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Ein sehr leises Ja

Seit zwei Wochen streiken die Studierenden der Technischen Universität – gegen Kürzungen. Die einen glauben an ihre Macht, an einen Sieg. Die anderen haben vom Streik fast nichts mitbekommen

von RUDI NOVOTNY

Der Weg zur studentischen Zukunft ist mit großen grauen Steinen gepflastert – und mit Gleichgültigkeit. Nein, wo die Villa des Asta sei, das wisse sie nicht, sagt freundlich eine Studentin mit Brille. Sie holt einen Plan aus ihrem Rucksack: „Hmm, das müsste gleich hier um die Ecke sein. Ich war aber noch nie da.“

Die Villa ist wirklich um die Ecke. Weiß geklinkert steht sie da, mitten auf dem Campus der Technischen Universität, direkt hinter dem Mathe-Gebäude. Im zweiten Stock steht Jerome. Hier ist das Streikkoordinationsbüro, Jerome ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Streikkordination. Die AG hat zehn Leute, nicht alle sind im Asta, aber die gewählte Studentenvertretung hat ihnen Räume und die Logistik gestellt, um den Streik zu koordinieren.

Jerome hat hier übernachtet. Bis vier Uhr morgens hatte er Flyer gebastelt, irgendwann davor noch eine Flasche „Bären Met“ getrunken. Jetzt hat er Schatten um die Augen. Aber Jerome lässt sich nichts anmerken. Mit einer fahrigen Bewegung streicht er sich durch die Haare. „Wir machen weiter, solange die Stimmung noch gut ist.“ Vielleicht ist es besser, ihm nichts von der freundlichen Studentin mit der Brille zu sagen.

Im Büro hängt der säuerliche Geruch von Vollkornbrot und altem Bier. Auf einem Tisch liegt ein Haufen Lebensmittel. Daneben stehen stehen zwei alte Sofas. Es gibt auch Schreibtische mit Computern und alten roten Telefonen drauf. Die sehen ein bisschen so aus, wie die, an denen US-Präsidenten in alten Filmen über den Atomkrieg entscheiden. Diesmal entscheiden die Telefone über Sieg oder Niederlage des Streiks. „Hier laufen die Infos über die geplanten Aktionen rein“, sagt Jerome, „aber den wirklichen Überblick hat keiner. Sonst gibt es wieder so eine hierarchische Struktur.“

Zu dem Büro führt ein langer, heller Gang. An den Wänden hängen Zettel. Es sind Ausschnitte aus Zeitungen, sie erzählen die Geschichte des mittlerweile fast zweiwöchigen Streiks. Sie sehen aus wie Urkunden. „Wir waren fast jeden Tag im Berliner Fenster“, in Jeromes Stimme schwingt Stolz. Ein Student neben ihm schnaubt kurz: „Aber das Berliner Fenster ist vom Kurier.“ Jerome lächelt: „Aber das heißt immerhin, dass man zu den drei wichtigsten Schlagzeilen dieser Zeitung gehört.“ – „Ja, und ihre Hauptschlagzeile war: ‚Schluck, das Bier wird teurer‘.“ Jerome lächelt nicht mehr.

Später, als er auf dem Balkon nervös an seiner Zigarette zieht, sagt er: „Es läuft bisher ganz gut. Es finden viele kreative und auch öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen statt. Die Fakultäten werden langsam aktiv.“ Er sagt das alles sehr schnell. Vielleicht ahnt er was von der freundlichen Studentin mit der Brille.

Im Foyer des TU-Hauptgebäudes steht der Streik-Infopoint. Auf mehreren Tischen liegen Flyer, Broschüren und Unterschriftenlisten. Hinter den Tischen stehen Conrad und Franzi, beide Erstsemester. Jeden Tag von 7 bis um 19 Uhr stehen sie hier. Seit der Streik begonnen hat. Conrad ist sauer: „Die Studenten kriegen einfach nicht ihren Arsch hoch. Die glauben nicht an ihre Macht.“ Er kratzt sich den hellen Kinnbart. Dann legt er ein Blatt auf den Boden und schreibt mit einem roten Filzstift „WER WILL“ drauf. Es soll eine Mailingliste werden. „Wir werden diesen Streik gewinnen. Und wir kriegen noch mehr Geld. 50 Millionen.“ Entschlossen reißt er ein Stück Tesa von der Rolle. „Es wird sein wie 1997. Keine Studiengebühren, keine Kürzung und mehr Mitbestimmung.“ Franzi steht in einem zerfransten Mantel daneben und schaut ihm zu. Glaubt sie auch an den Sieg? Sie zögert lange. Dann sagt sie „Ja.“ Ein sehr leises Ja.

Kurz darauf sitzen zwanzig Erstsemester in einem U-Bahn-Waggon Richtung Pankow. Vorne steht ihr Mathematikdozent, den alle nur Marco nennen. Er hält eine öffentliche Vorlesung in Analysis 1. Einer der Kursteilnehmer verteilt Flugblätter. Der Zug quietscht. Marco hat die Hände zu einem Trichter geformt und brüllt etwas von Grenzwerten und Wurzeln durch den Gang: „… und hier mache ich jetzt meinen wundervollen Kreis auf.“ Hinter ihm brüllt eine blondierte Frau: „Äh Pille, du bist ’n Ferkel. Mach den Popel da weg. So kriegst du nie ne Freundin.“ Dann schreit ihr Kind. Marco schreit noch ein bisschen lauter.

Irgendwann geht die Tür auf, und ein Obdachloser stellt sich in den Gang. Um die Beine schlackert eine Jeans, die früher mal dunkelblau gewesen sein muss. Er verkauft eine Straßenzeitung. Das sagt er auch. Lauter als Marco. Der sagt gar nichts mehr, sondern schaut ihn still an. „Es geht um den Mittelstand! Deutschland ist vor dem Aus“, ruft der wankende Zeitungshändler. „Und alle sitzen hier nur rum.“ Am Ende des Ganges dreht er sich um. Einen Augenblick ist es sehr still. „Ich weiß gar nicht, wo ich hier reingeplatzt bin.“ Die Studenten fangen an zu lachen.

Die U-Bahn rattert weiter Richtung Pankow. Zwei Kontrolleure steigen ein. Für einen kurzen Augenblick wirken sie etwas irritiert. Ein Student steht auf und gibt einem der beiden ein Flugblatt: „Wir müssen unsere Vorlesungen in der U-Bahn halten, weil die Seminare so überfüllt sind.“ Der Kontrolleur runzelt die Stirn: „Aber wieso streiken Sie dann nicht?“

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