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Plädoyer für die Berliner Blondine

Suchen, finden, staunen wird allen, die den Wedding verstehen wollen, geraten. Auf den ersten Blick versteckt der Bezirk seinen Charme, denn „der Wedding kommt anders“. Ausgerechnet der Bürgermeister soll den Wedding niedergeredet haben

Der Wedding lebt. Und zwar da, wo niemand ihn sucht, etwa in der Badstraße

von WALTRAUD SCHWAB

Geht es nach dem Willen der Berliner, dann ist der Wedding die Blondine unter den Bezirken: naiv, unverbesserlich und mit Blödheit auf Schönheit bedacht. Ein blinder Fleck auf der Landkarte von Mitte ist es, ein Berliner Dorf, das mit Vorliebe niedergemacht wird. Zum Entsetzen der Weddinger. Andere interessieren sich ohnehin nicht dafür.

Dabei haben sich Fans des Bezirks auf die Parole „Der Wedding kommt anders“, kapriziert. Sie widersprechen damit Leuten wie Joachim Zeller, dem früheren Bürgermeister von Mitte, dem seit der Bezirksfusion die Chefrolle auch im Wedding zugefallen ist. Der hat den Schlachtruf ins Gegenteil verkehrt. Für ihn mag er lauten: „Der Wedding kommt halt anders daher.“ Wie anders? Schlampig, dreckig, kriminell, unregierbar. So zumindest ist der Eindruck, den seine Interviews in der Springer-Presse hinterlassen haben.

„Na seiense froh, dat der Bürjameesta nich ooch inne Zeitung jeschrieben hat, wie ne jute Tasse Kaffe jemacht wird“, sagt Kalle Legal, der sich zum Zeitvertreib am Imbiss auf der Straßenbahninsel Ecke See-/Müllerstraße aufhält, als er auf die harschen Worte Zellers angesprochen wird. Legal ist nicht sein richtiger Name. Aber seit er in „Tejel“ war, sei das sein Inkognito.

Warum Legal in diesem Text überhaupt vorkommt? Weil die Leute hier keine Illusionen mehr haben, „Tejel“ steht für Knast, und weil man im Wedding noch berlinert. Trotz aller multikulturellen Weltsicht nämlich ist hier der deutsche Proletarier noch Platzhirsch. Der Bezirk, der sich wie eine Eiterbeule mitten in Ostberliner Gebiet hinein drückte, hatte die Mauer von drei Seiten um sich. In Enklaven halten sich Eigentümlichkeiten länger. Die alten Weddinger sind geblieben und mit ihnen die Schnauze.

Zurück zu Zeller: Der Bürgermeister meinte, manche Gegenden im Wedding seien unregierbar. Die vernichtenden Worte zielten auf den Kiez, westlich der Bornholmer Straße. Jedenfalls fühlt sich Klaus Dehne vom Soldiner Kiez e. V. angesprochen und versucht sich in Schadensbegrenzung. Seit 30 Jahren lebt er im Wedding. „Macht der Gewohnheit“, meint er. „Es gibt keinen Grund, wegzuziehen.“ Die Leute seien warmherzig, wer Verständigung sucht, der finde sie auch. Dehne ist Hausmeister „neudeutsch: facility manager“, sagt er in akzentfreiem Englisch. Er sorgt für Ordnung in einem Wohnkomplex mit 278 Leuten an der Koloniestraße. Schwer, das Schöne dort beim Flanieren durch die Straßen zu entdecken. Leer stehende Geschäfte, ruppige Kneipenszene, Aldi, Lidl und der türkische Obsthändler, ein Telecafé, ein Billigladen dazu Spielhalle und Moschee, Straßenbäume und Baustellen. Übliche Berliner Tristesse an Orten, wo die Leute kein Geld haben.

„Bei uns ist gelebtes Multikulti. Türken, Griechinnen, Polen, Deutsche, Aussiedler aus Brasilien, Sinti, Roma wohnen hier“, sagt Dehne. Das Zusammenleben funktioniere. „Bei mir werfen die Leute den Müll in die Container.“ Die gesellschaftlichen Versäumnisse müssen durch Nachbarschaftserziehung aufgeholt werden. Das hat der Hausmeister begriffen. Deshalb müssen die Kinder bei der Hofbegrünung mitmachen. „Das ist euer Baum. Ihr passt auf. Ihr erklärt den Kleinen, dass man die Zweige nicht abreist.“ Dehne ist eine Mischung aus Charme und Autorität, aus Streitschlichter und „heimlichem Bürgermeister vor Ort“. Privat interessieren ihn die Weltreligionen.

