: Aber wir haben doch den Millowitsch!
In keinem anderen Ressort gab es in Köln in den letzten Jahren so viele Pannen wie in der Kulturpolitik. Teil II der taz-Serie zur Kommunalwahl
von Jürgen Schön
Es ist schon fast eine Binse: Kölns Kulturpolitik liegt am Boden. Kulturhauptstadtbewerbung: gescheitert. Kulturzentrum am Neumarkt: ein Loch. Kulturdezernentenwahl: spektakulär gescheitert. Geprägt vom Leerstand der städtischen Kassen zieht sich die Politik aus Förderungen, aus dem kulturellen Leben zurück. Und da, wo sie noch Einfluss nehmen kann, versagt sie zumeist. Nicht einmal die CDU, die sich bester Beziehungen zur Arbeitgeberschaft rühmt, vermag als Mehrheitsfraktion im Kölner Rat die Reichen und Mächtigen dieser Stadt dazu zu bewegen, in alter Mäzenenmanier, also ohne direkte Einflussnahme, der Kunst unter die Arme zu greifen. So werden Künstler aus ihren Ateliers im Nippeser Ausbesserungswerk vertrieben, aus der Eupener Straße, aus dem Rhenania. Und warum? Um Platz zu schaffen für hochtrabende Bauprojekte, für die es angesichts der schlechten wirtschaftlichen Stimmung oft gar keine Investoren gibt. Zurück bleiben urbane Brachen.
Das Chaos in der Kölner Kulturpolitik, das Versagen in Stil-, Gewichtungs- und Präsentationsfragen, ist zwar das Werk der CDU-Mehrheit und muss ihr und ihrem Oberbürgermeister Fritz Schramma als Schirmherr aller Desaster auf die politische Rechnung gesetzt werden. Doch die Vorzeichen der Katastrophe waren schon lange zu sehen und zu hören. Seit wann ist der Zenit der Kunst- und Kulturstadt Köln überschritten? Und wie kann die Kulturstadt wieder zu neuen Gipfeln finden?
Fest steht, dass in der Kulturpolitik schon seit Jahrzehnten mehr schief gegangen ist, als diese Stadt vertragen kann. So datieren manche den Beginn des Niedergangs auf das Jahr 1979, als mit der Ernennung von Peter Nestler zum Kulturdezernenten ein Berliner an den Rhein kam, der nie den richtigen Draht zur Kölner Mentalität und Szene finden konnte. Unvergessen bleiben auch die Kämpfe um die alte Schokoladenfabrik Stollwerck in der Südstadt, aus der die Stadt Anfang der 80er Jahre eine äußerst lebendige Kunstszene vertrieb. Ein Fehler war sicherlich auch, dass sich die Stadt am Ende desselben Jahrzehnts nur sehr verhalten dagegen wehrte, dass die emsige Werkkunstschule gegen eine eher publikumsferne Kunsthochschule der Medien ausgetauscht wurde. Und dann ließ man auch noch klaglos die umtriebige Kulturdezernentin Kathinka Dietrich von Weringh ziehen, die schon nach kurzer Zeit den Bettel hinschmiss, weil sie sich von Politik und Verwaltung nicht ausreichend unterstützt sah.
Vielleicht zog auch das Gewicht eines Peter Ludwig die Kulturstadt Köln nach unten. Der Schokoladenfabrikant und Kunstsammler aus Aachen hatte Köln seit den 70er Jahren mit seiner Sammlung Pop-Kunst beglückt (nebenbei übrigens auch auch mit anderer Kunst, etwa altamerikanischer). Dafür baute man ihm Mitte der 80er Jahre zunächst ein teures Museum, das Museum Ludwig, in dem sich alte und neue Kunst unter einem Dach verbanden – ein Konzept, auf das man zu Recht stolz war. Als er dann eine nicht unbedingt hochrangige Picasso-Sammlung versprach unter der Bedingung, sie auch auszustellen, schmiss man die alte Kunst raus und baute für sie ein neues Museum, das Wallraf-Richartz neben dem Rathaus. Das enge Verhältnis, das die Stadt mit ihrem Gönner eingegangen ist, verengte den Blick, band Kräfte und kostete viel Geld.
