kommen mit dem Schiff. Der Rest per Bahn oder Lastwagen. Es ist diese Hafenbindung, die den Betrieb so empfindlich macht bei der Debatte um die Umnutzung der alten Hafenreviere.

Zwar genießt auch die Roland-Mühle, wie alle anderen Betriebe, einen so genannten „politischen Bestandsschutz“, „aber was das genau ist, das versuchen wir zurzeit zu definieren“. Für die Erlings würde es eben bedeuten, dass der Holz- und Fabrikenhafen als Hafen erhalten bleibt und von der Stadt weiter unterhalten wird. Misstrauisch sind sie gegenüber den Plänen, in der Überseestadt Wohnen und Gewerbe zu mixen. „Entweder bekennt man sich zum Hafen, dann muss man Strukturen schaffen, in denen die Nachbarschaft möglichst konfliktarm gestaltet werden kann“, so Berend Jürgen Erling – sprich, derjenige, der im Hafen wohnt ist ein Gast und darf für sich nicht viele Rechte in Anspruch nehmen. „Oder man entscheidet sich für einen neuen Stadtteil, dann muss man den Betrieben, die es hier noch gibt, eine Brücke rausbauen“. Stattdessen seien die Planungen für die Überseestadt nicht Fisch und nicht Fleisch: „Das verunsichert die Betriebe.“ Er verweist auf das Modell der Überseestadt-Planer: „Da haben sie gleich neben der Mühle Büroräume geplant. Das ist aber zum Beispiel gar nicht möglich, weil wir ein so genannter Störfallbetrieb sind.“

Wenn es nach den Vettern Erling ginge, dann würde die Stadt sich mehr um die verbliebenen Betriebe im Hafen kümmern. „Wer heute von Hafen redet, der meint damit immer nur Container und Logistik. Aber Hafenwirtschaft ist sehr viel mehr“, insistiert Berend Jürgen Erling. „Arbeitsplätze entstehen doch viel eher in den wertschöpfenden, also produzierenden Betrieben“. Und wie die Roland-Mühle gebe es viele, für die der Anschluss an ein Hafenbecken Gold wert sei. „Die Politik muss da gar nicht viel fördern“, sagt Hans-Christoph Erling. „Sie muss dieses Gebiet einfach nur überregional bekannt machen, an Betriebe herantreten und dann Planungssicherheit schaffen“, so sein Rezept. Ein gelungenes Beispiel: Die Mälzerei Weissheimer unweit der Roland-Mühle, die vom fränkischen Ansbach an die Weser gezogen und glücklich sei, nun einen Standort mit Seehafen gefunden zu haben. Elke Heyduck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen