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Attacken auf den Davidstern

taz-Serie „Islam in Berlin“ (Teil 4): Immer wieder fällt Antisemitismus von Berliner Muslimen auf, manchmal kommt es gar zu tätlichen Angriffen. Für einige Jugendliche, sagen Experten, sei Judenhass identitätsstiftend. Diskutiert wird das Problem kaum

VON PHILIPP GESSLER

Als es Anfang Januar 2001 Walter Rothschild traf, war das Entsetzen noch groß – der Fall rauschte durch den Blätterwald: Der liberale Rabbiner aus Berlin wurde am U-Bahnhof Wittenbergplatz von drei Jugendlichen attackiert. Ein Jugendlicher stellte sich Rothschild in den Weg: „Hey, sind Sie Jude?“ „Ja, natürlich“, antwortete der Geistliche. „Ich hasse alle Juden!“, sagte der junge Mann. Als einer der Jungmänner dem Rabbiner seinen Hut entreißen wollte, gab es ein Handgemenge – schließlich schlug ihm einer der Jugendlichen ins Gesicht, ein Brillenglas zersplitterte. Später wurden die Gewalttäter gefasst. Es waren drei 15-Jährige: ein Türke, ein Iraker und ein Deutscher libanesischer Herkunft. Was sie verband war ihr Hass auf Juden – und ihr islamischer Glaube.

Immer wieder fällt der Antisemitismus von Muslimen in der Hauptstadt auf, immer wieder wird er gewalttätig, Anschläge auf Juden durch muslimische Täter nehmen zu. Ende Juni vergangenen Jahres wurde ein 14-jährige Schülerin in einem Bus der Linie 148 in Schöneberg von jungen Frauen vermutlich türkischer Herkunft attackiert, weil die Schülerin einen Davidstern trug. Die Täterinnen schlugen und traten auf sie ein. Ähnlich war es bei einem Touristen Anfang Juni dieses Jahres in Neukölln. Er wurde von zwei Unbekannten angegriffen. Einer von ihnen, ein Palästinenser, fragte den Israeli, ob er Jude sei. Daraufhin riss man dem Touristen die Kippa vom Kopf und schlug ihm ins Gesicht. Die Meldung darüber ging fast unter.

Dass nicht wenige der etwa 220.000 Muslime in Berlin und etwa 3,2 Millionen bundesweit judenfeindlich eingestellt sind, wurde lange in der Öffentlichkeit nicht registriert. Und selbst die Wissenschaft nahm dies viel zu spät wahr. Der Islamwissenschaftler Bassam Tibi empörte sich Anfang 2003: „Warum reden deutsche Islam-Experten, die unablässig Verständnis für die islamische Kultur predigen, nicht auch von den Gefahren des Judenhasses, der nicht zuletzt in der deutschen Islam-Diaspora allgegenwärtig ist?“

Uralte antisemitische Klischees, Stereotype und Vorurteile, identisch mit denen aus der Nazizeit, werden durch die Medien und in Predigten, unter anderem über Satellit und über das Internet, in die ganze Welt verbreitet – auch nach Berlin. Verschwörungstheorien von angeblich Blut trinkenden, Kinder mordenden, die Medien und die USA kontrollierenden Juden werden genauso gestreut wie Verschwörungstheorien über den 11. September, den Irak oder den Tod Möllemanns. Juden werden mit Nazis verglichen, ja völlig entmenschlicht, als Würmer, Spinnen, Kraken, Raben und Wölfe dargestellt.

Juliane Wetzel vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU fasst die Lage so zusammen: Vor allem seit Beginn der „zweiten Intifada“ nehme der Antisemitismus in der arabischen Welt „einen noch zentraleren Stellenwert ein“: „Als Transportmittel dieser sich im Wesentlichen gegen Israel, aber auch gegen die Juden in der Welt insgesamt richtenden Vorurteile dienen Weltverschwörungsfantasien und die Verharmlosung – wenn nicht gar die Negation – des nationalsozialistischen Genozids an den Juden.“ Und fast alles davon landet auch in Berlin.

Sicherlich: Geht man nach den Straftaten insgesamt, so sind antisemitische Vergehen, vor allem Friedhofsschmierereien oder Hetzpropaganda immer noch zum großen Teil Taten nichtmuslimischer Täter, so der Berliner Islamismus-Experte Eberhard Seidel, Bundesgeschäftsführer des Vereins „Schule ohne Rassismus“. Die direkte Gewalt gegen Juden aber sei in letzter Zeit mehrheitlich von Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund ausgeübt worden. Viele der bundesweit 35 Attacken auf Juden 2003 ereigneten sich in Berlin. Etwa die Hälfte dieser Gewalttaten, so eine der wenigen verlässlichen Angaben zu den Tätern, verübten Muslime.

Überdeutlich wurde die antisemitische Stimmung in Teilen der muslimischen Bevölkerung der Hauptstadt bei der Pro-Palästina-Demonstration vom April 2002 an der Spree. Da wurde auf Spruchbändern Israel als „nationalsozialistischer Staat“ verunglimpft oder mit dem „Dritten Reich“ gleichgesetzt. Nach Abschluss der Demonstration gerieten junge Hisbollah-Anhänger völlig außer Rand und Band, schrien auf dem Potsdamer Platz: „Wir wollen keine Judenschweine“, ein klassischer Ruf rechter Judenfeinde. Einige zeigten sogar den Hitlergruß und riefen „Sieg Heil!“.

