: Nicht selten tödlich
Sie heißen Less-Lethal Weapons oder weniger tödliche Waffen. An ihnen starben in Nordamerika bereits 70 Menschen
AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
Am frühen Dienstagmorgen, lange vor Beginn der Konferenz, hatten Demonstranten zwei Stinkbomben ins Foyer des vornehmen Berkeley Court Hotels in Dublin geworfen – zweifellos weniger tödliche Waffen. Und darum ging es bei „Jane’s Less-Lethal Weapons Conference“ in den vergangenen zwei Tagen auch: Zum siebten Mal debattierten Polizeikräfte aus Australien, den USA und einer Reihe von EU-Ländern mit Industrievertretern und amnesty international über den Einsatz weniger tödlicher Waffen.
Jane’s Information Group ist eine der größten Beraterfirmen in den Bereichen Verteidigung, Sicherheit und Risikoeinschätzung. Zu der Kundschaft gehören Regierungen, Armeeführungen und Wirtschaftsunternehmen in mehr als 180 Ländern. Jane’s wurde 1898 von John Frederick Thomas Jane aus dem südenglischen Surrey gegründet, der schon im Kindesalter nautische Signalsysteme erfunden haben soll. 1898 veröffentlichte er ein Buch über sämtliche Kriegsschiffe, die damals im Einsatz waren. Heutzutage gibt Jane’s mehr als 200 Zeitschriften heraus, die entweder mit Kriegsgerät oder mit Sicherheitsfragen zu tun haben.
Waffen sind Männersache. Unter den knapp hundert Teilnehmern an der Konferenz waren nur eine Handvoll Frauen. Die Tagung wurde von Colin Burrows geleitet, einem ehemaligen Polizisten in Nordirland, der nun Direktor der „Critical Intervention Consultancy“ ist. Weniger tödliche Waffen seien nicht einfach nur Waffen, sagte Burrows, sondern eine „operative Ideologie“. Er führte das Beispiel eines als Batman verkleideten Mannes an, der im Sommer auf das Dach des Londoner Buckingham-Palastes kletterte, um für die Rechte von Vätern zu demonstrieren. „Hätte man ihn erschießen sollen?“, fragte Burrows und fügte hinzu: „Weniger tödliche Waffen retten Leben.“
Oder auch nicht. Burrows arbeitete 31 Jahre lang bei der nordirischen Polizei. In dieser Zeit sind 17 Menschen durch Gummi- und Plastikgeschosse, beide klassifiziert als weniger tödliche Waffen, in Nordirland getötet worden. In den meisten Fällen hatten die Polizisten und Soldaten die Richtlinien ignoriert und aus Nahdistanz auf die Köpfe gezielt.
Sauro Scarpelli, der als Koordinator für den Bereich Militär, Sicherheit und Polizei bei amnesty international arbeitet, warnte denn auch, dass dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet seien. So wurden chemische Waffen in manchen Ländern in geschlossenen Räumen eingesetzt, Elektroschocker als Folterinstrumente benutzt und Schlagstöcke mit Nägeln gespickt. Er führte das Beispiel einer 13-Jährigen an, die einer Bibliotheksangestellten in den USA ein Buch an den Kopf warf und dafür vom Sicherheitspersonal mit einem „Taser“ außer Gefecht gesetzt wurde. Der „Taser“ ist eine Pistole, die zwei Pfeile abfeuert, die durch einen Draht mit der Pistole verbunden sind. Durch diesen Draht werden Elektroschocks von 50.000 Volt geschickt. Die britische Polizei hat ihre Tests vor kurzem abgeschlossen und will den „Taser“ demnächst anschaffen. Scarpelli warnte, dass in den USA und Kanada bereits siebzig Menschen an dieser weniger tödlichen Waffe gestorben seien. Amnesty international ist nicht grundsätzlich gegen diese Waffen, verlangt aber scharfe Exportkontrollen, bessere Ausbildungsprogramme sowie öffentliche Untersuchungen der Folgen bei Einsätzen.
Um technische Entwicklungen ging es auf der Konferenz jedoch nur am Rande. Die Redner machten sich stattdessen Gedanken darum, wie man die Akzeptanz weniger tödlicher Waffen bei der Bevölkerung vergrößern und den „Falschinformationen der Medien“ entgegenwirken könne.
Es gebe breite Einsatzmöglichkeiten für weniger tödliche Waffen, sagte Marshall Couper von der MDM-Gruppe, die Elektroschocker herstellt. Sie können gegen „besoffene Studenten im australischen Perth, gegen Globalisationsgegner in Genf oder Fußball-Hooligans in den Niederlanden“ verwendet werden. Außerdem verschärfe sich in vielen Gesellschaften die Teilung in Besitzende und Habenichtse, sagte Couper und behauptete: „Die Armen greifen zu Drogen oder anderem illegalen Verhalten.“ Deshalb, so zitierte er ausgerechnet ein Indianer-Sprichwort, sei es besser, den Blitz in der Hand zu haben als den Donner im Mund. „Oder Blei im Kopf“, fügte Couper hinzu.
Am Dienstagabend, zum Abschluss des ersten Konferenztages, hatten sich 150 Demonstranten vor dem Berkeley Court Hotel versammelt. Sie protestierten mit fantasievollen Kostümen und Feuerwerkskörpern gegen die angeblich geplante Aufrüstung der bisher weitgehend unbewaffneten irischen Polizei, die „Friedenswacht“ heißt. Doch die will ihre bewaffnete Einheit sogar verkleinern, deutete ihr Sprecher Joe Egan an. Ein US-amerikanischer Konferenzteilnehmer meinte: „Deren Sorgen möchte ich haben. Dann würde ich mich auch mit Schlagstöcken und Bohnensäckchen, die aus Spezialgewehren abgefeuert werden, zufrieden geben.“
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