piwik no script img

„Wer ist Nitzsche?“

Auch neue Vorwürfe gegen einen türkenfeindlichen CDU-Abgeordneten lassen viele Parteifreunde in der Union kalt. Angst hat man nur vor „Bild“

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Mitten im noch nicht ansatzweise aufgearbeiteten Skandal um die antisemitischen Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann wird die Union mit neuen Vorwürfen konfrontiert. Die Zeit und das ZDF-Magazin „Frontal 21“ berichteten gestern übereinstimmend, die Jewish Claims Conference habe sich bereits im Sommer 2001 bei der CDU/CSU-Bundestagsfraktion über Hohmann beschwert. Friedrich Merz (CDU), der Adressat der Beschwerde, wollte sich am Freitag dazu nicht äußern. In seinem Bundestagsbüro hieß es aber, Merz habe Hohmann seinerzeit zur Rede gestellt.

In der Union bildet sich unterdessen eine Wagenburg-Mentalität heraus. Zumal mit den türkenfeindlichen Äußerungen des CDU-Bundestagsabgeordneten Henry Nitzsche neuer Ärger droht. Der sächsische Politiker hatte der Unternehmer-Zeitschrift DS-Magazin gesagt, es sei „vergebliche Liebesmühe, um die Wählerstimmen von eingebürgerten Türken zu buhlen“. Eher werde einem Muslim „die Hand abfaulen“, als dass er die CDU wähle. Außerdem soll er am 30. Oktober bei einer Rede vor der Dresdener Burschenschaft „Cheruscia“ über türkische „Parasiten“ gesprochen haben. Wie ein Zuhörer gegenüber der taz bestätigte, hat Nitzsche dort gesagt, es sei unerträglich, dass bei der Fahrbereitschaft des Bundestags nur noch Türken angestellt seien.

CSU-Fraktionsgeschäftsführer Peter Ramsauer hatte dazu nur einen kurzen Kommentar übrig: „Wer ist Herr Nitzsche?“ Ein anderer CSU-Mann gab an, bei den Äußerungen Nitzsches handele es sich um eine „Erfindung der Jusos“.

Bei der CDU ging man nicht ganz so lapidar mit dem Fall um. Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt distanzierte sich von dem „Biertischgeschwätz“ Nitzsches, der Landesvorstand trat zu Beratungen zusammen. Auch der CDU-Fraktionsgeschäftsführer im Bundestag, Volker Kauder, sagte, man müsse den Fall prüfen. Ungeachtet dessen war er sich jedoch sicher, problematisch für die Union seien nur „ein paar wenige, die ein paar Randthemen behandeln“.

An einen Ausschluss Nitzsches wurde zunächst ebenso wenig gedacht wie bei Hohmann. In der Union wird kein Geheimnis daraus gemacht, dass bei allen Überlegungen letztlich den Ausschlag gibt, ob sich die Vorgänge negativ auf Meinungsumfragen auszuwirken drohen.

Solange dies nicht der Fall ist, lässt man die Proteste über sich ergehen. Ernsthaft Sorge bereitet den Unionisten bisher lediglich die anhaltend negative Berichterstattung der traditionell antiantisemitischen Bild-Zeitung über die nachsichtige Reaktion der Union auf die „Schand-Rede des CDU-Hetzers“ Hohmann.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen