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„Störgeräusche müssen sein“

Wer als Manager erfolgreich sein will, sagt Michael Loebbert, muss gute Geschichten erzählen.Ein Gespräch mit dem Autor eines der ersten deutschen Bücher zum Thema Storymanagement

Interview KOLJA MENSING

taz: Herr Loebbert, der Wirtschaft geht es nicht besonders gut. Warum sollten Manager ausgerechnet lernen, Geschichten zu erzählen?

Michael Loebbert: Unternehmen werden heute fast nur mit Zahlen geführt. Bereits vor drei, vier Jahren, als ich mit der Arbeit an meinem Buch angefangen habe, war schon absehbar, dass diese reine Zahlensteuerung auf Dauer nicht funktioniert: Die unternehmerischen Ideen und Wertvorstellungen kommen zu kurz. Ich habe mich dann damit beschäftigt, was Manager, die langfristig erfolgreich sind, eigentlich anders machen. Mein Eindruck war, dass gute Manager ihren Mitarbeitern, Kunden und Geldgebern das Gefühl geben, in einer wichtigen Geschichte mitzuspielen – quasi die Hauptpersonen von bedeutsamen Geschichten zu sein.

Storymanagement heißt demnach …

… dass die Geschichten, die gewissermaßen das Fundament jedes Unternehmens bilden, für alle Beteiligten wirklich überzeugend und attraktiv sind.

Sie arbeiten als Unternehmensberater. Was sagen Ihre Kunden zu dieser Methode?

Ich halte meinen Kunden natürlich keine Vorträge über Storymanagement, sondern halte sie dazu an, Geschichten zu erzählen beziehungsweise sich mit ihren eigenen Geschichten zu beschäftigen.

Ein Beispiel?

Ich musste den Fusionsprozess zweier Unternehmen begleiten. Die frühere Geschäftsleitung des einen Unternehmens und die neue Geschäftsleitung saßen in einem Strategieworkshop zusammen und haben gemerkt, dass sie nicht dieselbe Sprache sprechen. Also habe ich die Manager gebeten, Geschichten aus ihren Unternehmen zu erzählen, die für sie besonders wichtig waren. Wie wird mit Kunden umgegangen, wie verhält man sich zu Fehlern, wie werden aus Ideen Produkte. Das hat funktioniert – diese Geschichten waren auch für die jeweils andere Seite überzeugend. Und plötzlich haben die Beteiligten gemerkt, dass sie relativ leicht gemeinsame Muster finden können, die für ein neues Unternehmen gültig sein können.

Sie schreiben zu Beginn Ihres Buches: „Die poetische Kompetenz von Menschen, die in Organisationen Zwecke realisieren, wird vorausgesetzt.“ Machen Sie es sich da nicht etwas leicht?

Die poetische Kompetenz besteht in zwei Dingen. Einmal ist es die Kompetenz, sich in Unternehmen und Organisationen zu bewegen, Geschichten zu erzählen und auch selbst zu gestalten. Darüber hinaus ist es die Kompetenz, diese Geschichten auch poetisch gut, also interessant und unterhaltsam zu erzählen.

Und das kann wirklich jeder?

Gute Geschichten zu erzählen, ist sicher eine Gabe. In unseren normalen Arbeitszusammenhängen braucht es in der Regel jedoch weniger poetische Kunst, sondern eher die Fähigkeit, relativ einfache Handlungsstränge zu verfolgen. Eigentlich geht es um eine gewisse Naivität – die Naivität, das Leben einfach als Erzählung zu nehmen.

Was ist denn nun genau eine „gute Geschichte“?

Eine gute Geschichte, das weiß jeder, muss spannend sein. Sie muss mich fesseln, und ich möchte mich mit Personen in dieser Geschichte identifizieren. Sie soll Botschaften kommunizieren, die auch für mein Leben wichtig sind. Letztlich sind gute Geschichten die Geschichten, mit denen ich meine Welt oder mein Leben als sinnvoll erfahre.

Ganz so einfach ist es doch nicht. Während des Börsenbooms haben viele Anleger schmerzhaft lernen müssen, dass Unternehmer wie Thomas Haffa von EM.TV verdammt gute Geschichten erzählen können. Am Ende sind die Aktienkurse trotzdem ins Bodenlose gefallen.

Unternehmensgeschichten brauchen eine Basis in der Realität. Spin-Geschichten, wie Sie sie erwähnen, sind ganz einfach nicht sauber überprüft worden. Eine Geschichte, die zwar spannend ist, der allerdings die realen Grundlagen fehlen, ist schlicht eine Lügengeschichte. Geschichten müssen sich bewähren.

Sie erwähnen an einer Stelle die Firma Nike, die ihren Kunden das Gefühl vermitteln will, dass jeder Mensch ein Sieger ist. Das ist eigentlich eine gute Geschichte, die man auch gerne glauben möchte. Dann jedoch hat sich herausgestellt, dass Nike seine Turnschuhe in der Dritten Welt zusammennähen lässt – von Menschen, die sich kaum als Sieger fühlen dürften.

Das ist das Problem von Nike, genau. Und soweit ich die Managemententscheidungen aus den letzten Jahren kenne, arbeitet Nike an diesem Problem …

um ihre wohlklingende Geschichte von diesen Störgeräusche zu befreien?