Und dann drückt sicher auch das allzu Menschelnde auf die Stimmung in der Kulturstadt. Da ist zum einen die grundsätzliche Nettigkeit der Kölner, keinen Konflikt zu riskieren – wenigstens nicht mit guten Bekannten. So ging man mit Ludwig um, so behandelte man auch die kürzlich verstorbene Kulturdezernentin Marie Hüllenkremer. Sie konnte sich in den entscheidenden Augenblicken, etwa als es um die Ernennung einer neuen Chefin für die Kölner Bühnen oder um Kürzungen im Kulturetat ging, nie gegen die kölschen Großkopferten wie Schramma durchsetzen und saß schon deshalb eigentlich auf dem falschen Stuhl.
Und dann gibt es da noch eine Kölner Eigenschaft, die sich mit dem Möchtegern-Image einer Kulturmetropole gar nicht übereinbringen lässt: der Hang zum Volkstümelnden, zum Niedlichen. Da werden auch schnell mal ästhetische Bedenken (falls die Verantwortlichen sie überhaupt je hatten) über Bord geschmissen. So lässt sich die Stadt ein Denkmal für Millowitsch schenken und eines für Konrad Adenauer. Dass sich die Experten des Kunstbeirates dagegen aussprachen – was soll's? Kölsche Kultur, das sind Dom und Karneval, Tünnes und Schäl, Hänneschen-Theater und Millowitsch. So zeigen wir uns der Welt – siehe Kulturhauptstadtbewerbung – und wer uns so nicht mag, hat eben keine Ahnung.
Mit dieser Ignoranz müssen auch die Kölner leben: Kritik seitens der Bürger überhören die Stadtoberen eigentlich traditionell. Das war zum Teil so bei der Entwicklung des Leitbilds 2020, das geschah der freien Kulturszene bei der Bewerbung zur Kulturhauptstadt. „Sachliche Kritik ist in Köln schlichtweg unerwünscht“, stellt Dietmar Schneider fest, Nestor der Kölner Kunst.
Aufgehalten haben CDU und Grüne die kontinuierliche Talfahrt in der Kulturpolitik nicht. Es gibt noch immer kein Konzept zur Schaffung von Ateliers, zur Schaffung von Proberäumen für Musiker, keines zur Förderung der Neuen Musik. Die einzige wesentliche Errungenschaft, die neue „Tanzcompagnie“ in Köln, ist in erster Linie ein Verdienst engagierter Bürger. Doch solche Neuigkeiten sind Politikern willkommen, um ihre eigenen Versäumnisse zu kaschieren, beispielsweise den Dilettantismus bei der Wahl des Kulturdezernenten. Die Absage an den Kandidaten Christoph Nix in letzter Sekunde fand auch in den überregionalen Feuilletons Beachtung – mit Hohn und Spott.
Was also tut not, um den selbst verliehenen Titel Kulturstadt wieder aufzupolieren? Als erstes eine öffentliche und offene Diskussion darüber, was überhaupt Kultur in einer Kulturstadt ist. Ein paar Kultursonntage werden dafür nicht ausreichen. Die Politik muss auf die Bedürfnisse der freien Szene eingehen und sie noch stärker in den Entscheidungsprozess einbeziehen. Dabei müssen „Leuchttürme“ ebenso gefördert werden wie der „Humus“, ohne den eine lebendige Kulturlandschaft nicht leben kann. Die Kriterien hierfür müssen mit den Betroffenen erarbeitet und konsequent überarbeitet werden.
Kritisch zu überprüfen wäre der Zuschuss für die Städtischen Bühnen. Eine Kooperation mit Bonn und Düsseldorf ist durchaus einer Überlegung wert, zeigt doch gerade das Publikum von Opern und Schauspielhäusern ein hohes Maß von Mobilität. Auch einige städtische Museen – gerade die Zugpferde Ludwig und Wallraf-Richartz – könnten mit weniger Geld auskommen. Den Museen muss in einer neuen Struktur mehr Selbstständigkeit gegeben werden.
Mehr Selbstständigkeit darf allerdings nicht heißen „außer Kontrolle“. Und es sollten auch nicht einzelne Museen aus dem Verbund herausgelöst und privatisiert werden. Sonst beraubt die Raffgier von Oligarchen diese Stadt noch ihrer letzten Schätze.
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