: Monopole bitten zur Kasse
Das Europaparlament berät eine neue Richtline der EU, die auch Patente für Software erlaubt. In den USA ist das schon lange möglich, und die Schäden für den freien Wettbewerb sind verheerend
von PETER MÜHLBAUER
Gestern fand in Brüssel eine Demonstration statt, die vielleicht schon zu spät kommt. Der Protest versuchte, auf ein Problem hinzuweisen, das trotz seiner weitreichenden Folgen im öffentlichen Bewusstsein kaum eine Rolle spielt. Selbst die Berufspolitiker des Europaparlaments sind in ihrer übergroßen Mehrheit weit überfordert. Trotzdem wollen sie am 1. September über die Legalisierung von Softwarepatenten entscheiden.
Sie hätten gute Gründe, den ihnen bis heute vorliegenden Entwurf abzulehnen. Er verringert den Wettbewerb und bringt erhebliche Nachteile für kleinere Softwareschmieden und Verbraucher mit sich. Für freie Software wie Linux könnte er sogar das Aus bedeuten. Aus diesem Grund hat der „Förderverein für eine Freie Informationelle Infrastruktur“ (FFII, offen.ffii.org/ffii) zu der Straßendemonstration in Brüssel aufgerufen. Seit längerem unterhält die Organisation eine Website in mehreren Sprachen, die umfassend und drastisch darüber aufklärt, was auf dem Spiel steht: Auf der Begrüßungsseite ist zu lesen, dass diese Adresse soeben gesperrt wurde, weil sie Patentrechte verletze.
Die Onlineprovokation könnte alltägliche Realität werden. Es geht nicht um den Schutz legitimer Urheberrechte, die längst auch für Software gelten. Die Patente, die nun legal werden sollen, gewähren eine Monopolposition, die die Entwicklung von Alternativen verhindert. Während der Urheberrechtsschutz nur das Abschreiben unterbindet, verbietet ein Patent auch die wirtschaftliche Nutzung selbstständig entwickelter alternativer Lösungswege und damit die Erfindung von Konkurrenzprodukten.
Amerikas Lobby
Wäre zum Beispiel ein Patent auf Textverarbeitung mit Hilfe eines Computers erteilt worden, gäbe es nur ein einziges legales Textverarbeitungsprogramm. Konkurrenzprodukte, die das Problem besser, mit anderen Programmschritten oder mit einem benutzerfreundlicheren Erscheinungsbild lösen, wären vom Markt ausgeschlossen.
Daniel Cohn-Bendit ist sich deshalb mit den meisten europäischen Softwareentwicklern einig, die eine Petition mit über hunderttausend Unterschriften gegen die geplante Richtlinie eingereicht haben. „Unter dem Vorwand, Erfinder und ihre Erfindungen zu schützen“, sagt der Europaabgeordnete, „erlaubt er in Wahrheit den Multis, den Markt zu monopolisieren.“ Stefan Pollmeier, Leiter eines mittelständischen Unternehmens und einer der Wortführer der Softwarepatentgegner, stellt fest, dass die Richtlinie für die europäische Softwarebranche eine große Gefahr darstellt, weil sie zu „weitreichenden Monopolen in nicht umgehbaren Schlüsselfeldern aktueller und kommender Softwareanwendung“ führt.
Noch weiter geht die österreichische Europaabgeordnete Mercedes Echerer: „Wenn das Patentgesetz in seiner jetzigen Form in Kraft tritt, bedeutet dies das Aus für die europäische Softwareindustrie und für die freie Software- und Open-Source-Branche, die, nicht zufällig, hauptsächlich in Europa beheimatet ist. Die Annahme dieses Patentgesetzes bedeutet die freiwillige Abtretung der Kontrolle über die Datenverarbeitung an die USA und steht im Gegensatz zur Lissabonner Strategie der EU, der dynamischste wissensbasierte Wirtschaftsraum der Welt mit Vollbeschäftigung zu werden.“
Die Kritiker stehen einer von den europäischen Sozialdemokraten angeführte Koalition der Softwarepatentbefürworter gegenüber, deren Motive weitgehend im Dunkeln blieben. Denn Amerika, wo Softwarepatente bereits seit Jahren vergeben werden, bietet einige Einblicke in die negativen Folgen. Obwohl ein Patent auf Hyperlinks, das die Existenz des World Wide Web in Frage gestellt hätte, im letzten Jahr vor Gericht für ungültig erklärt wurde, hat sich die Praxis der Aufdeckung eines Patents, nachdem es sich als Standard durchgesetzt hat, bereits als Wettbewerbswaffe etabliert. So hält beispielsweise die Firma Unisys ein Patent auf eine Methode der Datenkomprimierung namens „LZW“, die dem GIF-Grafikformat zugrunde liegt. Erst nachdem sich das Format als Standard durchgesetzt hatte, forderte das Unternehmen Lizenzgebühren. Selbst für eine derart triviale Idee, eine Internetbestellung mit einem einzigen Klick ausführbar zu machen, erwarb der Internetversender Amazon still und heimlich ein amerikanisches Patent. Als dann Barnes & Noble ebenfalls Anteile am Internetbuchhandel erobert hatte, zwang Amazon den Konkurrenten mit dem eigentlich als Innovationsschutz gedachten Instrument zu einem technisch überflüssigen Extraklick.