Ich denke, die Störgeräusche gehören dazu. Zu glatte Antworten sind der Realität auch nicht angemessen. Die Herausforderung für ein Unternehmen besteht darin, Geschichten so zu erzählen, dass sie möglichst glaubwürdig sind. Die Produktionsstandards von Nike gingen ja durch alle Medien, und es war insofern eine interessante und meine Thesen unterstützende Reaktion der Geschäftsführung, gerade diese Standards weltweit zu erhöhen – um gerade mit der Geschichte „Jeder ist ein Sieger“ glaubwürdiger zu werden.

Letztlich setzten sich Ihrer Meinung nach also die Geschichten durch, die im ethischen Sinne „gut“ sind. Sie sind ein Optimist!

Nein. Ich würde eher sagen, dass ich versuche, eine realistische Beschreibung zu geben: Geschichten, die auf Dauer nicht überzeugen, fallen in sich zusammen, auch wenn es natürlich Möglichkeiten gibt, sie mit viel Energie und Geld aufrechtzuerhalten. Das ist das Thema der Firma Nike genauso wie der Firma Nestlé, der Atomindustrie oder der Automobilindustrie. Ob das nun tatsächlich zur Folge hat, dass langfristig die Geschichten immer besser werden, das vermag ich nicht zu entscheiden.

Wenn man sich in den Wirtschaftsabteilungen der Buchhandlungen umsieht, entdeckt man Businessromane und vor allem zahlreiche Autobiografien von erfolgreichen Unternehmern. Ist das auch ein Teil des Storymanagements?

Hier wird tatsächlich eine explizit narrative Form genutzt, um den Sinn von Unternehmen zu vermitteln. Das Interessante ist ja, dass diese Romane oder Biografien nicht nur als Angebot für die Mitarbeiter und Kunden eines Unternehmens funktionieren. Jack Welch von General Electric zum Beispiel erzielt Millionenauflagen mit seinen Büchern. Die Wirkung in die Gesellschaft hinein ist also sehr stark. Vielleicht ist das paradigmatisch – und diese Unternehmer sind so etwas wie moderne Helden …

und ihre Bücher die Abenteuerromane unserer Zeit. Warum werden wirtschaftliche Zusammenhänge plötzlich so interessant?

Die Wirtschaft ist ein wesentlicher Teil unseres Lebens. Und ich denke, dass heute im Vergleich zu einer Zeit vor 20 Jahren die Wirtschaft eine Art Spielfeld geworden ist, auf dem viele Dinge ausprobiert werden, die eigentlich in andere Felder gehören.

Sie sind doch ein Optimist! Warum sollte ausgerechnet die Wirtschaft der innovativste Bereich der Gesellschaft sein? Was ist mit Bildung? Kultur?

In Wirtschaftsunternehmen gibt es wie nirgendwo sonst eine starke Tendenz, andere Lebensbereiche mit einzubeziehen und zu integrieren: Kunst, Bildung, aber auch politisches Denken und gesellschaftliches Engagement. Unternehmen erzeugen einen Nutzen, für den andere wiederum bereit sind, zu bezahlen – und das erlaubt schnelle Rückkopplungen und auch schnelle Kritik von dem, was tatsächlich machbar und sinnvoll ist.

Zum Beispiel?

Nehmen wir mal die Frage nach umweltverträglichen Lebensweisen. Die ökologiekritischen Bürgerinitiativen haben sich sehr lange damit aufgehalten, den Finger in Wunden zu legen, die sicher da sind. Die eigentlich konstruktiven neuen Lebensentwürfe kamen oder kommen zum großen Teil aus Unternehmen, in denen tatsächliche Dinge im großen Zusammenhang ausgedacht und erprobt worden sind. Ich denke an die Wasserstofftechnik oder die Nutzung von Solarenergie. Man könnte aber auch soziale Experimente wie Genossenschaften, Eigentumsteilungen oder Mitbeiligungen nennen – bis zu heute vielleicht sehr schmerzhaften Erfahrungen mit Lohnsystemen, die mit hohen Erfolgsanteilen operieren. Da mag vieles danebengehen. Nur: Man probiert es eben aus und versucht, daraus zu lernen.

Stichwort Lernfähigkeit: Lässt sich das Modell des Storymanagements auch auf die Volkswirtschaft übertragen?

Der Gedanke ist verlockend. Aber solche Makrogeschichten haben natürlich den Nachteil, dass sie sehr schnell sehr allgemein werden – weil sie nicht mit wirklichen Handlungssubjekten zu tun haben.

Lassen Sie es uns zum Abschluss trotzdem einmal versuchen. Nehmen wir die Agenda 2010 und den so genannten Reformprozess. Wird uns da eine „gute Geschichte“ erzählt?

Spannend ist sie auf jeden Fall – allein schon deshalb, weil sehr viele Widerstände und Hemmnisse zu überwinden sind, damit diese Geschichte sich tatsächlich realisieren kann …

und unterhaltsam ist sie ja in einem gewissen Grad auch. Der Erzähler dieser Geschichte ist Gerhard Schröder. Aber er ist natürlich als Bundeskanzler auch Teil dieser Geschichte. Spielt er seine Rolle gut?

Da wird es schon schwieriger. Ist Schröder als Hauptperson in der Lage, diese Geschichte tatsächlich angemessen darzustellen? Hier müssten wahrscheinlich die ersten kritischen Anmerkungen einsetzen. Ist es für eine Hauptperson zum Beispiel richtig, mit dem Rücktritt zu drohen, also damit, sich einfach aus der Geschichte auszuklinken? Schröder hat das in diesem Herbst bereits gemacht – und das, obwohl seine Geschichte in Hinsicht auf das mit der Agenda angepeilte Jahr 2010 ja noch am Anfang steht.

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