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SÜDWEST-CDU: DIE MITGLIEDERBEFRAGUNG GEFÄHRDET AUCH MERKELDie Basisdemokratisierung der Union

Politiker reden viel, wenn das Wochenende lang und sonst nichts los ist. Vor allem weniger bedeutende Volksvertreter nutzen diese nachrichtenarmen Tage gern, an denen jeder Furz gesendet und gedruckt wird. Noch am vorletzten Wochenende wären auch die sonntäglichen Äußerungen einer baden-württembergischen Kultusministerin zur Lage der Union in diese Kategorie gefallen: Kurz mal hinhören. Die K-Frage per Mitgliederbefragung entscheiden? Aha, soso, sehr interessant, gleichwohl nicht weiter wichtig, also schnell vergessen. Nun aber, seit ihrer Bewerbung um das Amt der Regierungschefin, ist Annette Schavan in die Klasse der Big Player aufgerückt. Und das weiß sie. So trickreich und kühl kalkulierend, wie Schavan bisher vorgegangen ist, darf man davon ausgehen, dass sie sich jeden Satz genau überlegt, den sie zur öffentlichen Bekanntmachung freigibt. Ihr gestriges Bild-am-Sonntag-Interview zeigt: Sie kämpft ohne Rücksicht auf Verluste. Schavans Strategie ist riskant – für sie selbst, aber mehr noch für CDU-Chefin Angela Merkel.

Um Baden-Württemberg geht es jetzt nur noch in zweiter Linie, wenn die christdemokratischen Parteimitglieder im Ländle zwischen Schavan und ihrem Gegenkandidaten Günther Oettinger entscheiden. Dieses Duell ist ein Vorkampf, was sich schon im bewusst gewählten Termin ausdrückt: Der Sieger oder die Siegerin wird direkt vor dem CDU-Bundesparteitag Anfang Dezember gekürt. Und sosehr sich Merkel auch um Äquidistanz zu beiden Kandidaten bemühen wird – alle wissen: Schavan ist Merkels Favoritin. Was Schavan sagt, wird daher stets als Äußerung aus dem „Merkel-Lager“ verbucht – so auch ihre Bekundung, es spreche nichts dagegen, nach dem baden-württembergischen Vorbild auch die Kanzlerkandidatur der Union durch eine Mitgliederbefragung zu klären. Nur: Das ist kein x-beliebiger Vorschlag. Das wird, natürlich, als Angriff auf die CSU verstanden. Es ist der verklausulierte Hinweis: Wir, die CDU, sind stärker, Edmund Stoiber soll endlich Ruhe geben. Denn wen würde die Unionsbasis, von der die Bayern nur ein kleiner Teil sind, wohl wählen?

So vorteilhaft sie für Merkel und Schavan zu sein scheint: Die Basisdemokratisierung der Union birgt auch Gefahren. „Es ist gut, wenn wichtige Entscheidungen nicht in kleinen Zirkeln fallen“ – an diesen schönen Satz Schavans wird man erinnern, wenn Merkel den nächsten Bundespräsidenten ausklüngeln möchte. Außerdem passt die demonstrative Hinwendung zur „Basis“ nicht zum sturen Nein der CDU zu Volksentscheiden. Daran wird die CSU erinnern. Und zwar bald. LUKAS WALLRAFF

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