Tretminen
Bisher verbietet das Europäische Patentübereinkommen solche Auswüchse. Trotzdem meldeten vor allem amerikanische Konzerne Software auch in Europa zu Patenten an und bekamen sie erteilt – illegalerweise. Bereits jetzt haben Beschäftigte des Europäischen Patentamts, deren Leistung vorwiegend nach der Zahl der erteilten Patente und nicht nach der juristischen und technischen Qualität der Prüfung beurteilt wird, ihre Erteilungspraxis derart ausgeschlampt, dass der Verein FFII die Zahl solcher „Schwarzpatente“ auf 20.000 bis 30.000 schätzt.
Wie Tretminen schlummern sie im Verborgenen, bis sie durch eine europäische Softwarepatentrichtlinie legalisiert werden. Darunter sind auch zahlreiche Patente auf Standardlösungen wie den Fortschrittsbalken bei der Installation eines Programms und Menüoptionen, die wie Reiter in Karteikästen angeordnet sind. Wie erst jetzt bekannt wurde, hat das Europäische Patentamt Amazons berüchtigtem „One-Click-Patent“ sogar einen noch breiteren Anspruchsbereich als in Amerika gewährt.
Bei einer nachträglichen Legalisierung wirken diese Patente wie Zeitbomben und können dazu benutzt werden, tausende kleiner Softwarefirmen vom Markt zu klagen oder ihre Produkte über nach oben offene Lizenzgebühren erheblich zu verteuern: weniger Wettbewerb, mehr Monopole und höhere Preise für Verbraucher. Auf diese Weise landen die publicitywirksam erlassenen Steuergroschen schnell wieder als Subventionen bei Microsoft und Konsorten.
Eine besonders bizarre Folge der Richtlinie wäre, dass nicht einmal europäische Firmen von diesen Subventionen profitieren, sondern – im Gegenteil – durch sie benachteiligt werden: Oliver Lorenz vom Berliner Softwareunternehmen „Magix“ spricht von einem „uneinholbaren Patentvorsprung zugunsten außereuropäischer Unternehmen“, der durch eine nachträgliche Legalisierung solcher rechtswidrig erteilten Patente gewährt würde. Dieser Effekt verwundert nur wenig, wenn man berücksichtigt, wie der Entwurf für die Richtlinie zustande kam: Eine frühe Version des Richtlinienentwurfs trug im Autorenfeld des Word-Dokuments noch den Namen von Francisco Mingorance, dem Europa-Lobbyisten das Verbands der amerikanischen Softwaregiganten.
Fragt sich also, wieso die Europaabgeordneten solch ein Subventionsgesetz für amerikanische Softwaremonopole bisher mehrheitlich befürworten. Die SPD-Europaabgeordnete Erika Mann erklärt, Fragen wie diejenigen des Patentrechts für Software seien „technisch sehr kompliziert“, weshalb sie in den Fraktionen immer nur von einer „kleinen Gruppe“ behandelt würden, die dann als „Meinungsführer“ das Abstimmungsverhalten vorgäben.
Ein Armutszeugnis, das noch peinlicher wirkt, da sich die deutschen Europaparlamentarier soeben mit Verweis auf ihre „Kompetenz“ die Diäten um stolze 1.700 Euro auf 8.671 Euro erhöht haben. Auf seiner Website greift der Verein FFII weit in die Geschichte zurück, ins 17. Jahrhundert. Der englische Admiralitätssekretär Samuel Pepys schrieb damals, der Ruf des Parlaments habe derart gelitten, dass man statt „Leck mich am Arsch“ nur mehr „Leck mich am Parlament“ sage.
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