Ein deutscher Sitz im Sicherheitsrat war und ist unrealistisch

Seit mehr als zehn Jahren verfolgt die deutsche Außenpolitik das aussichtslose Prestigeobjekt. Sie ignoriert konsequent die konkreten Interessenlagen in den Vereinten Nationen

GENF taz ■ „Die in Berlin sind beim Thema ‚ständiger Sitz im Sicherheitsrat‘ völlig besoffen.“ Der deutsche Botschafter in einer der wichtigsten Außenposten der rot-grünen Regierung kann „den Unsinn nicht fassen“, den sein Chef Joschka Fischer und Gerhard Schröder „nun seit Monaten in dieser Frage treiben – in völliger Selbstüberschätzung und in Verkennung oder in Verdrängung der realen Umstände und Interessenlagen in der UN-Generalversammlung“. Die jüngsten Werbereisen des Außenministers für einen ständigen Sitz Deutschlands im höchsten UNO-Gremium sind für den lang gedienten Diplomaten eine „Verschleuderung von Steuergeldern“. Das Ergebnis der Bemühungen sei ein „Fiasko für Fischer“.

Ähnlich kritisch fallen die Urteile fast überall aus, wo deutsche Diplomaten ihre ehrliche Meinung über das derzeit wichtigste Prestigeprojekt ihrer Regierung äußern. Und das spätestens seit ein außenpolitischer Berater des Kanzlers im Frühjahr in einem Pressegespräch ankündigte, die Regierung werde bei der UN-Generalversammlung in diesem Herbst die Abstimmung über einen ständigen Ratssitz Deutschlands „erzwingen“. Der Berater zeigte sich „sicher“, das deutsche Anliegen werde die „Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit“ von 126 der 191 UNO-Staaten erhalten, darunter der vier ständigen Ratsmitglieder China, Russland, Frankreich und Großbritannien. Um die Unterstützung der USA werde man sich noch bemühen, erklärte der Kanzlerberater.

Kurz darauf folgte die Jastimme Deutschlands im Sicherheitsrat zu der von Washington vorgelegten Irakresolution, mit der die anhaltende Besatzung des Landes durch amerikanische und britische Truppen auch nach der „Machtübergabe“ an eine irakische Interimsregierung abgesegnet wurde. Doch statt der erhofften Belohnung aus Washington gab es seitdem eher eine Verhärtung des Neins zum deutschen Ratssitz, wie Außenminister Colin Powell am Montag deutlich gemacht hat.

Verkennung oder Verdrängung der Realitäten? Diese Frage stellt sich bereits seit elf Jahren: Im September 1993 erhob der damalige Außenminister Klaus Kinkel (FDP) gegen den Rat seiner Beamten vor der UN-Generalversammlung erstmals offiziell den Anspruch auf einen ständigen Sitz Deutschlands im Sicherheitsrat. Kinkel glaubte zunächst ernsthaft, der Einzug allein von Deutschland und Japan sei ein realistisches Modell. Auf skeptische Nachfragen von Journalisten wettete der Minister eine Kiste Rotwein, dass Deutschland „bis zum 50. Geburtstag der UNO“ im Juni 1995 Ratsmitglied werde. Als das nicht klappte,verlängerte er die Frist „bis spätestens zum Jahr 2000“ und setzte eine zweite Kiste. Die Wettschulden sind bis heute nicht bezahlt.

Als Begründung für das Scheitern der deutschen Ambitionen musste lange die „Unfähigkeit“ der Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas herhalten, „sich auf Ratskandidaten aus ihren Regionen zu einigen“. Derzeit sind unter anderen die Italiener die Schuldigen. Dabei ist – anders als in vielen deutschen Medienberichten der letzten Wochen kolportiert – der Widerstand aus Rom weder neu noch spezifisch für die Regierung Berlusconi. Und er ist auch nicht nur oder in erster Linie mit gekränkter Eitelkeit und eigenen Ambitionen Italiens auf einen ständigen Ratssitz erklärbar. Bereits 1996 verweigerte die damalige Regierung in Rom in EU-internen Diskussionen Deutschlands Bestreben nach einem ständigen Sitz die Unterstützung. Zum einen mit dem – ja auch vom CDU-Außenpolitiker Wolfgang Schäuble mit Vehemenz vertretenen – Argument, dieses Bestreben stehe im Widerspruch zum Ziel einer gemeinsamen Außenpolitik der EU. Zum anderen brachte Italien damals in der für die Reform des Sicherheitsrats zuständigen ständigen Arbeitsgruppe der Generalversammlung einen Vorschlag ein, der tatsächlich auf eine Demokratisierung und nicht nur auf die Neuverteilung von Privilegien und Machtpfründen abzielt. Der Vorschlag, der bis heute in Deutschland kaum zur Kenntnis genommen wurde, sieht die schrittweise Abschaffung des Vetorechts und der ständigen Mitgliedschaft vor. In der Zukunft sollen die Mitglieder des Rats dann aus neun gleich großen Regionalgruppen der Generalversammlung entsandt werden – wobei in den Regionalgruppen nach dem Alphabet rotiert würde.

ANDREAS ZUMACH