Arme erwischt es am härtesten: Philippinische Arbeiter fürchten um ihre Jobs
AUS BANKOK NICOLA GLASS
„Kein Land ist gegen die globale Krise immun“, warnte kürzlich Joy Chavez von der Nichtregierungsorganisation Focus on the Global South. Mit ihrer Kritik zielte Chavez auf die Haltung der philippinischen Regierung. Diese habe wiederholt erklärt, das Land werde vom weltweiten ökonomischen Niedergang nicht betroffen sein. Dass dem eben nicht so ist, bekommt das Inselreich mit seinen rund 90 Millionen Einwohnern bereits zu spüren: Durch die Krise hat sich unter anderem die Lage der philippinischen Arbeitsmigranten verschärft.
Auf den Philippinen gibt es kaum gut bezahlte Jobs, daher arbeiten Millionen Filipinos in Übersee. In Taiwans Elektro- und Elektronikbranche zum Beispiel schufteten in den vergangenen Jahren rund 50.000 Filipinos. Einen Großteil ihres Lohns schicken die Arbeitsmigranten nach Hause – 2008 waren es etwa 16,4 Milliarden US-Dollar. Ob das so bleibt, ist zweifelhaft. Denn Ende vergangenen Jahres waren die taiwanischen Arbeitgeber weil die Exporte einbrachen, gezwungen, Teile der Belegschaft zu entlassen oder deren Lohn drastisch zu kürzen.
Allein im Dezember 2008 mussten rund 3.000 auf Taiwan beschäftigte philippinische Arbeiterinnen und Arbeiter in die Heimat zurückkehren – lange bevor ihr Vertrag ausgelaufen war. Experten schätzen, dass dies erst der Anfang ist. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geht davon aus, dass von den weltweit im Ausland beschäftigten rund 200 Millionen Wanderarbeitern etwa 20 Millionen bis Ende 2009 ihren Job verlieren werden. Der weltweite Anteil der philippinischen Arbeitsmigranten beträgt derzeit 8 bis 11 Millionen.
Auch auf die wirtschaftliche Entwicklung dürfte die globale Krise durchschlagen. Mit Traumwerten wie rund 7,3 Prozent Wachstum in 2007 ist es erst einmal vorbei. Für dieses Jahr haben Beobachter den Philippinen einen vergleichsweise geringen Anstieg von nur noch 4,2 Prozent prognostiziert. Das System sei vor allem deshalb verwundbar, weil es zu abhängig von Exporten und Direktinvestitionen sei, warnten unlängst Experten des philippinischen Thinktanks Ibon Foundation.
Vor allem die wirtschaftliche Talfahrt in den USA habe Folgen für die Philippinen. Denn die USA gelten als ein führender Handelspartner des Inselreiches. Ein Großteil des philippinischen Exports geht direkt in die Vereinigten Staaten. Allein der Anteil der USA an den gesamten Auslandsinvestitionen auf den Philippinen macht 20 Prozent aus.
Die Ukraine ist der Verlierer in Osteuropa
AUS LEMBERG JURI DURKOT
Von allen osteuropäischen Ländern wurde die Ukraine von der Finanz- und Wirtschaftskrise am stärksten betroffen. Nach Schätzungen ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Januar 2009 um 15 bis 20 Prozent gesunken. Für das Gesamtjahr gehen die Experten von einem Rückgang von 10 bis 12 Prozent aus. Die meisten Hüttenwerke im Osten des Landes stehen still oder haben ihre Produktion stark zurückgefahren. Der Stahl aus der Ukraine findet kaum noch Absatz auf internationalen Märkten: Er wird in veralteten Anlagen mit hohen Energiekosten hergestellt und ist viel zu teuer. Die Branche war mit einem Anteil von 40 Prozent der wichtigste Posten bei ukrainischen Exporten.
