barbara dribbusch über Gerüchte: Leise Nebentätigkeit erlaubt
Wer seinen Freundinnenkreis erhalten will, muss stundenlang telefonieren können – und ein paar Tipps beachten
Die emotionale Altersvorsorge der Frau ist der reizende, leicht exzentrische Freundinnenkreis. Jenes Netzwerk zarter Seelen, das immer wieder sorgfältig neu gesponnen und repariert werden muss. Wozu es des wichtigsten Handwerkszeuges bedarf: des Telefons. Mit der Kunst des Telefonierens kann man gar nicht früh genug anfangen. Deswegen stand ich vergangene Woche bei Karstadt, Abteilung Telekommunikation.
„Die Durchsichtigen da hinten sehen voll krass aus“, sagt Charlotte, „aber das pinke Kabel ist daneben. Muss ja vielleicht nicht sein.“ Meine 12-jährige Tochter soll ihren ersten eigenen Festnetz-Anschluss bekommen. Kein Handy, mit dem das Telefonieren so teuer ist. Das hat sie schon. Nein, es geht um das erste eigene Telefon im Zimmer, das einstündige Gespräche mit den Freundinnen erlaubt, ohne dass die Eltern ausflippen. Die Frage ist nur: tragbar oder nicht?
„Das tragbare Telefon war die wirklich bahnbrechende Erfindung, das hat Frauenfreundschaften gerettet“, hatte Freundin Britt noch am Tag davor erklärt. Wir plauderten mal wieder, die Hörer zwischen Ohr und Schultern geklemmt. Ich sortierte nebenbei die Wäsche, was eine der leisen Aktivitäten ist, die der Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung nicht hört. Es sind sozusagen „höfliche Nebentätigkeiten“.
Britt hingegen war weniger höflich, aber das macht nichts, wenn man gut befreundet ist. Sie wusch nebenbei ab, ich vernahm Topfgeklapper und Wasserrauschen im Hintergrund. Das Besondere am Tragbaren ist dieses Nebeneinander aus gering qualifizierten Tätigkeiten und verbaler Feinkommunikation. Man kann wunderbar Einkaufstüten ausräumen, den Tisch abwischen, Spagetti kochen und gleichzeitig scharfsinnig die Machtverhältnisse an Britts neuem Arbeitsplatz oder in Theresas Affäre mit S. analysieren.
Charlotte aber interessiert sich vor allem für die Optik der Telefone. „Das Hellblaue sieht voll schön aus“, meint sie und deutet auf ein Telefon mit traditioneller Hörer-Ankabelung. „Bist du sicher, dass du nicht doch ein Tragbares willst?“, frage ich. Schließlich ist die Funktion wichtiger als das Aussehen.
„Der Witz beim Telefonieren mit dem Tragbaren“, hatte Britt das Gespräch gestern fortgesetzt, „der Witz ist der: Du kannst viel länger zuhören, weil du ja nebenbei noch dies und das erledigen kannst.“ Die Verteilung der Zuhörminuten spielt in der weiblichen Telefonkette eine wichtige Rolle. Schließlich wollen wir alle Aufmerksamkeit sprich: Liebe. „Dies und das nebenbei erledigen“ ist jedoch eine heikle Sache. Einmal rief ich nebenbei meine E-Mails ab und beantwortete sie sofort, während sich Britt am Telefon über die neue Mobbing-Tour eines Subchefs echauffierte. Nach einigen „hms“ und „wirklich?“ sagte ich genau an der falschen Stelle, „muss ja ein echtes Arschloch sein“. „Jetzt hab ich aber gerade was von Theresa erzählt“, kam es empört zurück, „du hörst ja gar nicht zu!“ Sie hatte Recht: Hoch qualifizierte Nebentätigkeiten sollte man während des Telefonierens unterlassen, das ist zu beleidigend.
Ein Verkäufer kümmert sich inzwischen um Charlotte und führt Klingeltöne vor. In einer Familie mit vier Handys und demnächst drei Festnetz-Anschlüssen ist die musikalische Unterscheidbarkeit der Anrufzeichen essenziell. Ich persönlich gehe nur bei „Chattanooga Choo Choo“ und „I did it my way“ ans Telefon. Für das „Adagio“ oder „Take Five“ sind andere zuständig. Ansonsten gibt es Anrufbeantworter. Aber auch die sind ein Medium besonderer Art.
„Ich hör immer schon an der Stimme auf dem AB, was los ist“, hatte Britt behauptet, „das hat man so im Gefühl.“ Mir geht es genauso. Wenn Theresa im Andante ertönt: „Wollte nur mal plaudern, melde dich doch mal“, ist alles locker. Verfällt sie aber ins Staccato, „ruf heute noch zurück!“, besteht sofortiger seelischer Reparaturbedarf. Coras Stimme hingegen wird pianissimo, wenn sie in einer traurigen Phase steckt. Ein Telefon-Netzwerk ist eine musikalische Angelegenheit. Nicht unwichtig in der Musik sind übrigens die Pausen.
Charlotte hat sich entschieden. „Ich glaub, ich brauch kein Tragbares“, sagt sie, „ich nehm das Hellblaue. Ich telefonier doch sowieso immer nur in meinem Zimmer.“ Stimmt ja. Fürs Telefonieren braucht man Ruhe.
Nicht jeder sieht das so. Britt hatte mir von einer Studienkollegin in einer schwäbischen Kleinstadt erzählt, deren Mann ihr die Vereinbarung abgerungen hatte, beim Telefonieren mit Freundinnen den Küchenwecker auf 30 Minuten zu stellen. „Und stell dir vor“, empörte sich Britt, „nach einer halben Stunde hörte ich es durch die Leitung klingeln!“ Die Studienkollegin ist übrigens heute geschieden. Ihre Freundinnen hat sie behalten. Und ihr tragbares Telefon. Was aus dem Küchenwecker wurde, ist nicht bekannt.
Tipps zum Telefonieren?kolumne@taz.de
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