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Amt muss Abschiebungen rechtfertigen

Ratingens Ausländerbehörde schiebt kranke Menschen und Frauen in Risikoschwangerschaften ab. Nun soll die Stadt gegen „menschenunwürdige Entscheidungen“ des Amtes ermitteln. OB will Konflikt zur Chefsache erklären

Ratingen taz ■ Ratingens Ausländeramt gerät in die Defensive: Das Amt muss sich für seine menschenunwürdigen Abschiebeentscheidungen rechtfertigen. Ausländerbeirat, SPD und Grüne fordern eine schonungslose Aufklärung der Vorgänge. „Die Beamten haben ihr Augenmaß verloren. Sie wollen auf jeden Fall abschieben, egal mit welchen Mitteln“, sagt Milenko Prtija, Mitglied im Ausländerbeirat und 2. Vorsitzender des Diaspora-Rates NRW. Es gehe ihm nicht darum, generell Abschiebungen zu verhindern, sondern ein würdiges Aufenthaltsende der Flüchtlinge mit „aufrechtem Gang“ zu ermöglichen.

Mit aufrechtem Gang konnte in den letzten Monaten niemand Ratingen verlassen. Erst jetzt kamen Details ans Licht, wie die Familie Beganovic mit ihren drei Kindern im Alter von neun, elf und dreizehn Jahren Anfang Oktober abgeschoben wurde. Einen Tag zuvor hatte ein Amtsarzt die hochschwangere Frau untersucht und war zu dem Schluss gekommen: „Eine Abschiebung kann zur Zeit nicht verantwortet werden.“ Die Ausländerbehörde, offensichtlich unzufrieden mit der ärztlichen Diagnose, lässt Frau Beganovic daraufhin nochmals von einem anderen Gynäkologen untersuchen um festzustellen, ob schon Wehen vorhanden seien. Das Ergebnis ist zu dem Zeitpunkt negativ – Frau Beganovic nimmt seit Wochen wehenhemmende Medikamente ein. Für die Behörde ist dies trotzdem das erhoffte Signal zur Abschiebung. Gegen ihren Willen wurden die Kinder in einem vergitterten Wagen zum Flughafen geschafft, zusammen mit den Eltern dann in den Flieger gesetzt. Kurz zuvor hatte die Bezirksregierung Düsseldorf dem Ausländeramt die Anweisung zur Abschiebung erteilt. Milenko Prtija hat deswegen gegen die Abteilungsleiterin der Bezirksregierung, Elke Bartels, Dienstaufsichtsbeschwerde eingelegt.

Bartels findet die Aktion „urkomisch.“ Sie habe sich nur ganz klar an die Anweisungen des Verwaltungsgerichts und der örtlichen Ausländerbehörde gehalten. „Wir funktionieren nur wie ein Reisebüro, ich buche die Flüge und organisiere die Rückführung“, sagt Bartels. Sie habe sogar im Gegenteil dafür geworben, die Familie nicht abzuschieben, bis alles geklärt sei. „Was da vor Ort im Ausländeramt passiert ist – keine Ahnung.“

Keine Ahnung vom Elend der Abgeschobenen schien auch die Ausländerbehörde in diesem Frühjahr zu haben. Sie wollte Familie Xhema abschieben, obwohl der Mann in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses lag. Kurz darauf sollte das Ehepaar Marinkovic abgeschoben werden, die suizidgefährdete und seit zehn Jahren psychologisch behandelte Frau erlitt beim Packen der Koffer am Tag vor der Abreise einen lebensgefährlichen Nervenzusammenbruch. Das letzte Drama spielte sich vergangene Woche ab, als erneut eine Romafamilie nach Serbien-Montenegro deportiert wurde, obwohl die Mutter gerade operiert und auf ärztliche Nachsorge angewiesen war.

Die Stadt möchte sich zu den Vorwürfen des Ausländerbeirates und SPD und Grünen nicht äußern. „Das ist ein schwebendes Verfahren,“ sagt Sprecherin Silvia Schuster. Den Vorwürfen werde aber nachgegangen, versichert sie. Der neue Bürgermeister Harald Birkenkamp (Bürger-Union) wolle die Aufklärung zur Chefsache machen.

ANNIKA JOERES

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