Am 28. September 2002 versammelten sich unter dem Motto „Freiheit für Palästina“ etwa tausend Menschen auf dem Kurfürstendamm, um des zweiten Jahrestages der „zweiten Intifada“ zu gedenken. Dabei riefen meist jugendliche Hamas- und Hisbollah-Sympathisanten, zu erkennen an ihren grünen und gelben Fahnen, in Sprechchören: „Hayvan Hayvan ya Yahud!“ – etwa: „Juden sind Schweine“.

Als am 27. Oktober 2002 bei einer Veranstaltung von Hisb ut-Tahrir al-Islami dann auch noch der damalige NPD-Anwalt Horst Mahler und sein Parteichef Udo Voigt auftraten, verbot Bundesinnenminister Schily am 15. Januar 2003 Hisb ut-Tahrir al-Islami wegen Gewaltpropaganda und antijüdischer Hetze. Seitdem ist Hisb ut-Tahrir al-Islami, die etwa 200 Mitglieder hat, nicht mehr in Erscheinung getreten, sagt der Verfassungsschutz.

Am 20. März 2003 wurde die Al-Nur-Moschee in Neukölln von der Polizei durchsucht. Dabei wurde unter anderem der Vorbeter der Gemeinde, der Libanese Salem El-Rafei, Scheich Salem genannt, festgenommen. Auf einer inzwischen geschlossenen Homepage der Moschee nahm eine Frauengruppe Bezug auf eine angebliche Aussage des Propheten: Wie die Schlange die Umwandlungsform der Dschinn, also der Geister, sei, genauso seien „die Affen und Schweine die Umwandlungsform der Juden“.

Imam Mohammed Herzog, Vorsitzender der Islamischen Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime in der Hauptstadt, wägt die Worte beim Thema Judenfeindlichkeit unter Muslimen sehr. Schon mehrfach hat sich der gebürtige Berliner in der muslimischen Szene den Mund verbrannt, weil er Verdrängtes aussprach. Das ging so weit, dass er nach dem 11. September 2001 wegen kritischer Aussagen zu Fundamentalisten im Islam Morddrohungen erhielt.

Nur einzelne Muslime, sagt Herzog heute, hätten etwas gegen Juden. „Ich weiß nichts von dieser Szene – und will davon auch nichts wissen.“ Es gebe auch deutsche Muslime, die ihn kritisierten, weil er sich mit Juden und Christen an einen Tisch setze. Einmal, berichtet der Geistliche, habe er Besuch von einer 10. Schulklasse aus Kreuzberg bekommen. Dabei habe ein türkischstämmiger Junge gesagt, man müsse allen Christen und Juden die Köpfe abhauen. „Was hast du denn für einen Koran?!“, habe er ihn gefragt. „Unser Hodscha erzählt so was“, habe der Junge erzählt – aber in welcher Moschee dieser Geistliche predige, wolle er nicht sagen, betont Herzog. „Das war einer von denen, die dem Kaplan nahe stehen“, erzählt er dann doch. Bei denen sei so etwas „gang und gäbe“. Und es sei sehr gefährlich.

Imam Herzog nennt einen Grund für den Judenhass unter hiesigen Muslimen: „Wir Muslime wissen zu wenig über unsere eigene Religion“, meint der Geistliche. Selbst der Prophet Mohammed habe unter seinen Frauen eine Jüdin und eine Christin gehabt. Aber wer wisse das schon?

Die Kaplan-Leute erklärten doch ganz offen, dass man Juden umbringen solle, sagt Herzog. Und auch wenn deren Moscheen nun geschlossen seien, hätten sie eben neue Räume gemietet oder bloß den Namen geändert. Die Menschen, die („ganz klar, ganz klar“) antisemitisch dächten, seien ja noch da. Herzog schätzt sie in Berlin auf etwa 200.

Und die Zukunft sieht nicht sehr rosig aus: Michael Rump-Räuber von der Berliner Initiative „Standpunkte“, die Lehrerfortbildung zum Umgang mit Rechtsextremismus und Antisemitismus anbietet (siehe Randspalte), meint: Antisemitismus sei bei nicht wenigen Berliner Jugendlichen arabischen, vor allem palästinensischen Hintergrunds eine „ganz stark identitätsstiftende Haltung“. So habe er beispielsweise einmal den Spruch gehört: „Aber ich muss doch Israelis hassen, sonst kann ich nicht mehr leben.“ Manche muslimische Schüler äußerten offen Sympathie für die Nazis wegen der Shoah, weigerten sich, an KZ-Gedenkstätten-Fahrten teilzunehmen. Und unvergesslich ist ihm auch dieses Erlebnis vor zwei Jahren in einer Ausstellung des Deutschen Historischen Museums zum Holocaust. Ein paar muslimische Jugendliche standen vor einem Modell der Gaskammern von Auschwitz. Und klatschten Beifall.

Gerade erschienen vom Autor: „Der neue Antisemitismus. Hinter den Kulissen der Normalität“. Herder Verlag, 160 Seiten, 9,90 €

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