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Hamburger kesselAtomkraft und Polizeigewalt

Anfang Juni 1986 machten sich Zehntausende Menschen nach Brokdorf auf, um gegen die Inbetriebnahme des Atommeilers an der Unterelbe zu demonstrieren. Der Hamburger Konvoi erreichte Brokdorf nie; er wurde durch Spezialeinheiten der Polizei in der Wilstermarsch aufgerieben.

Aus Protest gegen die Polizeiaktion versammelten sich tags darauf, am Sonntag, dem 8. Juni, mehr als 1.000 Menschen spontan auf dem Heiligengeistfeld. Die Polizei kesselte 861 von ihnen ein. Bis zu 13 Stunden mussten die DemonstrantInnen dort ausharren – ohne Essen, Trinken und sanitäre Anlagen.

Als am Abend 60 TaxifahrerInnen die letzten noch Eingeschlossen „nach Hause fahren wollten“, wurden etliche Droschken von der Polizei demoliert.

Innensenator Rolf Lange meinte anschließend, die Polizei habe „eine Schneise der Gewalt“ verhindert, Sozialsenator Jan Ehlers (beide SPD) fühlte sich hingegen an Szenen im Stadion von Santiago de Chile nach dem Pinochet-Putsch 1972 erinnert. Am folgenden Donnerstag demonstrierten 60.000 Menschen und 100 Taxis in Hamburg gegen Polizeiwillkür. Die Bürgerschaft unterbrach ihre Sitzung, als die Massen am Rathaus vorbeizogen. Innensenator Lange trat wenige Monate später zurück.

Das Verwaltungsgericht erklärte später den Kessel für „rechtswidrig“, Zivilgerichte gewährten den Betroffenen „symbolische Entschädigungen“ von 200 Mark. Vier verantwortliche Polizeiführer wurden im Oktober 1991 nach einem spektakulären Prozess vom Landgericht der „Freiheitsberaubung in 861 Fällen für schuldig“ gesprochen.

Infolge des Kessels gründete sich nicht nur das „Hamburger Signal“, sondern auch die Genossenschaft „das taxi“. Deren Mitglieder hatten wegen ihrer Solidaritätsaktion auf Druck der Polizei Ärger mit ihren Funkzentralen bekommen. kva

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