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Die Software der Einwanderergesellschaft

Migrantenorganisationen und Wissenschaftler sind sich einig: Deutschland braucht ein Migrationsmuseum. Die Diskussion über Konzeption, Standort und Inhalte aber steht noch am Anfang. Ein Gespräch mit dem Migrationsforscher Rainer Ohlinger über diesen „Ort kultureller Auseinandersetzung“

Interview EDITH KRESTA

taz: Herr Ohlinger, ein Migrationsmuseum, wie es das Projekt Migration plant, scheint im Trend zu liegen, oder wie erklären Sie sich die Medienresonanz nach Ihrer letzten Tagung in Köln?

Rainer Ohlinger: Wir waren selbst überrascht von dem starken Rückenwind, den wir bekamen. Aber es gab auch einen politischen und damit gesellschaftlichen Paradigmenwechsel in den letzten Jahren in Bezug auf Migration. Und dieser Wechsel – hin zu mehr Offenheit – geht bis in die Reihen der Christlich-Konservativen.

Wozu brauchen wir ein Migrationsmuseum?

Es soll ein Ort sein, wo die Geschichte und die Kultur der Migration dargestellt wird. Das ist sozusagen die Software der Einwanderergesellschaft. Migration ist ein wichiger Teil sozialer Alltagsgeschichte und auch der politischen Geschichte. Und wenn 10 Prozent der Bevölkerung Migranten sind, müssen sie auch ihren Platz in der Geschichtsschreibung bekommen.

Auch die Arbeiterbewegung beispielsweise kam in der offiziellen Deutung lange nicht vor, bis sie das Recht auf Repräsentation eingefordert und durchgesetzt hat. Auch Frauen sind nicht vorgekommen, bis sie sich einen Platz erkämpft haben.

Wurden Sie von Erika Steinbach und dem Bund der Vertriebenen mit der Initiative für ein „Zentrum gegen Vertreibung“ rechts überholt?

Flucht und Vertreibung ist natürlich ein kritisches Thema für unser Konzept eines Migrationsmuseums, weil es Überschneidungen gibt mit dem Zentrum gegen Vertreibung. Aber nach dem, was ich über das Zentrum gelesen habe, wird dort Flucht und Vertreibung nicht als Migrationsgeschichte abgehandelt.

Also sind Sie noch uneinig, wie der Begriff Migration zu fassen ist?

Es ist noch offen, ob es um Ein- und Auswanderung geht, ob man sich nur mit der Arbeitsmigration der Nachkriegszeit beschäftigt oder ob man Migration viel weiter fasst. Unter den pragmatischen Gesichtspunkten knapper Kassen wird man mit dem Naheliegenden anfangen: Bisher ist geplant, sich auf die fünf klassischen Anwerbeländer, Griechenland, Spanien, Italien, Portugal und Türkei zu beschränken. Das soll der Nukleus einer sich vergrößenden Sammlung sein.

Und mit welchem Museumskonzept?

„Museum“ ist ein Begriff aus dem 19. Jahrhundert. Diesen Begriff hat man aus pragmatischen Gründen gewählt, weil er greifbar ist. Aber beabsichtigt ist nicht ein klassische Museum, sondern ein lebendiger Ort kultureller Auseinandersetzung. Ein Ort, der sich auch politisch positioniert und ausstrahlt auf die gegenwärtigen Debatten zur Einwanderergesellschaft.

Nur so hat dieser Ort wahrscheinlich eine Chance, wahrgenommen zu werden?

Ja, es darf nicht für eine kleine Minderheit sein.

Wer soll sich sonst dafür interessieren?

Die Gesamtgesellschaft. Es darf kein Spartenprogramm werden. Es muss ein Ort sein, wo sich Migranten zwar wiederfinden, wo Migranten auch ein entscheidendes Wort mitreden über die Ausgestaltung, aber es muss alle ansprechen.

Das hängt natürlich davon ab, wie spannend so ein Museum gemacht ist.

Es muss ein Konzept sein, das ganz stark mit partizipatorischen Elementen spielt und Sachen auch vereinfacht, um eine große Menge von Besuchern anzusprechen. Ähnliche Initiativen gibt es in der Schweiz und in Frankreich. Die USA haben ihr Einwanderermuseum in Ellis Island, Italien hat eins.

Und wo soll das Museum stehen?

Das ist nicht festgelegt. Das hängt auch davon ab, inwieweit lokale Eliten bereit sind, Geld dafür zu geben. Eine grundsätzliche Überlegung ist: Es muss in einem großstädtischen Ballungsgebiet sein, das historisch und gegenwärtig stark von Migration geprägt ist. Es kann nicht auf der Schwäbischen Alb stehen.

Könnte man sich die Geschichte der Migration nicht auch als Wanderausstellung vorstellen?

Warum nicht. Vor allem da wir ja eine gut ausgebaute Museumslandschaft haben. Domit [Dokumentationszentrum zur Migration aus der Türkei] plant übrigens zunächst für 2005 zusammen mit dem Kölnischen Kunstverein und dem Institut für Kulturanthropologie und europäische Ethnologie an der Uni Frankfurt eine Ausstellung namens „Zwei, drei Jahre Alemanya“ (www.do mit.de). Diese Wanderausstellung soll die Geschichte der Arbeitsmigration in der alten Bundesrepublik wie in der DDR erzählen und soll auch in den Anwerberländern gezeigt werden.

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