: Gericht rügt unorthodoxen Orthopäden
Patienten eines Hamburger Orthopäden können selbst bestimmen, wie viel sie bezahlen. Das Berufsgericht erteilte dem Arzt nun einen Verweis. Die Ärztekammer sieht sich darin bestätigt, dass Honorare nicht verhandelbar sind
Der Hamburger Arzt Ludwig Flocken hat dank seines freien Bezahlsystems keine Probleme mit der neuen Gebührenordnung. Die ist am 1. Januar 2009 in Kraft getreten und bereitet vor allem den Orthopäden Kopfschmerzen: Das eingeführte Regelvolumen reiche nicht aus, um kostendeckend zu arbeiten. Für rund 35 Euro pro Patient und Quartal müssten unter anderem Beratungen, Untersuchungen, Injektionen, Ultraschall und Krankengymnastik geleistet werden. Während Orthopäden in Schleswig-Holstein Anfang Februar tagelang streikten, greift eine Hamburger Praxis nun zu drastischeren Maßnahmen: Behandlungsstopp. Patienten dürften nur maximal drei Mal pro Quartal zur Behandlung kommen. Jeder weitere Arztkontakt werde privat abgerechnet. Die Krankenkassen verzeichnen mittlerweile überall in Deutschland hunderte ähnlicher Fälle, in denen Mediziner ihren Patienten die Behandlung verweigern. UG
VON UTA GENSICHEN
Weil der Bergedorfer Orthopäde Ludwig Flocken kein Sklave seines Lohnes sein will, hat ihm das Berufsgericht Hamburg am Mittwoch einen Verweis erteilt. Seit elf Jahren betreibt der Arzt seine Praxis für Orthopädie und Chirotherapie. Vor fünf Jahren entschied sich Flocken dann gegen die allgemein gültige Gebührenordnung und für ein freies Bezahlsystem.
Seine Patienten können seither selbst bestimmen, wie viel ihnen eine Behandlung wert ist. Die Ärztekammer indes sieht in Flockens Verhalten einen Verstoß gegen die geltende Berufsordnung. Diese sieht vor, dass Ärzte sich an die Gebührenordnung zu halten haben – selbst wenn sie, wie Flocken, keine Kassenzulassung besitzen.
„Das Urteil des Berufsgerichts bestätigt, dass Honorare nicht frei verhandelbar sind“, kommentiert Ärztekammer-Sprecherin Sandra Wilsdorf den Ausgang der Verhandlung. Die 1982 eingeführte Gebührenordnung diene schließlich dazu, dass Ärzte und Patienten gerade nicht miteinander über das zu zahlende Honorar verhandeln. Für ein gleichberechtigtes Verhältnis sei das Konzept der Freiwilligkeit deshalb schädlich, sagt die Sprecherin.
„Bei mir muss man keine Angst haben, ausgenommen zu werden“, widerspricht Ludwig Flocken. Ihm ginge es vielmehr um ein korrektes Arzt-Patienten-Verhältnis mit gegenseitigem Respekt voreinander. Die Patienten bekunden ihren Respekt, indem sie Flocken einen nach ihrer Einschätzung angemessenen Betrag bezahlen. „Reverse Pricing“ ist der Fachbegriff für diese ungewöhnliche Art der Bezahlung.
Außerdem erklären sich Flockens Patienten schriftlich dazu bereit, pünktlich zu dem vereinbarten Termin zu erscheinen. Sollte der Orthopäde dennoch vergeblich zum ausgemachten Zeitpunkt warten, wird der Patient aufgefordert, eine Spende an den von Flocken gegründeten Verein Therapeutikum Apis zu spenden. Mit diesem Fonds finanziert Flocken die Behandlung von Mittellosen, von denen er zwar kein Honorar, jedoch ein Pfand von 50 Euro verlangt. Er selbst zollt seinen Patienten Respekt mit dem Versprechen, keine einzige Minute im Warteraum verbringen zu müssen. „Natürlich gibt es Menschen, die solch eine Verbindlichkeit nicht wollen“, sagt Flocken. Seine Patienten kämen mit der unorthodoxen Vereinbarung, bei Nichterscheinen eine Art Ausfallhonorar zu zahlen, aber gut zurecht.
Vor zwei Jahren allerdings beschwerte sich die Ehefrau eines Stammpatienten des Orthopäden bei der Ärztekammer. Nachdem sie einen Termin nicht wahrnehmen konnte, weigerte sie sich, das eingeforderte Spendengeld an den Fonds Therapeutikum Apis zu zahlen. „Für eine derartige Entschädigung gibt es keine Grundlage“, sagt Sandra Wilsdorf. Eine Ausnahme bildeten Ärzte wie Chirurgen oder Psychotherapeuten, die sich üblicherweise für die Dauer einer Behandlung mindestens eine Stunde Zeit nehmen. Bei einem kurzfristigen Terminausfall hätten sie Anspruch auf Schadensersatz.
Der Verweis des Berufsgerichts hält den Hamburger Arzt zukünftig jedoch nicht davon ab, sein Honorarsystem wieder umzustellen. „Ich werde so weitermachen wie bisher“, sagt er. Vielleicht, so überlegt der Orthopäde, werde er es aber seinen Patienten nun freistellen, Ausfallgebühren zu bezahlen. Die Angst der Kammer, andere Ärzte könnten es ihm gleichtun und so das Prinzip der Gebührenordnung auf den Kopf stellen, kann Flocken nicht verstehen. „Ich will nicht die Welt verbessern oder das Gesundheitssystem revolutionieren.“ Es ginge ihm nur um das ganz persönliche Verhältnis zu seinen Patienten und darum, angemessen für seine Arbeit bezahlt zu werden. „Früher war es schwierig, eine Familie mit den Gewinnen aus der Praxis zu unterhalten“, sagt der Vater von fünf Kindern. Mittlerweile könne er aber gut von seinen Einnahmen leben.
Insgeheim vermutet Flocken bei seinen Kritikern einen anderen Grund als die Berufsordnung, ihm sein Bezahlsystem streitig zu machen: Neid. „Viele Ärzte merken doch, dass das Gesundheitssystem derzeit an die Wand gefahren wird“, sagt Flocken. Lieber tut er es den Advokaten des alten Roms gleich, die ein vereinbartes Honorar verpönten. „Wer für einen festen Lohn arbeitet, ist ein Sklave“, sagt Flocken. Um den Patienten weiter die Freiheit über seinen Lohn zu lassen, wird er demnächst gegen den Verweis des Berufsgerichts in Revision gehen.
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