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Der Durchbruch des Bebärtelten

Das 3:0 der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Island setzt den erfolgreichen Schlusspunkt einer EM-Qualifikation, die nicht nur manch Ärgernis barg, sondern auch neue Gesichter ins Team spülte – allen voran das markante von Kevin Kuranyi

Egal, wen Völler aufstellt, das Niveau bleibt in etwaimmer gleich

aus Hamburg MATTI LIESKE

In jenen denkwürdigen Zeiten, als die deutsche Fußball-Nationalmannschaft ausschließlich großartige Spiele lieferte – höchstens mal ein klitzekleines schlechteres zwischendrin – sprach ein gewisser Franz Beckenbauer einmal unvermittelt den Satz: „Ich lasse mir einen Schnauzbart wachsen.“ Genauso prompt, so die Legende, antwortete Gerd Müller: „Ich lasse mir auch einen Schnauzbart wachsen.“ Der von Beckenbauer hatte nicht lange Bestand, weil der kaiserliche Ballbeweger damit eins-a-bescheuert aussah, der von Müller schon. Er verlieh seinem Gesicht etwas Gefährliches, man könnte sagen, Torgefährliches.

Kevin Kuranyi ist eine Art Nachfolger von Gerd Müller, aber nie käme ihm ein Satz wie der des altvorderen Torfabrikanten über die Lippen. Ein „Auch-Bart“ wäre nichts für den Stuttgarter, weshalb er die Bundesliga-Bühne mit einem ausgefeilten, filigran gestutzten Gesichtskunstwerk betrat, das vor allem eine Botschaft in die Welt posaunte: „Ich bin einzigartig.“ Gleichzeitig kündete das coole Bärtchen von einem Selbstvertrauen, so prall wie ein übermäßig aufgepumpter Fußball. Wer sich derart offensiv präsentiert und dann als Flop erweisen sollte, gibt sich schließlich komplett der Lächerlichkeit preis.

Man darf davon ausgehen, dass Kevin Kuranyi ein solcher Gedanke nie gekommen ist. Warum auch? Längst hat er beim VfB und im Nationalteam bewiesen, dass er Gefühl nicht nur mit dem Rasiermesser besitzt, sondern auch in den Füßen. Der elegante Angreifer ist, nach nur sechs Länderspielen, der klare Protagonist einer neuen, selbstbewussten Jugendlichkeit im DFB-Team und eindeutige Gewinner der langen, mitunter leidvollen Qualifikation für die Europameisterschaft im Juni 2004 in Portugal.

Diese Ausscheidung fand am Samstag mit dem 3:0 gegen Island ihr glückliches Ende – eine Partie, die noch einmal alles enthielt, was das Team von Rudi Völler derzeit charakterisiert: Gegen einen Kontrahenten, der solides europäisches Mittelmaß verkörpert, eine furiose Anfangsphase mit einem überragenden Michael Ballack, flinkfüßigem Flügelspiel und einigen Torchancen; dann ein quälender Mittelteil, in dem die Kontrolle des Spiels abgegeben wurde, weil man sich zu weit zurück zog, was Völler anschließend selbstkritisch als taktischen Fehler eingestand; schließlich eine versöhnliche Schlussphase gegen ein isländisches Team, das, weil es gewinnen musste, wesentlich offensiver als beim 0:0 im Hinspiel auftrat, was den Deutschen sehr entgegenkam. Ein Match also, das man souverän gewinnt, wenn es, wie am Samstag, glücklich läuft; das aber leicht zum Alptraum mutieren kann, wenn es eine ungünstige Wendung nimmt – der Schiedsrichter zum Beispiel das 1:1 der Isländer in der 58. Minute nicht wegen Foulspiels annulliert. „Da hatten wir großes Glück“, räumte der Teamchef ein, der mit jeder Pore seines geradezu Waldi-artig entspannten Gesichtes riesenhafte Erleichterung signalisierte.

