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Kurs aufs Schwarze Meer

Gegen die Bordwand: Der Filmregisseur Fatih Akin dreht einen Dokumentarfilm über die Musikszene in der Stadt der kommenden Jahre – Istanbul. Ein Setbesuch, dümpelnd zwischen Europa und Asien

Diese Stadt brennt jetzt schon – und der Trend beginnt erst, auf sie zuzulaufen

VON JÜRGEN GOTTSCHLICH

„Ich weiß schon jetzt, dass der Film misslingen wird. Wir werden frustriert nach Hause fahren. Alle werden sich aufregen: Das soll der Sound von Istanbul sein? Da fehlt doch dieser Sänger und jene Diva. Das Wichtigste ist nicht dabei!“ Beschwörend hebt Fatih Akin die Arme und schüttelt den Kopf. „Da kann man nichts machen, es ist mein Blick auf die Stadt, mein Sound von Istanbul.“

Fatih Akin ist bester Laune. Glücklich hüpft er über das Deck der „Bumerang“, eines großen Motorseglers, der auf dem Bosporus zwischen Europa und Asien kreuzt. Er trägt eine überdimensionale Seki-Müren-Sonnenbrille, das Erkennungszeichen eines ehemaligen Transvestitenstars der türkischen Popszene, ein T-Shirt des Rappers Ceza und abgeschnittene Jeans. Er wirkt wie ein begeisterter Junge, der seinen Kumpels mal was ganz Neues zeigen kann.

Der Film, den Akin gerade dreht, wird „Crossing the Bridge“ heißen und eine Hommage an Istanbul werden. „Ich liebe diese Stadt“, schwärmt Akin. „Sie ist anstrengender, lauter und chaotischer als Hamburg, aber auch viel aufregender und, ja wirklich, auch viel schöner.“ Aber auch viel heißer.

Während er erzählt, wie sein neuer Film entsteht, sucht die Band Baba Zula auf dem Schiff den optimalen Platz für ihre Lautsprecher und ihr elektronisches Equipment. Die Sonne knallt aufs Deck, der Raum unter dem Sonnensegel ist eng begrenzt. Alexander Hacke, der Bassist der Einstürzenden Neubauten, hat die rettende Idee. Er lässt Teppiche heranschaffen, die auf das heiße Deck gelegt werden und so eine provisorische Bühne schaffen. An Bord der „Bumerang“ soll ein Porträt der Band Baba Zula gedreht werden. Die Band spielt den typischen Istanbuler Folkrock, der klassischen Rock mit orientalischen Klängen und den Geräuschen der Stadt mixt. Es war ein Vorschlag von Baba Zula, ihre Szenen auf dem Bosporus zu drehen, an einem Ort, der ihren musikalischen Standpunkt exakt beschreibt. So wie ihre Musik zwischen Orient und Okzident pendelt, soll ihr Konzert im Film auf dem Bosporus, an der Schnittstelle von Europa und Asien, stattfinden.

Hacke, der in dem Film die Stadt und vor allem ihre Musikszene entdecken wird, ist von Baba Zula begeistert. Er kann sich in ihre Musik gut hineinhören und greift auch selbst zur Gitarre, um in einer Szene mitzuspielen.

Akin schaut sich derweil aus der Distanz an, was die Musiker treiben. Er lässt die Band gewähren, bis die Musiker vergessen, dass sie gerade für einen Film aufgenommen werden. Später wird er sich mit ihnen zusammensetzen, um sie über ihre Musik und ihre Beziehung zu Istanbul zu interviewen.

Istanbul ist für Akin seit langem ein Ort der Sehnsucht. Seine Mutter kommt aus der Stadt, als Kind hat er fast jeden Sommer dort verbracht. Sein Partner aus der gemeinsamen Produktionsfirma Corazón International, Andreas Thiel, hat vor dem Dreh erzählt, dass sie schon lange überlegt hätten, wie man diese Zwölf-Millionen-Metropole am besten in Szene setzen kann. „Uns fiel aber kein Plot ein.“ Bis er, Fatih, und Alexander Hacke auf der Suche nach einem Produzenten für die Filmmusik von „Gegen die Wand“ gemeinsam durch Istanbul streiften und mehr und mehr Klangwunder am Bosporus kennen lernten. Damals hat Akin sich entschieden, die Stadt über ihre Musik vorzustellen. „Die Musikszene von Istanbul ist so vielfältig, so einmalig in ihrem kulturellen Mix, ich könnte fünf Filme darüber machen.“

Im Augenblick scheitert aber schon die kulturelle Synthese von Baba Zula an ganz banalen technischen Problemen. Der Generator, den die Techniker aufs Schiff gebracht haben, leistet nicht genug Power, und das Brummen des Schiffsdiesels macht sich in den Lautsprechern unangenehm bemerkbar. Während die „Bumerang“ langsam vor der imposanten Kulisse des letzten Sultanpalastes Dolmabahce dahintuckert, wendet und Kurs aufs Schwarze Meer nimmt, wird an Deck eifrig gearbeitet. Nach zwei Stunden Soundcheck ist es soweit. Gemeinsam mit Alexander Hacke am Bass legen Baba Zula los. Während die Filmcrew, einschließlich Fatih Akin, begeistert mittanzt, ist allein der Kameramann an der Arbeit.

„Crossing the Bridge“ wird mit einer handlichen Videokamera gedreht, was den technischen Aufwand reduziert und mehr Möglichkeiten für eine quasijournalistische Arbeit bietet. Der Kameramann fällt kaum auf, er unterbricht nicht und fordert niemanden auf, sich so oder anders zu präsentieren. Er dokumentiert einen Live-Auftritt.

„Das Drehen selbst“, beschreibt Akin den Unterschied zwischen Spiel- und Dokumentarfilm, „bedeutet für mich als Regisseur den geringsten Aufwand. Das Wichtigste sind die Recherche vor dem Dreh und der anschließende Schnitt. Wir werden 200 Stunden Material mit nach Hamburg bringen, der Film wird aber maximal 100 Minuten haben.“ Mehr als zwei Monate hat Akin im Vorfeld des Films auf den Spuren der verschiedensten Musiker in der Stadt verbracht.

Seitdem ist er überzeugt, dass Istanbul die Stadt der kommenden Jahre ist. „Istanbul brennt schon jetzt, der Trend läuft auf die Stadt zu.“ Zweifellos wird Akin dazu beitragen, dass dieser Trend auch von anderen entdeckt wird. Im Film werden insgesamt 13 Istanbuler KünstlerInnen porträtiert. Er zeigt sie jeweils in ihrer Umgebung, in ihrem Stadtteil, und wird also en passant ein Mosaik der Stadt entwerfen. „Wir zeigen kein Postkarten-Istanbul, aber auch nicht die neue globalisierte Stadt. Es wird ein Film über das Istanbul an der Schwelle zum Umbruch. Die Stadt vor einem EU-Beitritt, die Stadt vor dem angekündigten großen Erdbeben. Eine Stadt, die es so wahrscheinlich bald nicht mehr geben wird.“

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