: Man weiß nie, was danach kommt
Der Flughafen Tempelhof bleibt noch bis 2006 in Betrieb. Doch die Anwohner in Tempelhof und Neukölln bleiben gelassen: Der Taxifahrer und die Imbissbesitzerin fürchten Umsatzeinbußen, Nachbarn vertrauen auf schalldichte Fenster. Ein Rundgang
VON FELIX WADEWITZ
Ihr Pelzmantel war teuer. Seine Zigarre wurde in Kuba gedreht, per Hand, versteht sich. Wären die beiden Komparsen, würde der Film von längst vergangenen Westberliner Zeiten erzählen. Ob sie nach Düsseldorf wollen? „Wir fliegen nach Westerland“, sagen sie. Ach so. Sylt also. 12.30 Uhr geht ihre Maschine.
Es herrscht Filmstudioatmosphäre in der Abflughalle des Airport Tempelhof, ein wenig Hollywood der 50er-Jahre liegt in der Luft. Gleich könnte Doris Day auftauchen, um Gary Grant in die Arme zu fallen. Aber nix da. Ein paar Geschäftsleute und ältere Ehepaare verlieren sich in der riesigen Halle, die erst nach dem Krieg so eingerichtet wurde, wie sie heute aussieht. Warteschlangen gibt es keine.
12.30 Uhr. Flug LH 9508 nach Sylt hebt ab.
Vor der Halle warten acht Taxen. Die Fahrer machen Siesta oder lesen die B.Z. Jürgen Küchler liest, sein Mercedes hat schon bessere Zeiten gesehen. Der 60-Jährige ist erleichtert, dass Tempelhof erst mal geöffnet bleibt. Eigentlich wollte die Flughafengesellschaft am 31. Oktober das Licht ausknipsen. Ein Gericht stoppte die Pläne, nun geht es vorerst weiter in Tempelhof (siehe Kasten).
„Ich komme in Not, wenn die dichtmachen“, sagt Küchler. Die Zeiten sind schlecht und der Taxifahrer arbeitet auf eigene Rechnung. Seit vier Jahren „jibt det deshalb Urlaub nur noch uff Krumme Lanke“. Mehr als eine Stunde muss der 60-Jährige auf die nächste Landung warten. Dafür steigt dann garantiert ein Passagier in seinen Mercedes. „In Tegel warten 400 Kollegen. Da weiß man nie, wie man dran ist.“
13.15 Uhr. Flug ST 4136 nach Athen hebt ab.
Vom Platz der Luftbrücke im Nordwesten des Rollfeldes geht es in Richtung Süden. Vom Himmel fällt Nieselregen. Die Autolawine auf dem Tempelhofer Damm übertönt die Flugzeuge, die Bundesstraße trennt den Flughafen-Zaun von den angegrauten Wohnhäusern.
Zehn Minuten später. Links: immer noch das Flughafengebäude. Rechts, auf dem Fußweg: der „Air-Jet-Imbiß“. Heidrun Portau steht an der Fritteuse. Seit 28 Jahren wohnt die Berlinerin am Flughafen, seit fünf Jahren steht ihr Imbiss direkt gegenüber dem Hangar. Die Rollen sind klar verteilt. Der Gast isst Pommes, Portau referiert.
Sie redet wie Anke Engelke, die eine Imbissbudenbesitzerin spielt: „Wenn das einer weiß, dann ja wohl ich, bin ja kein Zufallsgast hier, jeden Tag brausen die Polizeieskorten die Straße lang, was das kostet, sechzehn Motorräder für einen ‚Zappel‘ in der Limousine!“ Portau schüttelt den Kopf. „Wenn Tempelhof dichtgemacht wird, können die Politiker ja nur noch von Tegel abfliegen. Was das kostet, die hohen Herren da extra hin zu bringen!“ Und überhaupt: „Keiner weiß, was mit den Gebäuden nach einer Schließung geschieht. Wohlstandsruinen haben wir doch schon genug in Berlin!“ Und von wegen Lärmbelästigung: „Die Autos machen mehr Krach. Außerdem weiß doch jeder, der herzieht, worauf er sich einlässt.“ Im Übrigen: „Die Zeiten sind schlecht. Aber das kapieren die hohen Herren ja nicht!“
Dreißig Prozent weniger Umsatz als früher mache ihr Imbiss. Da kann sie die Piloten, die ab zu auf eine Curry-Wurst vorbeikommen, gut gebrauchen. Ein dicker Stammkunde unterbricht sie: „Bescheuert ist das, was du sagst“, brabbelt er zwischen zwei Löffeln Kartoffelsalat. Warum, sagt er nicht.
