: Stille Tage in Czepreg
Im Grenzgebiet zu Österreich bietet Ungarn Heilquellen, stille Fahrradpisten und Natur abseits der Touristenströme. Mal erinnert die Landschaft an die waldreiche Einsamkeit Schwedens, mal an die Felderlandschaft in Brandenburg. Nur ein paar Autos überholen Radtouristen
Beim Fotografieren kommen Zweifel: Ob es richtig ist, einen alten Mann mit seinem heubeladenen Pferdegespann zu knipsen? Oder die Kinder, die ihren betrunkenen Vater von der Dorfkneipe mit dem Handwagen nach Hause fahren? Die Hand am Abzug verharrt und durch den Sucher sieht man das Motiv langsam aus dem Blickfeld verschwinden. Stattdessen erscheint die rosengesäumte Dorfstraße. Auch das ist allemal ein Foto wert.
Eine stille Randlage ist die Gegend östlich vom österreichischen Burgenland, rund 120 Kilometer von Wien entfernt. Die Dörfer heißen Tömörd, Kiszidany und Csepreg. Viele frisch renovierte Häuser zeugen von der Grenzgegend, in der es es ungarische Pendler zum Arbeiten nach Österreich treibt. Kein Wunder bei umgerechnet 200 Euro monatlichem Durchschnittslohn in Ungarn.
Lorenz Lindenegger vom Landhotel Öreg Malom, was übersetzt „Alte Mühle“ bedeutet, seufzt denn auch. „Personal zu finden ist sehr schwierig.“ Seit einem halben Jahr managt er die Alte Mühle, eine gemütlich ausgebaute Scheune mit Apartments sowie das Gasthaus. Ein Hauch Toskana-Gefühl entsteht, wenn man abends auf der lauschigen Terrasse sitzt, einen Schoppen des hervorragenden ungarischen Blaufränkischen genießt und die Grillen zirpen hört.
Tagsüber lässt sich die Gegend am besten mit dem Fahrrad erkunden. Ein Ausflug in das nächstgrößere Städtchen Köszeg bringt rund 30 Kilometer auf den Tacho. Über Berg und Tal, vorbei an Feldern und Wäldern geht die Fahrt. Mal erinnert die Landschaft an die waldreiche Einsamkeit Schwedens, mal an die Felderlandschaft in Brandenburg. Nur ein paar Autos überholen die Radler sorgfältig, sonst ist man mit sich und der glatt geteerten Straße allein. 129 Kilometer sind es bis zum Plattensee, verrät ein Wegweiser für Fahrradfahrer.
Das malerische Stadtbild Köszegs stammt noch zu großen Teilen aus dem 18. Jahrhundert, inklusive einer Burg, deren Turm man besteigen darf. Von oben schaut man auf das Günser-Gebirge, das zur Hälfte schon in Österreich liegt. Im Hof wartet ein ritterlich verkleideter Student darauf, dass Gäste Bogenschießen üben wollen. Fünf Schuss kosten 250 Forint, ungefähr einen Euro. Geduldig erklärt er auf Ungarisch, wie der Bogen gespannt werden muss und wohin der Pfeil gehört. Weil man kein Wort verstanden hat, knallt denn auch beim ersten Versuch die rechte Hand beim Rückstoß so heftig gegen den Kopf, dass die richtige Haltung beim Schießen wohl ein Leben lang in Erinnerung bleiben wird. Und gleichfalls die Erfahrung, dass viele junge Ungarn im Grenzgebiet kein Deutsch sprechen.
An einem regnerischen Tag schiebt sich die nahe gelegene Therme in Bad Bük ins Visier. Das Wasser ist berühmt für seine Heilkräfte bei Krankheiten wie etwa Rheuma und Bronchitis, weshalb das Publikum vor allem aus älteren Leuten und Familien besteht. Den Umbau der Therme hat sich der Kurort ein paar Millionen Euro kosten lassen, in der Hoffnung, die Österreicher und Deutschen auch in Zukunft mit günstigem Heilbaden locken zu können.
Der 34-jährige Hotelmanager Lindenegger geht in seiner Freizeit lieber Golf spielen. Seit vor drei Jahren ein neuer 18-Loch-Platz den Ortsrand von Bük ziert, verbessert er hier in aller Einsamkeit sein Handicap. „Hier kannst du Stunden an einem Loch üben, und es gibt keinen hinter dir“, schwärmt er. Das findet der Birdland-Golfclub natürlich gar nicht lustig, aber die Zukunft stimmt hoffnungsvoll. Soeben hat am Rande des Golfplatzes ein Radisson-Hotel eröffnet mit 200 Zimmern und einer eigenen Therme. Vis à vis entsteht bis Mitte 2005 eine Wohnanlage mit 250 Apartments. Dort sollen einmal Golfspieler und Heilwasserbegeisterte Ferien machen.
Hotels wachsen rund um die Heilquellen wie Pilze aus dem Boden. Soeben hat ein neues Danubius-Hotel eröffnet. „Dort zahlt man 13 Euro die Nacht mit Halbpension“, empört sich Lindenegger. Das sei billiger, als wenn man zu Hause wohne. Immerhin bietet auch er fünf Tage Übernachtung inklusive täglichem Golfunterricht für 390 Euro an. Denn genau das ist es, weshalb Touristen über die Grenze fahren. Sie wollen sparen. Billig essen gehen für vier Euro, Bier trinken für einen Euro oder Brötchen essen für fünf Cent. Und Toskana-Gefühl zum Ungarnpreis.
CHRISTINE BERGER
Romantik-Hotel Alte Mühle, Postfach 25, 9735 Csepreg bei Bük/Ungarn, Tel. (00 36 94) 3 65-5 04/5 05 Fax: (00 36 94) 3 65-0 93, E-Mail: lichtenegger@altemuehle.hu, www.romantikhotels.com, www.buk.hu, www.ungarn-tourismus.de. Flüge gibt es ab 150 Euro, inkl. Taxi nach Wien. Von Wien fährt dreimal in der Woche ein klimatisierter Fernreisebus nach Bük, Kosten: 34 Euro/Person
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen