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BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHENSimsalabim und die Mauer war weg

Guatemala trickst und zaubert: Die DDR-Zeitschrift „Zauberkunst“ dient als perfekte Quelle der Illusion

Guatemala ist ein Land voller Magie. In der Hauptstadt gibt es sogar eine Vereinigung der Magier von Guatemala mit dem Namen „Großer Jaguar“. Jeden Montag treffen sich in einem Hinterzimmer eines Lokals 15 Hobbyzauberer. Darunter ein Fleischer, ein Architekt, ein Clown, ein Bauarbeiter und ein Psychologe – Raúl, mein ehemaliger Spanischlehrer.

Nach seiner Rückkehr aus Europa vor drei Jahren hat er einen ganz besonderen Beitrag für das Fortkommen des Zirkels geleistet. Er hat aus seiner Zeit in der DDR die Zeitschrift Zauberkunst mitgebracht. Die „Zeitschrift des künstlerischen Volksschaffens“ erschien mit Genehmigung des Presseamtes beim Vorsitzenden des Ministerrates der DDR und war über den internationalen Buch- und Zeitschriftenhandel auch in der BRD und in Westberlin erhältlich.

In den Zauberkunst-Heften wird über magische Treffen in Klubhäusern der Nationalen Volksarmee, Kartentricks, Telepathie per Telefon, den Aufbau von Illusionskisten oder einen „nicht sehr professionellen Striptease“ auf einem zentralen Leistungsvergleich der Amateur-Bühnenzauberkunst berichtet. Von besonderem Nutzen für die Magier in Guatemala dürften die Tipps sein, die die Mangelwirtschaft zur Inspirationsquelle erheben. So heißt es in einer Ausgabe aus dem Jahr 1988: „Mit Gegenständen zu zaubern, die normalerweise im Haushalt verwendet werden bzw. nach Erfüllung ihrer Funktion im Müll oder bestensfalls in der Sero-Annahmestelle landen, ist stets von besonderem Reiz.“ Empfohlen werden Gläser, Flaschen, Dosen, Hülsen, Deckel, Kartons und Verschlüsse. Der Alltag im Osten – Quelle der perfekten Illusion. Auch die Magier in Guatemala müssen mit dem wenigen arbeiten, das sie auftreiben oder bezahlen können. So beeindruckte mich einer der Hobbyzauberer, indem er mit einem Putzlappen seinen rechten Fuß verschwinden ließ.

Doch unter den Magiern des „Großen Jaguar“ sind auch wahre Größen. Wie der deutschstämmige Guatemalteke, der sich Andy Andini nennt und der viele Jahre in Düsseldorf gelebt hat. Mit beeindruckender Präzision schaffte er es, meine Gedanken zu lesen. Bevor er mir ein Kartenspiel gab, notierte er auf einem Zettel eine Karte, ließ mich mehrere Male mischen und schließlich irgendeine Karte ziehen. Es war genau die, die er notiert hatte. Und jetzt kommt der Hammer: Diesen und andere Tricks hat er von einem DDR-Zauberer, der in vielen Heften der Zauberkunst zitiert wird: Jochen Zmeck. „Der Zmeck hat auch ein berühmtes Standardwerk geschrieben“, schwärmte Andy Andini. „Die Magie kennt keine Grenzen, auch keine politischen.“

Herzlich lachen musste Andy Andini bei den Artikeln, die aus der Magie eine sozialistische Errungenschaft machten. In einem Sonderheft des „Magischen Zirkels Zittau“ vom April 1988 heißt es: „Der XI. Parteitag der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands ist richtungsweisend für die weitere Arbeit unseres Magischen Zirkels.“ Dass die Genossen mit gezinkten Karten spielten, okay, Schnee von gestern. Aber dass sie sich der Magie bedienten, das dürfte doch interessant für die deutsche Geschichtsschreibung sein. Der Mauerfall, ein von langer Hand geplanter Zaubertrick? Simsalabim und Abrakadabra und die Mauer verschwindet.

Zu meinem großen Erstaunen gilt bei den Zauberern des „Großen Jaguar“ noch heute „Von der DDR lernen heißt siegen lernen“. In vielen Ausgaben der Zauberkunst wird „Freers Zauberladen“ im ehemaligen Ostteil Berlins erwähnt. Stets mit dem Zusatz: „hat für Sie ständig im Angebot“. Während sich die DDR als große Illusion herausgestellt hat, gilt der Spruch des Zauberladens noch heute. Denn „Freers Zauberladen“ existiert weiterhin, unter der gleichen Adresse. Dort fand ich auch meine Mitbringsel aus Deutschland für Raúl in Guatemala. Er hatte sich Zaubermagneten und leuchtende Fingerkuppen gewünscht. „Freers Zauberladen“ hatte sie im Angebot.

Fragen zum Zirkel?kolumne@taz.deMorgen: Dieter Baumann über LAUFEN

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