Nach dem Bauboom der vergangenen Jahre ist nun auch die Bauindustrie am Boden. Die Immobilienblase ist geplatzt, nachdem die Preise in den letzten Jahren mit hohen zweistelligen Raten kontinuierlich gestiegen sind und zuletzt in Kiew deutlich über dem deutschen Niveau gelegen haben. Vielen Bauunternehmen droht das Aus. Eine Welle von Entlassungen und ein deutlicher Anstieg der Arbeitslosenzahlen steht bevor. Die Banken kämpfen mit Liquiditätsproblemen und vergeben kaum noch Kredite. Die Prominvestbank, das sechstgrößte Geldinstitut des Landes, ist im vergangenen Herbst nach einem spekulativen Angriff zusammengebrochen. Die Notenbank sah sich gezwungen, die vorzeitige Kündigung der Sparverträge zu verbieten, nachdem Kunden die Geldinstitute gestürmt hatten, um ihre Konten leer zu räumen. Bis Ende 2008 hat die Bevölkerung umgerechnet rund 1,7 Milliarden US-Dollar abgehoben. Die ukrainische Währung Hrywnja – seit Jahren an den Dollar inoffiziell fest gekoppelt – hat seit November 2008 rund 70 Prozent am Wert verloren. Für hunderttausende Ukrainer, die in den letzten Jahren Dollarkredite aufgenommen haben, kann das den finanziellen Ruin bedeuten. In den Jahren des Wirtschaftsbooms hat man auf Pump gelebt. Der Traum von den eigenen vier Wänden ist für viele zum Albtraum einer Kreditfalle geworden. Und die Banken sind auf faulen Krediten sitzen geblieben. Vom IWF-Hilfskredit von 16,5 Milliarden US-Dollar hat das Land bisher nur die erste Tranche von 4,5 Milliarden US-Dollar bekommen. Zwar sehen die meisten Experten im Moment nicht die Gefahr eines Staatsbankrotts, trotzdem konnten sich bisher die heillos zerstrittenen Politiker in Kiew nicht auf einen strikten Sparkurs und die Reduzierung des Haushaltslochs von schätzungsweise 8 bis 9 Milliarden US-Dollar einigen.
Bolivien bangt um seine Exportwirtschaft
AUS PORTO ALEGRE GERHARD DILGER
Erst allmählich dämmert den BolivianerInnen, dass die globale Rezession auch sie treffen wird. Letzte Woche gab das nationale Statistikinstitut bekannt, dass es im Januar den ersten Einbruch bei den Exporteinkünften seit dem Jahr 2000 gab.
Demnach sanken die Einnahmen im Vergleich zu Januar 2008 um fast ein Drittel auf 346 Millionen Dollar. Die sinkenden Rohstoffpreise schlagen dabei besonders zu Buche: 83 Millionen Dollar weniger beim Erdöl- und Erdgasexport, 27 Millionen im Bergbau. Aber auch bei verarbeiteten Produkten, etwa Textilien, ist die Lage ernst: Hier betrug der Rückgang 65 Millionen Dollar, vor allem wegen geringerer Nachfrage und höherer Zölle in den Abnehmerländern. Hinzu kommt die Streichung von Handelserleichterungen, die US-Präsident George W. Bush gegen Ende seiner Amtszeit verfügt hatte, weil sich Bolvien angeblich zu wenig gegen den Drogenhandel engagiert. Gary Rodríguez, der Geschäftsführer des Instituts für Außenhandel, sagte für 2009 ein Dezifit in der Handelsbilanz voraus.
Die anhaltende Popularität von Präsident Evo Morales, der erst im August von 67 Prozent der Wähler im Amt bestätigt wurde, hängt auch mit seinen Sozialprogrammen für die arme Bevölkerungsmehrheit zusammen. Die Finanzierung dieser Programme wurde möglich, weil die Regierung seit 2006 den Staatsanteil an den Erdgaseinnahmen vervielfacht hat. Zugleich stiegen die Weltmarktpreise. Dennoch blieb die Linksregierung bei einer vorsichtigen Finanzpolitik, was ihr sogar ein Lob vom IWF einbrachte. „Morales hat das Geld aus dem Erdgas nicht verschleudert“, hebt auch der argentinische Politologe José Natanson hervor, der Bolivien die ausgeglichenste Haushaltspolitik in der ganzen Region bescheinigt.
