Zahl der Woche: Die unerlaubte Bedienung eines Atomkraftwerks muss nicht sehr teuer sein
20.000
20.000 Euro kostet es, ein Atomkraftwerk unerlaubt zu bedienen – zumindest laut einer Entscheidung der Staatsanwaltschaft Moosbach. Die Betreiber hätten „fahrlässig den Betrieb des Kernkraftwerks Obrigheim ohne die erforderliche Genehmigung wesentlich geändert“, und das jahrelang. Die „vorgesehene Sicherheitseinspeisung“ für die beiden Notkühlsysteme des ältesten deutschen AKWs war deswegen „nicht vollständig funktionsfähig“. Und die verantwortlichen Betriebsleiter haben all das „aus verfahrenstechnischen Gründen hingenommen“. Strafrechtliche Folgen zieht das nicht nach sich.
Nach den dreijährigen Ermittlungen stellte die Anklagebehörde die beiden Verfahren wegen „unerlaubten Betriebs einer kerntechnischen Anlage“ gegen Zahlung der Geldbuße jetzt ein. 20.000 Euro – für doppeltes menschliches Versagen in der Kontrollzentrale eines Atomkraftwerks. Nachträgliche Berechnungen, so heute die Argumentation, hätten gezeigt, dass trotz der erwiesenen Schlamperei irgendwie doch noch genügend boriertes Kühlwasser bereit gestanden hätte, das den Reaktorkern bei einem Leck im Kühlkreislauf hätte fluten können. Eine „konkrete Gefahr“ habe daher nicht bestanden. Ungefährlich war das trotzdem nicht: Denn dass noch ausreichend Notkühlwasser vorhanden war, konnten die AKW-Angestellten, die sich jahrelang bewusst über die Betriebsvorschriften für die Atomanlage hinweggesetzt haben, nicht wissen. Christine Denz von der Klägergemeinschaft „AKW Obrigheim abschalten“ ist mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft denn auch überhaupt nicht zufrieden. Bei einer Hochrisikotechnologie, sagt sie, müsse der Mensch „absolut gut funktionieren“ – „und das hat hier nachweislich nicht geklappt“. Der Betreiber des AKWs weist indes jede Schuld von sich. Die Mitarbeiter hätten die Geldbuße, die sie bereits überwiesen haben, nur „aus verfahrensökonomischen Gründen“ akzeptiert. Ein Schuldanerkenntnis sei damit nicht verbunden. Laut Strafprozessordnung kann ein Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt werden, wenn diese „geeignet ist, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht“. Dem Vernehmen nach wollte die Staatsanwaltschaft vor allem das Risiko eines Freispruchs für die Beschuldigten nicht eingehen.
An Licht gekommen war die systematische Missachtung der Sicherheitsvorschriften zunächst beim AKW Philippsburg.
Bei Nachforschungen waren die Ermittler dann auch in anderen von EnBW mit betriebenen AKWs fündig geworden. Im Fall Neckarwestheim wurde das Verfahren jedoch bereits vor Monaten wegen „mangelndem Anfangsverdacht“ eingestellt. Und mit der jüngsten Entscheidung, befürchten Insider, sänken die Chancen, dass es in Philippsburg zu einem Prozess komme. In Obrigheim seien die nachweisbaren und nicht verjährten Verstöße am gravierendsten gewesen.
ARMIN SIMON
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