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SPD ist wohl doch folgsam

Kommt die Kita-Gebürenerhöhung? Auf dem Parteitag am Sonntag scheinen die renitenten Bezirke keine Mehrheit gegen das Modell des Senats zu finden. Die Front der Verweigerer bröckelt schon jetzt

Die PDS gönnt den SPD-Kreisfürsten die Rolle der Sozialwächter nicht

von ROBIN ALEXANDER

„WIR SORGEN FÜR INNOVATIONEN, STETIGES WACHSTUM UND NACHHALTIGE ENTWICKLUNG.“ Der ersten Satz im 46 Seiten umfassenden Leitantrags, den die Berliner SPD auf ihrem Parteitag am Sonntag beschließen soll, ist komplett in Großbuchstaben verfasst. Vielleicht, damit den Nachrichtenguckern unter den Genossen keine Zweifel kommen. Vorgestellt wird der Leitantrag von Generalsekretär Olaf Scholz, von dem manche sagen, er spräche auch in Großbuchstaben. Über den Leitantrag muss der Bundesparteitag Mitte November abstimmen, aber die Berliner gehen – ungewöhnliches Verfahren – schon einmal in Vorlage und sollen schon am Sonntag Schröders Reformpolitik legitimieren.

Wenn die Delegierten ihre rechte Hand für den Leitantrag heben, werden nicht wenige die Linke in der Tasche zur Faust ballen. Die Stimmung ist denkbar schlecht: Zum Durchbruch könnte der Frust bei einem echten Lokalthema kommen – bei der Erhöhung der Kita-Gebühren. Die Kreisverbände von Charlottenburg-Wilmersdorf und Spandau haben Anträge eingebracht, der Senat möge auf die geplante Erhöhung verzichten. Die Abweichler haben schon etwas erreicht: In einem Kompromissvorschlag der Antragskommission wird die Erhöhung der Krippenbeiträge aufgegeben. Zu einem ähnlichen Kompromiss kam es schon auf einem Parteitag des Koalitionspartner PDS. Der Regierende Bürgermeister und sein Bildungssenator könnten also ihren innerparteilichen Kritikern und ihrem Koalitionspartner gleichzeitig entgegenkommen.

Eine vom Vorsitzenden der Antragskommission, Andreas Matthae, formulierte Garantie: „In dieser Legislatur gibt es keine weiteren Kürzungen im Kita-Bereich“ wurde auf Betreiben der Fraktions- und Parteiführung jedoch wieder aus der Kompromissformulierung gestrichen. Fraktionschef Michael Müller drohte lieber über die Zeitung: Ohne Kita-Gebürenerhöhung „müssen wir bei der Jugendförderung kürzen“.

Die Befürworter der Erhöhung finden sich freilich auch auf der Parteilinken: „Es handelt sich nicht um eine lineare Erhöhung, sondern um gestaffelte. Nur Leute, die es sich leisten können, zahlen mehr. Solche Leute zu entlasten, können wir uns nicht leisten“, sagt etwa Christian Gaebler, der parlamentarischer Geschäftsführer ist, jedoch im Ruf steht, sich auch über die Senatspolitik eine eigene Meinung zu bilden. Swen Schulz, der junge Bundestagsabgeordnete aus Spandau, argumentiert dagegen: „Die Erhöhung ist das falsche Signal. Wir möchten Familien entlasten. Auch die Familien, denen es nicht ganz schlecht geht.“

Nicht zufällig kam der Widerstand gegen die Erhöhung aus Kreisen, in denen Menschen mit guten und sehr Einkommen leben: Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg. Mitte der Woche glaubten die Kritiker noch, eine Mehrheit gegen die Senatspolitik zu Stande zu bringen. Seitdem scheint sich jedoch das Blatt gewendet zu haben: Am Donnerstagabend entschied Steglitz-Zehlendorf, doch den Kompromiss der Antragskommission zu akzeptieren. Die Konkurrenz mischte fröhlich mit im SPD-Kita-Streit: „Ich fordere Koalitionsdisziplin“, also ein Ja zur Erhöhung, erklärte PDS-Chef Stefan Liebich. Liebich fürchtet, eine erfolgreich renitente SPD-Basis könnte auch den Kritikern von Rot-Rot innerhalb der PDS Auftrieb geben. Zudem möchte Liebich sich die Rolle des Wachhundes für Soziales auf keinen Fall von SPD-Kreisfürsten streitig machen lassen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Nicolas Zimmer hingegen forderte die Delegierten auf, in jedem Fall mit Nein zu stimmen. Ein wenig altruistisches Anliegen, wie Zimmer im selben Atemzug darlegte: Eine Abstimmungsniederlage würde die Senatsmannschaft schwächen.

Mit der Verkehrspolitik des Senats legen sich zwei Anträge an, die sich gegen die Einführung des so genannten elektronischen Tickets und die damit verbundene Abrechnung nach Luftlinie bei der BVG aussprechen. Wahrscheinlich wird der Parteitag die Senatoren am Ende lediglich mahnen, die so genannte Umweltkarte zu erhalten. Jenseits der Kita-Gebühren erschöpft sich der Konfliktstoff auf dem Parteitag in alten Grabenkämpfen. Der linke Donnerstagskreis, der seit Jahren vergeblich gegen die Privatisierung von Landeseigentum kämpft, hat sich diesmal die Erhöhung der Wasserpreise durch die teilprivatisierten Berliner Wasserpreise für seine Kritik ausgesucht.

Einen Antrag gibt es zum Fall Frank Bielka. Der Finanzstaatsekretär und langjährige SPD-Funktionär wechselt zu einer landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft, deren Geschäftsführer-Bezüge erst kürzlich mit seiner Mitwirkung erhöht wurden. Der Antrag „missbilligt“ das Verhalten Bielkas. Die Parteitagsregie möchte ihn auf dem Parteitag nicht abstimmen lassen und benutzt dazu das Argument, er sei in der unzulässigen Form einer Resolution eingebracht.

Um Personalfragen geht es auf dem Parteitag nicht offiziell, aber am Rande: Parteichef Peter Strieder verkündete Mitte der Woche in einem Zeitungsinterview, er kandidiere 2004 erneut für den Parteivorsitz. Damit kam er einer Sitzung des Geschäftsführenden Landesvorstands zuvor, der sich am Freitagabend in einem Restaurant in Mitte treffen wollte, um eben diese Frage zu erörtern. Strieder möchte die nicht abreißenden Gerüchte beenden, er strebe einen Wechsel in die Privatwirtschaft an. „Wir drücken ihm die Daumen, dass er bis 2004 doch noch einen Job außerhalb des öffentlichen Dienstes findet“, ätzt Hans-Georg Lorenz, der Häuptling des linken Donnerstagskreises.

Ein weiterer Posten – eher ein Pöstchen – wird 2004 in der SPD frei. Die frühere Bundesfamilienministerin Christine Bergmann zieht sich nach und nach von ihren Parteiämtern zurück und wird im kommenden Jahr wohl nicht mehr für den stellvertretenden Parteivorsitz kandidieren. Da in der SPD solche Ämter nach dem Quotenprinzip vergeben werden, darf für die Frau aus dem Osten nur eine andere Frau aus dem Osten nachrücken.

Iris Spranger, die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und haushaltspolitische Sprecherin aus Marzahn-Hellersdorf, ließ – so lästern Genossen – bereits jetzt Ambitionen anklingen.

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