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Zur Lage in Lagos

Dörfer dieser Welt, schaut auf diese Stadt: Die ifa-Galerie zeigt Lagos als ortgewordenen Kollaps und uferloses Experiment. Dabei versäumt sie es, das wahrhaft Radikale der Megacity einzufangen

VON BRIGITTE WERNEBURG

Nein, Rem Koolhaas hat hier endlich einmal nicht mitgemischt. Obwohl der Name des niederländischen Architekten und seines „Office for Metropolitan Architecture“ stets ins Spiel kommt, wenn es um Lagos geht. Die Hauptstadt Nigerias ist eine der großen Megacities der Welt, eine Metropole mit über 13 Millionen Einwohnern, und damit ist sie ein bevorzugter Untersuchungsgegenstand seines „Harvard Project on the City“.

Glücklicherweise aber ist STADTanSICHTEN, die Ausstellung über Lagos in der ifa-Galerie, eher aus afrikanischer als aus europäischer Perspektive kuratiert: durch den in Lagos lebenden Architekten und Städteplaner David Aradeon, den nigerianischen Fotografen Akinbode Akinbiyi, der in Berlin lebt, und die Kunsthistorikerin Simone Scholten vom Institut für Auslandsbeziehungen.

Der Aufbau der Ausstellung ist übersichtlich und effektiv. Zwei Dinge, die sich über ihren Gegenstand nicht sagen lassen. Zunächst teilt ein Geviert von Stellwänden mit Plänen, Statistiken, Fotografien, Zeitungsausschnitten und Videofilmen die Stadt in vier analytische Segmente auf: Zentrum versus Peripherie, Brücken und Verkehrswege, Marktplätze und religiöse Versammlungsorte. Umlaufend um diese offene Orientierungsbox stellt Akinbode Akinbiyi das Fotografenkollektiv DOF, „Depth of Field“, zu deutsch, Tiefenschärfe, vor. Zu den Bildern gesellt sich eine Vitrine mit Zeichnungen und einem Videofilm von Christiane Meisner. Die wunderbaren Aufnahmen von J. D. Okhai Ojeikere präsentieren schließlich die Stadt in der Zeit von 1950 bis 1970. 1970 hatte sie gerade mal eine Million Einwohner, und wie die alten Fotografien zeigen, muss die Stadt am Atlantik wunderschön gewesen sein.

Vielleicht ist sie das auch noch heute an einigen Orten. Doch sonst muss sie als eine Katastrophe gelten. Ein öffentliches Nahverkehrssystem existiert nicht. Die privaten gelben Danfo-Minibusse kommen so wenig wie der private Autoverkehr über das allmählich verrottende, dreißig Jahre alte Straßennetz voran. Die Stadt kennt keine funktionierende Strom- und Wasserversorgung. Der Kollaps der Infrastruktur wird zum Testfall für selbst organisierte Netzwerke und temporäre Strukturen, zum Anlass für Experimente – die zu gelingen scheinen, betrachtet man George Osodis Fotografien von den überquellenden Märkten. Doch gerade diese Bilder machen deutlich, dass sie nichts über die Strukturen hinter der bunten Oberfläche zu sagen vermögen.

Die Fotografen des DOF-Kollektivs unternehmen klugerweise diesen Versuch erst gar nicht. Ihre Bilder sind allegorischer Natur. Die bildfüllend aufgeschichteten Schuhe und Gürtel in Amaize Ojeikeres Fotos stehen für die Überfülle der Märkte selbst, Toyosi Odunsis Detailaufnahmen von den Wellblechhütten und ihren Bewohnern, für den Mangel, aber auch die Sorgfalt, mit der das Wenige gepflegt wird. Emeka Okerekes Schwarzweißfotografien aus dem Leichenschauhaus und vom Friedhof stehen für den Tod, der die Menschen in Lagos früher und oft gewaltsamer ereilt als an besser organisierten Orten dieser Welt.

Obwohl die sozialen und ökonomischen Brennpunkte der Megacity in der Ausstellung klar benannt werden, bleibt das Bild, das die Ausstellung von Lagos zeichnet, seltsam clean. Atmosphärisch dicht wird es nur einmal, in dem Videofilm, der einen der vielen charismatischen Prediger der protestantischen Erweckungskirchen zeigt, die besonders in Nigeria boomen, wo Religion die einträglichste Geschäftsbranche ist. Beleibt, doch elegant in seinem luxuriösen Anzug, beschwört er seine Gemeinde, rauche nicht, trinke nicht, begehe keine Sünden, arbeite für die Kirche und du wirst es schaffen. Denn Gott ist mit den Aufsteigern.

Vielleicht wäre das Bild dichter geworden, hätten die Kuratoren das katastrophische Szenario der explodierenden Millionenstadt wörtlich genommen und den großen Explosionsunfall, der sich im Januar 2002 im Ikeja Military Cantonment ereignete und der in seiner Folge über 1.000 Tote kostete, beispielhaft seziert. Denn die Armeebasis ist eine Stadt in der Stadt mit Schulen, Märkten, Moscheen und Verwaltungsanlagen. In nuce spiegelt sich hier die Lage der gesamten Stadt, auch die geografische, kamen doch die meisten Menschen zu Tode, als sie auf ihrer Flucht einen Kanal überqueren mussten. Die Furcht, des Afrikapessimismus gescholten zu werden, scheint die ifa-Ausstellung insgeheim zu beherrschen. Das ist schade, denn das radikale Moment, das diese Stadt in jeder Hinsicht auszeichnet, wird so nicht wirklich sichtbar.

Bis 17. Oktober, Linienstr. 139/140,Di.–So. 14–19 Uhr, Katalog 9 Euro

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