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Die Teppichflüsterer

Arabische Woche der Wahrheit: Die Literatur der Teppichhandels steht in voller Blüte

Orient, fußfreundlicher Orient! Was wäre das Beduinenzelt ohne dreifache Teppichlagen, was die Paläste der nahöstlichen Potentaten ohne üppige Teppichpracht? All die Sultane und Saddame, Faruks und Farahs, Alis und Babas setzten ihre herrscherlichen Sohlen nur selten auf den blanken Marmor ihrer Paläste. Und noch der Bewohner der elendsten Lehmhütte geleitet den Besucher über handgeknüpfte Auslegware. Auch die schwülen Orientfantasien der Belle Epoque hätten ohne Teppichausstattung niemals ihre hochflorige Haremsatmosphäre entwickelt. Ach was – ohne die Knotenwunder aus Täbriz oder Isfahan ist der Orient für uns Abendländer überhaupt nicht denkbar!

Kommen die meisten Teppiche auch aus dem Iran, aus Pakistan oder China, so sind sie in unserer Fantasie dank der Märchen aus Tausendundeiner Nacht und ihrer fliegenden Teppiche doch untrennbar mit der arabischen Welt verknotet. Und so ist es nicht verwunderlich, dass die Werbung des hiesigen Teppichhandels sich nicht in schnöden Anzeigen erschöpft, sondern ihre Botschaft mit aufwendig produzierten Faltblättern an den Konsumenten bringt. Ein eigenes Genre ist so entstanden, das in seiner prächtigen Bebilderung und seinen wortreichen Erklärungen kleine Kunstwerke geschaffen hat. Falten wir die Prospekte auseinander, so bietet sich uns das Panorama einer Märchenwelt ganz ohne Laminat und PVC-Bodenbeläge. Lauschen wir also den blumigen Botschaften orientalischer Teppichflüsterer.

Anders als in der üblichen Produktwerbung wird dem Verbraucher hier keine heile Firmenwelt vorgespielt – der Teppichhandel hat sich ganz der Schocktherapie, der Katastrophenwerbung verschrieben. Dem kundigen Käufer traumhafter Teppiche werden wahre Horrorszenarien vorgestellt, um ihm den Glauben an das unwiederbringliche Jahrhundertschnäppchen einzupflanzen. Insolvenzverfahren in endloser Folge, unlautere Wettbewerber, finanzielle Schieflagen von ungeahnten Ausmaßen und persönliche Schicksalsschläge der persönlich haftenden Geschäftsführer führen da zu Rabattschlachten und Preisnachlässen bis zu 80 Prozent nach Verkehrswerten, denen sich kein Connaisseur edler Knüpfkunstwerke ernstlich entziehen kann. Ein Beispiel mag für viele stehen: „Rein wirtschaftliche Gründe und der Ausfall eines Großkunden zwingen uns dazu, außerordentliche Maßnahmen in die Wege zu leiten um einen Insolvenzantrag abzuwenden. Die ganze Wahrheit werden wir Ihnen gern persönlich bei einem Besuch mitteilen. Deshalb müssen die riesigen Bestände leider, leider so schnell wie möglich irgendwie zu Geld gemacht werden. Selbstverständlich erleiden wir dabei schmerzliche Verluste. Sie aber, Sie sollten diese wirklich einmalige Gelegenheit nutzen! Seien Sie jetzt ausschließlich der kühl kalkulierende und entschlossene Kunde!“

Welcher kühl kalkulierende Kunde eilte da nicht in die Räume des knallseriösen Teppichhauses Abu-Schau, um sich einen atemberaubenden Bidjar zu erhandeln, mit dem noch die unscheinbarste Umgebung in ein wunderschönes Zuhause verwandelt werden kann! Und dass all die erlesenen Stücke mit bildschönen Dekoren, lebendigen Farben zu drastisch nachgelassenen Preisen ohne Wenn und Aber angeboten werden, dürfte jedem entschlossenen Kunden Kaufsignal genug sein.

Doch wenn, beim Barte des Propheten, die eben noch dem Untergang geweihte Firma nach zwei Monaten am gleichen Ort unter anderem Namen neu ersteht wie Phönix aus dem Wüstensand und ihre ornamentreichen Knotenwunder jetzt zu noch unglaublicheren Hammerpreisen annonciert, dann kann auch der treueste Anhänger orientalischer Märchenerzähler ins Grübeln kommen. Denn bedenket, oh ihr Verhökerer minderwertiger Fabrikware, was Prinz Hussein einst dem Ausrufer entgegnete, der ihm einen mäßig großen Teppich von grober Zeichnung für dreitausend Zechinen anbot. Der Prinz rief den Mann heran, um den Teppich näher in Augenschein zu nehmen und sagte dann: „Wie könnt Ihr für so geringe Ware einen so maßlosen Preis verlangen? Ihr seht ja, dass alle Menschen, die Euch hören, lachen und weitergehen.“ Zum Beispiel in die Teppichabteilung von Kaufhof oder Hertie. RÜDIGER KIND

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