: „Held Russlands“ und Opfer des Rassismus
Der frühere Kosmonaut Mohammed Tolbojew wurde für einen Tschetschenen gehalten und von der Polizei schikaniert
Mohammed Tolbojew hatte Glück im Unglück. Fünf Tage nachdem Polizisten den 53-Jährigen in der Moskauer U-Bahn-Station Wychino unsanft kontrollierten, klagt der Kaukasier nur noch über starke Schluckbeschwerden. Folgen des Würgegriffs, aus dem sich der sportliche Mann befreien und so einem Spießrutenlauf auf dem Polizeirevier entkommen konnte.
Es hätte auch anders enden können. Schwarze, „tschernije“, nennen Russen ihre Mitbürger, die auf keinen slawischen Stammbaum verweisen können. Die meisten stammen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Die Mehrheit der russischen Bevölkerung bringt ihnen Verachtung entgegen und billigt es, wenn sie permanenten Schikanen ausgesetzt werden. Nach Anschlägen verschärft sich die Lage, ohne dass die politisch Verantwortlichen dem offenem Rassismus Einhalt gebieten würden.
Im Gegenteil, nach dem Geiseldrama von Beslan kommt die Wut des Volkes Staat und Kreml gelegen, lenkt sie doch von der Unfähigkeit der politischen Führung ab. In Jekaterinburg im Ural steckte ein Mob am Wochenende Restaurants kaukasischer Inhaber in Brand. Es gab Tote und Verletzte. Die Polizei kann „kein rassistisches Motiv“ entdecken und beschuldigt Hooligans.
Der Casus Tolbojew wird unterdessen von der russischen Restöffentlichkeit aufmerksam verfolgt. Regierungschef Michail Fradkow schaltete sich persönlich ein und ordnete Ermittlungen gegen die Polizisten an. Moskaus Innenbehörde hatte zuvor die Miliz – wie üblich – von jeglichem Fehlverhalten freigesprochen. Doch Tolbojew ist kein Niemand. Der aus Dagestan im Kaukasus stammende Aware tägt den Orden eines „Helden Russlands“, der ihm 1993 für seine Verdienste als Testpilot und Vizekommandant der sowjetischen Raumfähre „Buran“ verliehen wurde. Von 1993 bis 1995 gehörte er als Abgeordneter der Duma an und übernahm 1996 den Posten des Sicherheitsratschefs in Dagestan, wo über 30 Völker zusammleben. Ein feines Geflecht von Kompetenzverteilungen und Vergabe staatlicher Ämter an Repräsentanten der zehn größten Ethnien der Republik konnte dort bislang einen fragilen Frieden bewahren.
Ein Jahr vor dem Einfall des tschetschenischen Terroristen und Wahhabiten Schamil Bassajew nach Dagestan 1998, der Moskau als Vorwand diente, um den zweiten Tschetschenienkrieg zu beginnen, wies Tolbojew im taz-Gespräch bereits auf die wachsende Gefahr des radikalen Islamismus im Kaukasus hin. Auf der Landkarte in seinem Büro in Machatschkala waren alle wahhabitischen Ausbildungscamps im tschetschenisch-dagestanischen Grenzgebiet verzeichnet. Er hätte Moskau mehrfach gewarnt, meinte Tolbojew damals, im Kreml sei er auf taube Ohren gestoßen. Der Kosmonaut ist überzeugt, die Miliz habe ihn letzte Woche gezielt wegen seines kaukasischen Äußeren herausgegriffen. Sie hielt Tolbojew für einen tschetschenischen Familiennamen.
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