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der homosexuelle mann von ELMAR KRAUSHAAR

… gerät unter Verdacht, und zwar unter den härtesten, der derzeit zu vergeben ist hierzulande: Er sei ein Kinderficker, dann doch. Das jedenfalls legen viele der Berichte nahe, die derzeit medial im Umlauf sind über den Kampf gegen den sexuellen Missbrauch von Kindern sowie den Handel mit Kinderpornografie. Dabei werden Grenzen verschoben, neue Maßstäbe aufgestellt und uralte Vorurteile aktualisiert. Prominentestes Beispiel dafür ist das laufende Verfahren gegen einen Bremer SPD-Politiker. Der Mann ist verschwunden, und die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen des Verdachts, via Internet mit Kinderpornografie gehandelt zu haben. Welche Beweise dafür der Polizei nach ausführlichen Durchsuchungen vorliegen, darüber gibt es keine Auskunft. Deshalb sind die Medien auf Spekulationen angewiesen und so genannte eigene Recherche.

Spiegel online bezieht deshalb gleich das Bremer Schwulenzentrum „Rat und Tat“ mit ein in den Generalverdacht, schließlich war der SPD-Mann auch hierfür tätig. „Beratungszentrum im Zwielicht“, heißt es deshalb großspurig in der Headline, doch die Beweise dafür fallen mager aus: Eine „AG Pädo“ habe sich bis 1997 in den Vereinsräumen getroffen, und außerdem sei auch der Bremer Soziologe Rüdiger Lautmann, Autor des Buches „Die Lust am Kind – Porträt des Pädophilen“, in den 80er-Jahren Mitglied im „Rat und Tat“-Verein gewesen. Hier werden einer Selbsthilfegruppe von Betroffenen sowie einem respektablen Wissenschaftler und Hochschulprofessor kriminelle Machenschaften unterstellt, ohne stichhaltigen Beweis, dafür aber – und hier kommt die Schlagzeile zu ihrem Recht – mit zwielichtiger Rede. Und was haben die AG und der Professor mit dem Mann von der SPD gemein? Nun, sie verkehrten im selben Schwulenzentrum – das reicht, entsprechend textet Spiegel online weiter: „Erneut ist der Verein im Dunstkreis des Milieus.“ „Milieu“ und „Zwielicht“, die beliebten Spielorte homophober Fantasien, erleben ihre Renaissance.

Auch die Welt will an der skandalösen Geschichte über den Mann aus Bremen partizipieren und erfindet – ebenfalls aus Mangel an Beweiskräftigem – den häufig und gerne, natürlich anonym, zitierten „Kenner der Schwulenszene“. Der nämlich weiß, wenn der SPD-Mann auf seiner Internet-Seite preisgibt, dass er auf 16- bis 18-jährige Männer stehe, „dies sei ein deutliches Signal“, er meine damit eigentlich unter 16-jährige. Aber auch andernorts wird fieberhaft ermittelt gegen mögliche Kinderpornografiehändler und -käufer. Als Beweismaterial für den einen oder anderen Verdächtigen werden der Presse Schwulenpornos präsentiert, die in jeder Videothek mit Porno-Abteilung auszuleihen sind.

Der Druck auf die Ermittlungsbehörden ist groß, der Fortschritt der Möglichkeiten im Internet geht voran, das Drama um die pornografischen Darstellungen von Kindern nimmt nicht ab, sondern zu: der Kampf dagegen gehört auf die Tagesordnung, ganz oben. Aber ohne Verdächtigungen und Verleumdungen auf scheinbar gleichem Terrain und ohne den Vorwand zu nutzen, endlich wieder gegen die vorzugehen, die einem eigentlich schon immer nicht passten.

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