und sonst?: Gegeninitiativen
Nach den Anschlägen auf die Synagoge in Istanbul im Herbst 2003 „konnten wir es nicht mehr aushalten“, erzählt der Sozialarbeiter und Student Aycan Demirel. „Wir haben diese antisemitische Stimmung in der Migranten-Community gespürt – und die Gleichgültigkeit dazu.“ Seine Freunde und er waren „empört und geschockt“: „Wir wollten dazu nicht schweigen.“ Also formierte man sich und organisierte als „Migrantische Initiative gegen Antisemitismus“ eine Demonstration in der Hauptstadt: „Wir wollten zeigen, dass das Schweigen nicht die normale Haltung unter Migranten ist und dass es den vorausgesetzten antisemitischen Konsens nicht gibt.“
Doch Freunde macht man sich damit nicht viele: „Die Kundgebung durchzuführen war nicht einfach, mitten in Kreuzberg, bei dieser Stimmung – nicht zuletzt wegen der Dominanz der linksalternativen Szene und ihres antizionistischen Wahns“, erzählt Demirel. „Wir werden angefeindet – bis zur sozialen Isolation.“ Es ist der typische Nestbeschmutzer-Vorwurf: „Die Radikalsten unserer Kritiker unter den Migranten sagen, dass der Antisemitismus-Vorwurf gegen muslimische Migranten ein Mittel der USA und Israels sei, um Kritik an ihnen zu diskreditieren. Sie wollen Antisemitismus unter Migranten nicht thematisieren.“
Die Berliner Initiative „Standpunkte“ bietet Fortbildung für hiesige Lehrerinnen und Lehrer zum Umgang mit Rechtsextremismus und Antisemitismus an. „Standpunkte“ ist ein Projekt im Rahmen des Programms „Erziehung für Demokratie – gegen Rechtsextremismus“ des Landesinstituts für Schule und Medien (LiSuM), realisiert in Kooperation mit der Regionalen Arbeitsstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule (RAA).
Das American Jewish Committee in Berlin vernetzt Pädagogen, Wissenschaftler und Multiplikatoren im Kampf gegen Antisemitismus. Mit der Heinrich-Böll-Stiftung organisierte es bis zum Frühjahr für Experten eine umfassende Diskussionsreihe zum Antisemitismus – unter anderem in der muslimischen Gemeinschaft in Deutschland.
Auch für die Amadeu Antonio Stiftung ist der Kampf gegen die Judenfeindlichkeit „aufgrund der aktuellen Dimension antisemitischer Ausschreitungen“ zu einem Schwerpunkt geworden. So bietet sie etwa auf einer speziellen Website (www.projekte-gegen-antisemitismus.de) einen Überblick über die Arbeit vieler Initiativen und Projekte, die sich gegen Antisemitismus engagieren – voneinander lernen ist das Motto.
Seit etwa drei Jahren treffen sich auf Einladung des Jüdischen Kulturvereins und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) Kreuzberg türkische und jüdische Senioren aus der Hauptstadt alle paar Monate, um einander besser kennen zu lernen – und dass das überhaupt zustande kam, ist fast ein Wunder. Denn ausgerechnet das erste Treffen wurde nach monatelanger Vorplanung wegen Terminschwierigkeiten für den 12. September 2001 festgesetzt: ein Tag nach den Selbstmordattentaten, die die Welt veränderten. Man habe das Treffen am 12. September nicht verschoben, erzählt Ralf Bachmann, Vorstandsmitglied beim Jüdischen Kulturverein – und alle, die damals dabei waren, hätten dieses Zusammensein nie mehr vergessen: „Wir fühlten uns irgendwie innerlich verbunden – im Protest.“ GES
Literatur: „Vor Antisemitismus ist man nur noch auf dem Monde si- cher“. Antisemitismus und Antiamerikanismus in Deutschland. Hrsg. vom Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) in Kooperation mit der Amadeu Antonio Stiftung, Leipzig 2004
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