Der Wedding ist international. Mittlerweile sollen hier statistisch so viel Nichtdeutsche leben wie in Kreuzberg. Ausgemachte ethnische Kieze gibt es trotzdem nicht. Nur Anzeichen für Konzentrationen. In der Nähe der Bornholmer Brücke leben viele, die irgendwann einmal aus der Türkei eingewandert sind. Im afrikanischen Viertel, dort wo vor mehr als 100 Jahren die Straßen nach deutschen Kolonien genannt wurden, um den einheimischen Arbeitern und Arbeiterinnen die Größe des deutschen Reiches zu verdeutlichen, ist viel afrikanische Lebenskultur zu sehen. Am Leopoldplatz mit seinem südeuropäischen Flair rund um die turmlose Backsteinkirche von Schinkel und entlang der dem Niedergang trotzenden Müllerstraße – einst „Flaniermeile des Nordens“ – siedeln sich immer mehr Asiaten und Asiatinnen an.

Zweifelsohne lebt der Wedding. Und zwar da, wo niemand ihn sucht. In der Badstraße zum Beispiel. Nicht ganz aber fast dem Pariser Barbès ähnlich. Auf den Trottoirs herrscht Geschäftigkeit, die den Staub der viel befahrenen Straße aufsaugt. Der soziale Niedergang, den die Wiedervereinigung vor allem den Ausländern bescherte, hat in dieser Straße eine ganz eigene Sicht auf die Dinge geschaffen: Präsenz konzentriert in überdimensionierten Schildern, die über den Läden hängen. Köfteci-Bulettenmacher, Spielhallen, Pazari-Supermärkte und Fabrikverkäufe. Nicht marktschreierisch werden die Waren angeboten, sondern durch die Größe der Aushänge über den Läden. Weithin sichtbar wechselt Türkisches mit Arabischem ab, und sogar Apotheken und Brillenläden können sich dem Trend zur Größe nicht entziehen. Das Widerständige auf ein paar Buchstaben reduziert. Um Lesen geht es nicht, es geht um Sein. Wo die Bibliothek ist, weiß keiner. Sie ist direkt an der Ecke.

„Früher roter Wedding, heute toter Wedding“, schleudern Klugredner dem Fan des Bezirks entgegen. Mitnichten. Wo die Leute ärmer werden, und sie werden es, sind plötzlich die billigen Wohnungen mit Ofenheizung wieder gefragt. Im Wedding gibt es noch viele davon, da hier in den letzten zwanzig Jahren kaum Sanierungsgebiete ausgewiesen waren und viel Altbaubestand in Privatbesitz ist. Aus diesem Grund entdecken immer mehr Studierende den Wedding, obwohl er nur sich und nichts Szeniges bietet.

In Wedding herrscht die übliche Tristesse an Orten, wo Leute kein Geld haben

Entdecken ist wörtlich gemeint. Der Wedding kommt ohne Theater aus. In Galerie- und Restaurantführern wird er übergangen. Stattdessen weisen handgeschriebene Schilder den Weg in Treppenhaus-Ausstellungen, veranstalten Taubenzüchter ihre Rassetaubenschauen in Hinterzimmern von Eckkneipen. Es gibt verrauchte Läden, in denen Transsexuelle den besten Neue-Medien-Service bieten, und alle, ob türkisch, ob arabisch, ob deutsch, kommen zu ihnen. Es gibt leer stehende Läden, die für Galerien genutzt werden und Erzählcafés, wo die alten Weddinger zusammenhocken und sich mit Leuten wie Günter Lamprecht, Katja Lange-Müller oder Ulrich Roloff-Momin unterhalten.

Suchen, finden, staunen lautet das Motto.

Wer nicht suchen will, braucht Kontakte. Etwas, was im Wedding immer von Vorteil ist. „Wenn de was brauchst, meldeste dich. Ne Garage, ’n Fahrrad, ne Kreuzotter, ’n Koi oder Saft mit Gras?“ Alles kein Problem. Denn hin und wieder preist der Weddinger sich als echten Nachkommen der Figuren aus den Zille’schen Bilderbüchern: Arbeitslos betreibt er Geschäfte jeder Art, beschimpft seine Nachbarn und behält dessen Geheimnisse dennoch für sich. Seine Nächstenliebe ist mit Geringschätzung gepaart. Seine Herzlichkeit mit Unterlassungssünden.

Widersprüchliches zeichnet den Bewohner dieses Stadtteils aus, aber auch seine Stadt. An jeder Großartigkeit ist der Abgrund inszeniert. Wie ein Narr trägt der Bezirk vorn und hinten Gesichter: Neben dem Antikriegsmuseum ist das Zuckermuseum. Vor dem monströsen Amtsgericht in der Pankstraße blüht üppig der Brunnenplatz, und die Berge im Humboldthain stehen auf Bunker. Je hässlicher ein Ort in diesem Bezirk ist, desto genauer muss man hinschauen. Das Schöne ist als Suchbild versteckt. „Finden Sie den Fehler!“

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