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Auf Vorschuss planen

Haushaltsausschuss bewilligt Geld für neue Siedlung in Klein Borstel, obwohl über die Einwände der Anwohner noch nicht entschieden wurde

Natürlich werden die Einwände sorgfältig abgewogen, versichert das Bezirksamt Nord

von GERNOT KNÖDLER

Der Gang der Geschäfte von Parlament und Verwaltung weckt beim betroffenen Bürger bisweilen tief gehende Zweifel. So zum Beispiel eine Äußerung von Umweltsenator Peter Rehaag (Schill-Partei) im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft: Die Siedlung im ehemaligen Anzuchtgarten des Ohlsdorfer Friedhofs werde gebaut, sagte der Senator – obwohl das Bebauungsplanverfahren hierfür noch nicht abgeschlossen und die Bezirksverwaltung mit dem Abarbeiten von 150 Einwänden beschäftigt ist.

„Alle Möglichkeiten des bürgerlichen Widerstands für gegenstandslos zu erklären, finde ich äußerst deprimierend“, kommentiert Matthias Precht von der Bürgerbewegung Klein Borstel, die sich gegen das Bauvorhaben wehrt. „Vom Demokratieverständnis her hat mich das fertig gemacht.“

Schon der rot-grüne Senat hatte das nicht mehr benötigte Grundstück in U- und S-Bahn-Nähe als ideale Siedlungsfläche ausgemacht. Viele Menschen in Klein Borstel sahen die dörfliche Struktur ihres Quartiers gefährdet. Das Viertel werde von den Autos der neuen Nachbarn verstopft werden. Dem Senat warfen sie vor, den ersten Schritt zur Zerstörung des Ohlsdorfer Friedhofs zu tun. Durch die Proteste der Bürgerbewegung wurde die ursprüngliche Planung von 450 Wohnungen auf 250 reduziert. Außerdem haben sich die Chancen erhöht, dort autofreies Wohnen zu ermöglichen.

Der Haushaltsausschuss bewilligte nun vorige Woche einmütig acht Millionen Euro für die Erschließung des neuen Wohngebiets, die aus dem Verkauf des Grundstücks beglichen werden sollen. Angesichts der Einwendungen und Klagen gegen das Vorhaben glaubte Precht, seinen Ohren nicht zu trauen: „Das klingt ein bisschen wie in den Walddörfern, wo Bürgerbegehren zustande gekommen sind und trotzdem gebaut wird“, sagte er. Die Verwaltung geht davon aus, dass der Bebauungsplan Mitte nächsten Jahres festgestellt wird. Bis dahin würden die Einwände sorgfältig abgewogen, versicherte Peter Hansen vom Bezirksamt Nord.

Die Mitglieder des Haushaltsausschusses sehen sich als die falschen Adressaten für Kritik. „Wir machen ja nur die Haushaltstechnik“, sagte der Bürgerschaftsabgeordnete Henning Tants von der CDU. Federführend und inhaltlich zuständig sei der Umweltausschuss, da es um den Haushalt der Umweltbehörde gehe. Der Beschluss solle es ermöglichen, mit dem Grundstücksverkauf und dem naturschutzrechtlich geforderten Ausgleich zu beginnen, sobald der Bebauungsplan fertig sei, sagte die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der GAL-Fraktion Antje Möller.

Auch sie rechne allerdings nicht damit, dass der Bebauungsplan noch in diesem Jahr fertig werde. „Wir erwarten aber eine ernsthafte Prüfung der Eingaben und die Lösung der Verkehrsprobleme vor Ort“, sagte Möller. Die Behörden dürften sich der Auseinandersetzung mit der Bürgerinitiative nicht entziehen.

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