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Erstes Lernziel: Pünktlichkeit

Zu den Olympischen Spielen hat sich Athen ein kleines Extra gegönnt: eine Straßenbahn. Weil seit 44 Jahren keine Tram in der griechischen Metropole fuhr, herrschte akuter Fahrermangel. Auf der Suche nach Ausbildern wurde man in Lichtenberg fündig

VON CHARLOTTE NOBLET

Zu den olympischen Disziplinen gehört das Lenken einer Straßenbahn noch nicht, aber eins ist sicher: Öffentliche Personenbeförderung in Athen ist eine Herkulesaufgabe. Verstopfte Straßen und überfüllte U-Bahnen gehören schon seit langem zum Image der griechischen Hauptstadt. Zu den Olympischen Spielen sollte alles besser werden: Jetzt hat Athen eine „Olympia-Tram“. Neben Metro, Vorstadtbahn und Bussen sollen 48 Tram-Haltestellen auf 25 Gleiskilometern den Transport zwischen den Sportstätten bewältigen. Nur ein kleines Problem war da noch: Es gab in Griechenland keine ausgebildeten Straßenbahnfahrer. Die letzte Tram war 1960 stillgelegt worden.

Um Abhilfe zu schaffen, schrieben die griechischen Behörden einen einträglichen Job europaweit aus: den des Aufbauhelfers für den Athener Trambetrieb. Den Zuschlag erhielt im März 2003 die Berliner BVG. Bis zum Beginn der Spiele schulte sie rund 100 Griechen auf ihrem Lichtenberger Betriebshof.

„Die griechischen Kollegen wurden genau wie die deutschen ausgebildet: erst theoretisch, dann praxisorientiert“, berichtet Andreas Wehner, Ausbildungsleiter bei der BVG. Einziger Unterschied: die Unterrichtssprache. „Uns auf Englisch zu unterhalten war nicht immer einfach. Die Englischkenntnisse unserer Mitarbeiter stammen meistens noch aus der Schule.“ Besondere Missverständnisse gab es laut Wehner trotzdem nicht: „Wir haben nur unterschiedliche Temperamente. Die Griechen bleiben bei der Arbeit in vielen Punkten lockerer.“ Manchmal zu locker: Am Anfang mussten die Gäste erst verinnerlichen, was „deutsche Pünktlichkeit“ bedeutet.

„Die Griechen hatten ganz unterschiedliche Profile, vom Bäcker bis zum Studenten“, erzählt Wehner weiter. „Manche hatten ein echtes Interesse an der Straßenbahn, andere suchten einfach einen Job.“ Nur 15 Frauen waren unter den 105 Bewerbern. Wenig im Vergleich zu Berlin: Hier ist ein Drittel der Tramfahrer weiblich. Das Durchschnittsalter der Olympia-Azubis lag bei 28 Jahren. Jünger als 21 war keiner – die Voraussetzung für einen griechischen Führerschein.

Rund fünfzig Arbeitstage dauerte das BVG-Training in Lichtenberg und auf den Tramstrecken Berlins, anschließend standen noch 15 Tage Ausbildung in Athen auf dem Programm, unter verschärften Bedingungen sozusagen. Am Fuße der Akropolis machten die Azubis dann auch ihre Führerscheine, sechs von ihnen wurden gleich zum Fahrlehrer weitergebildet. Nur drei bestanden den Fahrtest nicht.

Seit Mitte Juli fährt die Olympia-Tram tatsächlich durch Athen, zu 95 Prozent auf Gleisen, die separat vom Individualverkehr liegen. „Am Tag der Inbetriebnahme war es entlang der Strecke extrem chaotisch“, sagt Klaus-Dietrich Matschke, Leiter des BVG-Unterstützungteams vor Ort. „Alle Athener wollten die Straßenbahn anschauen.“ Nach Angaben des Tramunternehmens drängten mehr als 60.000 Menschen in die neuen Bahnen. Und immer noch birgt die mangelnde Vertrautheit mit dem Verkehrsmittel laut Polizei Gefahren. Passanten schätzen vor allem die Geschwindigkeit der Wagen falsch ein, zu ersten, kleineren Unfällen ist es bereits gekommen. Klaus-Dietrich Matschke, der sich eine längere Probezeit des Systems gewünscht hätte, ist trotzdem zufrieden: „Zum Start der Spiele rollte die Tram reibungslos.“

Bis September 2005 bleibt eine Hand voll BVGler in Athen, um „Kinderkrankheiten“ zu kurieren und den Tramverkehr nach Olympia zu optimieren. Von den Spielen werden die Lichtenberger Coachs wohl nicht viel mehr als den Besucherandrang erleben. Der Job hat Vorrang.

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