: Ferrari in grober Richtung
Die Bremer CDU und die Sozialreformen: Die Basis hörte, was die Führung will, redete sogar ein bisschen mit – und nickte ab. Grundsatz-Kritik verhallt, denn Sozialpolitiker finden Protest jetzt haltlos
Bremen taz ■ „Ich erkenne da einen Ferrari – was ihm noch fehlt, sind die richtigen Reifen“. Das ist bestimmt die originellste Metapher, die für das Konzept der CDU-Herzog-Kommission je gefunden wurde. Sie stammt von Rainer Bensch, Bremer Landesvorsitzender der CDU-Sozialausschüsse (CDA): „Ich bin eben Formel-1-Fan“. Jetzt hat Bensch auch die passenden Reifen gefunden – und damit hätte der CDU-Landesparteitag am Montagabend schon gelaufen sein können.
Es ging um das Herzog-Papier, um die Vorschläge zur Reform der Kranken-, Pflege-, Alters- und Arbeitslosenversicherung, erklärt von der niedersächsischen Sozialministerin Ursula von der Leyen. Am 3. November beschließt die Bundespartei das Papier, und vorher ist Zeit, konstruktive Kritik zu üben.
Auch bei der sonst so einigen Bremer CDU war in den vergangenen Wochen ein Hauch von Konflikt spürbar, als sich Benschs Sozialausschüsse mehrfach öffentlich zu Wort meldeten - und zwar heftig: „Ein Schlag ins Gesicht der Geringverdiener“ sei das Herzog-Papier, man erwarte „massive Widerstände in der gesamten Unions-Basis.“
Von wegen. Hatte Bensch doch just am Montag die Ferrari-Reifen, an denen sich der Widerstand bitte entzünden möge, gefunden: in den Steuervorschlägen des CDU-Bundesfraktionsvorsitzenden Friedrich Merz, vor allem in dem steuerfreien Grundbetrag von 8.000 und dem zusätzlichen Arbeitnehmer-Freibetrag von noch einmal 1.000 Euro. Auch wenn der CDA-Bundesvorsitzende Hermann-Josef Arentz dazu sagte: „Das muss deutlich mehr sein“ – Bensch war‘s genug. Aber nicht den Fachleuten, die die Christdemokraten eingeladen hatten.
Es waren vertreten: die Ärzte, die Zahnärzte, die Arbeitgeber. Und es waren vertreten: die Gewerkschaft Verdi und die Rentenversicherungsträger.
Während der Arzt (Till Spiro, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung), der Zahnarzt (Peter Warnecke, Vorsitzender des Verbands der freien Zahnärzte) und der Boss (Ortwin Baum, Geschäftsführer der Unternehmensverbände) den Herzog-Ideen im Wesentlichen zustimmten, waren es der Verdi-Vertreter und der Rentenfachmann, die ihre grundlegenden Zweifel den Delegierten in der Vegesacker „Strandlust“ erläuterten: „Sollten Sie dem Antrag zustimmen“, erklärte Verdi-Mann Lutz Kokemüller, „nehmen Sie Abschied von Gerechtigkeit und Solidarität. Wollen Sie das wirklich?“ Er kritisierte an den Herzog-Ideen, den Kopfpauschalen fürs Gesundheitssystem, dem Umstieg auf eine kapital- statt umlagefinanzierte Pflegeversicherung, der weiteren Stärkung der privaten Vorsorge in der Rente: „Von sozialer Balance kann ich da nichts erkennen.“ Der steuerfinanzierte Ausgleich für Einkommensschwache sei wenig beruhigend, weil nicht durchgerechnet.
Der Rentenexperte Stephan Fasshauer war harmoniebetonter: „Ganz ähnliche Vorschläge“ seien bei Rürup zu finden, erklärte er, und ganz wichtig sei es, dass die Rentenreform im Konsens beschlossen werde. Herzogs Manko sei, „dass hier eine statische Welt unterstellt wird.“ Weder eine Veränderung in der Arbeitslosen- noch der Frauenerwerbsquote sei einbezogen, das sei „sehr problematisch.“
„Die grobe Richtung stimmt“, hatte CDU-Landeschef Bernd Neumann zu Beginn des Abends betont. Auf die „lebhafte Diskussion“ hatte sich Verdi-Mann Kokemüller umsonst gefreut. Zwar wurde mehr diskutiert als sonst und der Leitantrag so um Verbesserungen bei der Anerkennung von Erziehungszeiten im Rentenrecht ergänzt – aber die „grobe Richtung“, insbesondere von Verdi, aber auch von Rentenmann Fassheuer in Frage gestellt – die war kein Thema.
Genauso wenig wie akute Bremer Themen, der Landeshaushalt, über den die SPD-Basis heute tagt: Die Koalitionsvereinbarung trage schließlich die Handschrift der CDU. Nichts anderes werde am Wochenende im Koalitionsausschuss abgearbeitet. „Und weil das so ist“, sagte Bernd Neumann zu der Menge in der Vegesack, „wäre es überflüssig, Sie mit diesen Dingen zu befassen.“ Susanne Gieffers
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