Wie die meisten seiner südamerikanischen Kollegen setzt Evo Morales nun auf die Stärkung der Massenkaufkraft und antizyklische Ausgabenpolitik. Gegen die Proteste der Unternehmer erhöhte er im Februar den Mindestlohn um 12 Prozent. Der Haushalt für 2009 soll um gut 5 Prozent steigen, vor allem im Erziehungs-, Gesundheits- und Bausektor. In der Hinterhand hat die Regierung Währungsreserven in Rekordhöhe.
Bolivien geht also vergleichsweise gut gerüstet in die Weltwirtschaftskrise. Anders als das viel stärker mit der US-Wirtschaft verflochtene Mittelamerika dürften die Länder Südamerikas die Krise relativ gut überstehen, sagt Natanson voraus: „Hier wird es eine Entschleunigung geben, aber keinen Zusammenbruch.“
Die Krise in Kenia wird durch die globale Krise verschärft
AUS NAIROBI MARC ENGELHARDT
Als Kenias damaliger Finanzminister Amos Kimunya im Juni 2008 seinen Haushalt vorstellte, war „Weltwirschaftskrise“ noch ein historischer Begriff. Doch weil gerade erst eine große Koalition monatelange Unruhen beendet hatte, betonte er: „Dies ist bei weitem der schwerste Haushalt, den ich in meiner Amtszeit aufstellen musste.“ Auf den Absturz der zuletzt um 7 Prozent gewachsenen Wirtschaft reagierte Kimunya mit einem Rekordhaushalt von 7,6 Milliarden Euro. „Voller guter Absichten und ohne Details“, wetterten Analysten. Kimunya versprach, Brot, Maismehl und Milch von der Mehrwertsteuer zu befreien. Er stellte Geld bereit für Fußballturniere, einen Businesspark für Internetfirmen – das dafür nötige Glasfasernetz fehlt – und vor allem für den Staatshaushalt. 210 Parlamentarier mit einem Monatsgehalt à 10.000 Euro, 40 Ministerien und 100 Minister und Vizeminister fressen mehr Geld auf als Straßenbau und Gesundheitsvorsorge zusammen.
Das Budgetdefizit lag schon bei der Vorstellung bei 1,27 Milliarden Euro. Der Rest sollte durch eine wilde Mischung aus Staatsanleihen im In- und Ausland finanziert werden, und aus Steuereinnahmen, die um 14 Prozent zunehmen sollten – obwohl nicht einmal jeder zehnte Kenianer eine feste und damit steuerpflichtige Arbeit hat. Dann kam die globale Wirtschaftskrise, die die hausgemachten Probleme bis zur Unlösbarkeit verschlimmert hat. Das Haushaltsdefizit, so heißt es in einem internen Dokument des Finanzministeriums, hat sich 2008 gegenüber dem Plan verdoppelt. Und im laufenden Jahr soll das Defizit weiter steigen, warnen die Ökonomen – unter anderem wegen teurer Lebensmittelimporte. Dagegen stehen sinkende Einnahmen in allen Bereichen: die Exporte von Blumen, Kaffee und Tee sind zurückgegangen, die Touristenzahlen sinken, und die Überweisungen von ausgewanderten Kenianern – in Kenia wie anderswo in Afrika eine der wichtigsten Devisenquellen – werden geringer. Tun kann der Staat wenig, Reserven gibt es kaum: das Finanzministerium musste bereits zugeben, dass die in der Verfassung vorgesehenen Devisenreserven in Höhe des Importvolumens von dreieinhalb Monaten längst nicht mehr vorhanden sind. Die geplanten Anleihen auf den internationalen Devisenmärkten liegen wegen der eisigen Stimmung auf den Finanzmärkten zurzeit auf Eis. Doch ein guter Teil von Kenias Krise ist immer noch hausgemacht: Millionen sind allein in diesem Jahr in den Taschen korrupter Politiker verschwunden.
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