: Hermes als bote des bösen
Allein die sicherheitsmaßnahmen bei den olympischen spielen in Athen kosten so viel wie die spiele von München 1972 insgesamt. Einer festung gleicht die stadt bisher aber trotzdem nicht
AUS ATHEN FRANK KETTERER
Georgios ist wirklich ein durch und durch netter und friedfertiger mensch, doch wenn die rede auf das thema sicherheit kommt, was ziemlich oft der fall ist, kann er ganz schön in rage geraten. Wahnsinn sei doch, was das alles koste, findet der liebe Georgios, übertrieben die ganzen sicherheitsmaßnahmen sowieso, weshalb er und all die anderen gut 4 millionen seiner athener mitbürger mittlerweile die ahnung beschlichen habe, dass man ihnen und ihren spielen das so unverschämt teure sicherheitssystem nur aufgedrückt habe, um einen ziemlich fetten reibach zu machen. „Warum sollten terroristen hier einen anschlag machen?“, fragt Georgios jedenfalls. „Wenn sie das tun, haben sie doch die ganze welt gegen sich.“
Vielleicht muss man das als braver athener so sehen. Fakt ist aber auch, dass das thema außerhalb Griechenlands etwas argwöhnischer betrachtet wird. So ist einer umfrage zufolge fast ein drittel aller europäer der meinung, dass die spiele, die am freitag offiziell eröffnet werden, nicht friedlich über die bühne gehen, in den Niederlanden ist es gar über die hälfte der bevölkerung, die da glaubt, athen werde opfer eines terroristischen anschlags. Und nicht wirklich beruhigend wirkt da die tatsache, dass für die spiele bereits pathologen aus dem ausland angefordert wurden, die bei der identifizierung von leichen helfen sollen.
Unter den experten werden vor allem drei szenarien gehandelt, die als von potenziellen terroristen präferiert zu betrachten sind: 1.) sprengstoffanschläge; 2.) anschläge, die eines gewissen technischen aufwandes bedürfen, beispielsweise der einsatz einfacher chemischer kampfstoffe; und schließlich: 3.) anschläge, die eine ausgefeilte logistik benötigen, stichwort 9/11. Entsprechendes wurde bei der letzten großen sicherheitsübung, „Olympic Hermes“ genannt, durchgespielt. Dort ging es um den abschuss einer Air-France-maschine, eine selbstmordattentäterin in der athener innenstadt sowie eine Geiselnahme durch al-qaida auf der Queen Mary 2, die im hafen von Piräus liegt. Zwar erklären, ähnlich wie Georgios, auch die internationalen sicherheitsdienste von Mossad über Interpol bis FBI, eine „glaubwürdige, spezifische terroristische bedrohung“ für so gut wie nicht existent, aber sicher ist eben sicher.
Und, vor allem, teuer, sauteuer sogar, genau das ist es ja, was Georgios so erzürnt. Rund 1,2 milliarden euro werden all die vorkehrungen gegen den terror kosten, so viel wie noch nie bei olympischen spielen – und auch die griechen hat das ziemlich überrollt, weil die veranschlagten kosten vor ein paar monaten noch bei knapp der hälfte lagen. Schon das war doppelt so viel wie bei olympia vor vier jahren in Sydney. Wer das am ende bezahlen muss, ist noch nicht ganz raus, was es dafür gibt, hingegen schon: Rund 70.000 soldaten und polizisten, die die straßen, sportstätten und gebäude bewachen, Awacs-flugzeuge der Nato, die den luftraum im auge behalten, kriegsschiffe, die vor und im hafen wache schieben, sowie ein computergesteuertes sicherheitssystem, das aus über 1.500 überwachungskameras, bewegungsmeldern und unterwassersensoren (im hafenbecken) besteht und als das herzstück des olympischen sicherheitskonzeptes gilt. Hergestellt und aufgebaut wurde es von der US-firma SAIC und von Siemens.
Wenn man das so hintereinander aufreiht, könnte man leicht auf den gedanken kommen, dass Athen derzeit einer ziemlichen festung gleichen muss, in der man sich, big-brother-gleich, ständig beobachtet oder kontrolliert fühlt. Aber dem ist nicht so, jedenfalls im moment nicht, da es noch zwei tage sind bis zur offiziellen eröffnung. Daran, dass alles, was bei so einem großereignis nach sportstätte aussieht, von hohem zaunwerk umgeben ist, hat man sich mittlerweile schon bei anderen sportveranstaltungen gewöhnen müssen. Dass davor an so gut wie jeder ecke ein, zwei, drei polizisten mit geschultertem maschinengewehr herumlungern, ist nicht sonderlich schön, aber kaum zu ändern. Der zeppelin, der ständig über der stadt schwebt, um fotos zu schießen, tut dies lautlos und schon deshalb weitgehend unbemerkt, außer man schaut mal zufällig nach oben. Die raketenwerfer am flughafen wiederum hat man nach dem ganzen landestress fast schon wieder vergessen. Und auch die kontrollen verlaufen eher entspannt: Bei der einreise wollten die jungs vom zoll, so überhaupt welche vor ort waren, noch nicht mal den ausweis sehen, und auch das pressezentrum ist ohne größere umstände zu betreten. Bei den winterspielen in Salt Lake City waren die kontrollen jedenfalls strenger.
Vielleicht ändert sich das alles noch, wenn die spiele am freitag losgehen und die besuchermassen strömen. Zwei millionen menschen werden erwartet, vier millionen athener sind sowieso immer da (auch wenn viele derzeit auswärts urlauben). Fehlen noch die über 10.000 sportler und die hunderte von staatlichen würdenträgern, die es vor allem zu beschützen gilt. „Wie soll man für eine ganze stadt und so viele menschen hundertprozentige sicherheit herstellen? Das geht doch gar nicht“, sagt Georgios, der nette athener. Er sagt auch: „Was möglich ist, haben wir getan.“ Auch wenn es ihm deutlich zu teuer war.
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