NICHT NUR DER BERLINER HAUSHALT IST VERFASSUNGSWIDRIG: Deutschland auf Pump
Schuld an der Verfassungswidrigkeit des Berliner Haushalts ist weder der teure öffentliche Dienst der Hauptstadt noch ihre notorische Tradition der Subventionen und auch nicht die fast sprichwörtliche Unfähigkeit ihrer politischen Klasse. Leider nicht. Überhaupt ist die Pleite nur teilweise hausgemacht: Auch der Etat Nordrhein-Westfalens, eines Kernlands der alten Bundesrepublik, ist ja jüngst von einem Gericht für verfassungswidrig erklärt worden. Auf die Ausgabenpraxis der betroffenen Regierungen haben die Urteile keine direkte Auswirkung. Weiterhin werden Straßen gebaut, Unternehmen subventioniert und Beamte bezahlt. Handelt es sich also nur um juristische Spitzfindigkeiten? Kann uns die Angelegenheit am Ende egal sein? Leider nein.
Ein Haushalt ist verfassungswidrig, wenn die Nettokreditaufnahme die Summe aller Investitionen übersteigt und die zuständige Regierung keine Störung des wirtschaftlichen Gleichgewichts zur Rechtfertigung nachweisen kann. Zu Deutsch: wenn ein Land dauerhaft auf Pump lebt. Dies droht nicht nur einigen Bundesländern. Auch die Verschuldung des Bundes erreicht mit mehr als 40 Milliarden Kreditaufnahme ja neue Dimensionen, die nur noch nicht verfassungswidrig sind.
Deutschland auf Pump ist nicht ohne historisches Beispiel: Sowohl das Dritte Reich als auch die DDR waren Schuldenstaaten. Die erste Diktatur spekulierte auf Kriegsbeute und Ausbeutung unterworfener Völker, die zweite träumte vom weltweiten Sieg des Sozialismus, mit dem sich jede Tilgung erledigt hätte. Eine Demokratie hat keine derartige Erlösungserwartung: Sie muss damit rechnen, dass sie Schulden samt Zinsen tatsächlich zurückzahlen muss. Die demokratische Hoffnung heißt Wirtschaftswachstum. An das klassische Rezept der Linken, die Stärkung der Nachfrageseite, glaubt dabei niemand mehr: Das notwendige Geld für Konjunkturprogramme geht ja schon in die Tilgung der Schulden. Übrig bleibt das Rezept der Rechten: die Ökonomie von allen Verantwortungen zu befreien. So wird aus den Schulden von heute der Sozialabbau von morgen. ROBIN ALEXANDER
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