Weiter in Richtung Süden. Direkt an der Straße stehen vier- und fünfstöckige Wohnhäuser, der Putz ist längst abgeblättert. Die Menschen, die aus den Hauseingängen kommen sind Rentner, Krankenschwestern, Bäckergesellen, Busfahrer, Sekretärinnen. Ihretwegen kann der Flughafen bleiben, sagen sie im Vorbeigehen. Es gehe doch um 250 Arbeitsplätze. Das sei das Wichtigste in diesen Zeiten. Den Lärm finden sie erträglich, schließlich hätten die Wohnungen schalldichte Fenster. Hannelore Freigang wohnt seit 40 Jahren am Tempelhofer Damm. „Hat mich nie gestört“, sagt sie achselzuckend. „Ich freue mich, dass erstmal alles bleibt wie es ist. Schließlich weiß man nie, was danach kommt.“
15.00 Uhr. Flug HE 517 nach Dortmund hebt ab.
In der Kneipe „Am Rollfeld“ ist nichts los. Wilfried Peters sitzt vor einem Pils. Seit zehn Jahren bewirtschaftet er mit seiner Frau Doris die Gaststätte. „Futtern wie bei Muttern“ steht auf einer Fensterscheibe. „Der Flughafen ist doch eine Sensation, so mitten in der Stadt“, sagt der Wirt. Im Sommer sitzen seine Gäste auf der Straße und schauen den startenden und landenden Sportfliegern zu. „Die Zeiten sind hart genug. Ohne Flughafen wäre alles noch schwieriger.“
15.10 Uhr. Flug LX 945 nach Basel hebt ab. 15.44 Uhr. Ein Sportflieger rauscht im Tiefflug über die Häuser.
Joachim Schulz ist ein Flughafengegner. 1963 zog der Jurist nach Tempelhof. Damals wohnte er in einem Hochhaus, den Blick auf die Startbahn empfand er als Attraktion. „Wir haben das Flugzeug der Queen live gesehen“, erinnert er sich. Mittlerweile kämpft Schulz gegen den Airport, seit acht Jahren ist er in einer Bürgerinitiative. Gebracht hat es wenig, sagt der 76-Jährige und blättert in einem Leitz-Ordner. Dutzende Zeitungsartikel über Flugzeugkatastrophen hat er gesammelt. Bei einer Notlandung habe der Pilot die Wahl zwischen Wohn-, Verkehrs- und Industriegebiet, kritisiert Schulz. Und der Kerosin-Geruch im Garten! Wer weiß schon, ob die Gifte das Obst im Garten angreifen.
16.00 Uhr. Flug LH 9539 nach Saarbrücken hebt ab.
Der Briefträger ist fast fertig mit seiner Runde. Zwei, drei Päckchen noch, dann ist Feierabend. Er freut sich, mit jemandem reden zu können. „Der Flughafen? Verscheißerung der Leute, Politiker unfähig, die sollen zu Potte kommen, alles Mumpitz, und die Kiez-Polizei, so ein Quatsch, Verschwendung, und die Fixerstuben, Blödsinn, geht alles den Bach runter, das wollen die da oben sogar, Weihnachts- und Urlaubsgeld futsch, und die Chefs kassieren Millionen, arbeiten lohnt nicht, und die Extremisten, besonders die Grünen, bald wird ein Bonze gekillt, die Zeiten sind so.“ Punkt.
16.30 Uhr. Flug 3L363 nach Friedrichshafen hebt ab.
Zeit für einen Seitenwechsel. Weg vom Tempelhofer Damm, auf die andere Seite des Flughafens. Nach Neukölln, östlich des Airports, auf das Trainingsgelände von „Tasmania Berlin 1973“. Kinder spielen Fußball. Plötzlich heult Motorenlärm auf, zwischen den Bäumen tauchen die Flügel einer Propellermaschine auf. Sie steuert genau auf das Spielfeld zu. Die Kinder ignorieren das Flugzeug. Kurz vor dem Zaun, der Spielfeld und Rollbahn voneinander trennt, dreht der Flieger ab. „Ein bisschen Angst um die Kinder habe ich schon“, sagt Necmettin Sepsul. Zweimal pro Woche bringt Sepsul seinen 9-jährigen Sohn zum Training. Im Hintergrund hebt das Flugzeug ab. Es ist LH 9521 nach Mannheim. „Mein Sohn Lucas findet das witzig“, meint Leina Eckold. „Daher kommen wir extra zum Gucken her.“
Es ist 17.20 Uhr. SN 2585 nach Brüssel hebt ab.
Jogger, Hundebesitzer, Sparziergänger – der Weg entlang des Flughafens ist beliebt. Noch besser als der Flughafen wäre ein Stadtwald, meint einer. Wie der Central Park in New York. Anfang der 90er-Jahre ist jede Minute ein Flugzeug über ihr Haus gedonnert, erinnert sich Anwohnerin Anneliese König. Da ist sie Plakate kleben gegangen und hat Leserbriefe geschrieben. Jetzt stören sie die wenigen Flugzeuge kaum noch.
Es ist 18.10 Uhr. Flug HE 519 nach Dortmund hebt ab.
Schaulustige drängen sich am Zaun. Ein Blick, so weit das Auge reicht. Wo gibt es das schon, mitten in der Stadt? Und die Luft! Es ist frischer hier als auf der Tempelhofer Seite. Als stünde man am Rande der Prärie. Jan Peele sieht in seinem dunklen Cordanzug und dem verträumt-sehnsüchtigen Blick wie ein Musiker aus, den es von der Popkomm hierher verschlagen hat. „Ich find’s sehr schön hier“, sagt der Krankenpfleger. „Die Flughafenlichter in der Dämmerung, die Nähe zu den Maschinen, das hat was“, sagt der 28-Jährige. „Es regt zum Träumen an.“ Und kostenlos ist es. Das sei wichtig in diesen Zeiten.
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