Nach dem Sterntaler-Erlebnis der WM 2002 hatte ihm vor der EM-Qualifikation in einer nominell puppenleichten Gruppe mächtig gegraust. Diese nun geschafft zu haben, ohne in der Relegation potenzielle Kontrahenten wie Niederlande, Spanien, Türkei oder Russland aus dem Weg räumen zu müssen, erfüllt Völler mit berechtigtem Stolz und verleiht seinen Tiraden gegen die Garde der Alt-Nörgler noch nachträglich zusätzliche Substanz.

Hinzu kommt, dass er weit schneller und reibungsloser als erwartet einen Umbruch im Nationalteam eingeleitet hat, der vor allem in Hinblick auf die WM 2006 notwendig war. Mit Kuranyi, Christian Rahn, Andreas Hinkel und Arne Friedrich standen am Samstag vier Spieler in der Mannschaft, an die während der WM vor etwas mehr als einem Jahr noch nicht zu denken war. Diverse andere kamen in der EM-Qualifikation ebenfalls zum Einsatz, und es bleibt festzuhalten, dass es meist nicht diese waren, die für verschiedentliche Kalamitäten verantwortlich zeichneten.

Begünstigt wurde der Verjüngungsprozess durch diverse Verletzungen und Indisponiertheiten der älteren Stammkräfte. Spannend wird nun die Frage, welche Richtung der Teamchef bevorzugt, wenn Leute wie Hamann, Ziege, Jeremies, Deisler, Frings oder Nowotny wieder fit sind. Als ausgemachte „Jekyll and Hyde“-Persönlichkeit neigt Völler einerseits dazu, die Erfahrungen und Verdienste der Älteren zu würdigen, andererseits, die Risikofreude und Unbekümmertheit der Jungen zu belohnen. Zumindest für Portugal 2004 dürfte es auf einen Kompromiss hinauslaufen. Die Spiele des letzten Jahres haben ohnehin gezeigt, dass es – abgesehen von Ballack und Kahn – relativ egal ist, wen Völler aufstellt. Das Niveau bleibt in etwa immer gleich.

Einer, der perspektivisch ebenfalls einen Unterschied in einem Team machen könnte, das trotz aller Nachwuchsfreuden mittelfristig kaum zu den besten des Weltfußballs zählen wird, ist ohne Zweifel Kevin Kuranyi. Von Technik und Spielweise her erinnert der Stürmer mit den brasilianischen Wurzeln an Marco van Basten, auch wenn ihm ein wenig die Wucht fehlt, die den begnadeten Niederländer schon mit 17 auszeichnete. Dank seiner Fähigkeiten als Vorbereiter und Vollstrecker muss sich Kuranyi um seinen Stammplatz im Team kaum noch sorgen, begonnen hat hingegen das Buhlen um den Posten an seiner Seite. Der eingewechselte Miroslav Klose bewarb sich mit seinem uneigennützigen Pass zum 3:0, Kuranyis erstem Länderspiel-Tor. Fredi Bobic setzt seine ganze, durchaus beachtliche Rhetorik ein, um die offenkundige Harmonie zwischen Ex-Stuttgarter und Noch-Stuttgarter zu feiern. „Er hat eins vorbereitet, eins geschossen, ich hab eins vorbereitet, eins geschossen, perfekter geht’s nicht“, betrieb der 31-Jährige Eigenpropaganda. Dabei versäumte er es aber nicht, den Zusammenhalt der Stürmer, zu denen auch noch Lauth und Neuville zählen, als „Team im Team“ zu loben. Kaum zu glauben, dass man vor der WM noch vehement die Rückkehr des Urknorzes Ulf Kirsten diskutierte. Apropos: Was macht eigentlich Carsten Jancker?

Deutschland: Kahn - Friedrich, Ramelow, Wörns - Hinkel, Baumann, Rahn - Schneider, Ballack - Bobic (70. Klose), Kuranyi (85. Neuville)Island: Arason - Ingimarsson, Bjarnason, Hreidarsson - Thordur Gudjonsson, Gretarsson (80. Brynjar Gunnarsson), Kristinsson, Vidarsson, Indridi Sigurdsson (66. Dadason) - Helgi Sigurdsson (80. Veigar Pall Gunnarsson), GudjohnsenZuschauer: 50.780; Tore: 1:0 Ballack (9.), 2:0 Bobic (59.), 3:0 Kuranyi (79.)

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