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Strategen mit zwei Gesichtern

Freiheit in der Kunst? Sie wird in Moskau heute mit einem hoffnungslosen und braven Nebeneinander unterschiedlichster Stile und Konzepte vorgespielt. Dem Kniefall vor dem Kapital gehört das größte Feld, zeitgenössische Werke finden nur kleine Nischen. Kuratorenstreit beherrscht die Kunstszene

Galerien sind in Wohnhäusern versteckt, kein Zugang ohne KlingelcodeDie Ausbildung endet oft im 19. Jahrhundert, und doch boomt die Kunstmesse wie nie

VON MEIKE JANSEN

In wenigen Wochen geht ein nie gewesener kultureller Austauschmarathon zwischen Deutschland und Russland zu Ende. Von der German Brass Band in Nowosibirsk über Popkonzerte der Gruppe Mia in Tomsk oder „100 Bücher 100 junger deutscher Autoren“ in Samara reichte das deutsche Angebot während der zweijährigen deutsch-russischen Kulturbegegnungen.

Die bildende Kunst hat in dieser Zeit ihr Zentrum in Moskau gefunden. Ein informatives Bild der aktuellen russischen Kunst vermittelte hierzulande vor allem „Ha Kypopt! Auf in den Kurort!“ in der Kunsthalle Baden-Baden. Der Überblick über Malerei, Fotografie oder inszenierte Räume wurde durch einen Schwerpunkt ergänzt, der noch einmal der Bedeutung der Performance Rechnung trug. Zwar fand der Höhepunkt der aktionistischen Auseinandersetzungen eher zu Zeiten der Perestroika statt, doch noch heute überzeugt das Genre in seiner besonderen, sehr intensiven Beschäftigung mit dem Körper, dem damals den KünstlerInnen am leichtesten verfügbaren Material. Die meisten der teilnehmenden KünstlerInnen leben allerdings nicht mehr in Moskau. Was aber passiert dort?

Ein Galerienrundgang in der 10-Millionen-Metropole droht schon am Versuch zu scheitern, eine der zahlreichen sechsspurigen Straßen zu überqueren. Im Autobahntempo preschen die Autos nur wenige Zentimeter an einem vorbei. Besser, man nimmt den Umweg durch die „nächstliegende“ Unterführung auf die andere Seite. Nur läuft man ohnehin Gefahr, die Galerie nicht zu finden. Das passiert häufig, denn die Schauräume sind meist versteckt in Wohnhäusern untergebracht, zu denen man ohne Klingelcode keinen Zutritt erhält.

So auch bei der Galerie S’art, als Kurzform für „social art“ – Soziale Kunst. Später berichtet Pavel alias Micky Mouse, ehemaliges Mitglied der einst radikalen und heute im herkömmlichen Kunstrummel agierenden Gruppe Radek, verächtlich von der letzten Ausstellung dort. In seinen Augen bedeutet Kunst eben ganz konkret gesellschaftskritisches Verweisen und nicht Marktproduktion. So inszenierte Pavel etwa eine Ausstellung mitten im Kiez, in einem der Stadtwäldchen. Alles andere wäre offizielle Kunst, ein Begriff, der an vergangene Sowjetzeiten anknüpft und heute wie damals für die deutliche Orientierung an der Regierungslinie steht. Und das bedeutet in Moskau heute ganz klar den Kniefall vor dem Kapital.

In einer Stadt, in der die Ausbildung an den Kunstakademien spätestens mit dem mittleren 19. Jahrhundert endet und es jenseits eines Salons in einer privaten WG, eines Radek-nahen Projektraums und des nur im Sommer bespielten Projektraums Spider & Mouse keinen Ort gibt, wo sich junge KünstlerInnen ungeniert ausprobieren können, ist es schwierig, junge Kunst zu entdecken, die mit der des Westens nicht nahezu identisch ist. Nichts, was jenseits der international agierenden Galerien gezeigt wird, mag so recht überraschen. Zu diesem engen Kreis gehören die Galerien Aidan, regina und XL sowie die Galerie von Marat Guelman, selbst Grenzgänger zwischen den offiziellen Welten. Der Galerist nennt sich selbst einen Zweigesichtigen, einen Janus, der den Dialog mit den Mächtigen sucht. Mal als Chef des Wahlkampfstabs der „Union der rechten Kräfte“, bald für Putin, dann als reformwilliger Leiter des russischen Ersten Kanals aktiv, ist er nun ausschließlich in Sachen Kunst unterwegs. In seiner Galerie sieht man Einzelausstellungen mit den modernen Radeks oder dem KünstlerInnentrio AES, das vor allem in New York angesagt ist und nicht ganz unmissverständliche visuelle Spielereien mit der „Islamisierung der Welt“ betreibt. Zudem vertritt er eine unüberschaubare Anzahl von KünstlerInnen, die sich oft mit denen der anderen Galerien überschneiden. Man zieht ja ohnehin am gleichen Strang.

Sonst sind in Moskau noch eine Hand voll KuratorInnen wie etwa Georgy Nikitsch präsent. Jeden Sommer organisiert der Vierzigjährige eine Saisonrückschau. Das jährlich wechselnde Leitmotiv in diesem Jahr: Paradies. Und während in einem Teil der „Malik Manege“ eine kondensierte Version der Baden-Badener Ausstellung zu sehen war, in einer – so Nikitsch – europäischen, den Kunstobjekten Raum lassenden Präsentation, wurde nebenan die Kunst mit Füßen getreten. Ganz im Moskauer Stil. Filme russischer KünstlerInnen, wie etwa der Konzeptkünstlerin Natalia Abalakowo, wurden auf den Boden projiziert. Dahinter ein hoffnungsloses Ineinandergreifen von figurativer wie abstrakter Malerei, von kinetischen, performativen oder statischen Installationen, von Fotografie und Environments. Schnell wurde deutlich, dass den KünstlerInnen wie den Objekten die Freiheit zur Entfaltung nur scheinbar eingeräumt wurde, denn am Ende lassen sich nur brave künstlerische Positionen entdecken, die sich nicht zu Aussagen über russische Politik und Gesellschaft aufraffen.

Überhaupt scheinen die KuratorInnen die Moskauer Szene zu beherrschen. Zumindest in den Schlagzeilen. So beschäftigte die Entlassung Wiktor Misianos als einer der Kuratoren der ersten Moskau Biennale die „Tussowskas“, die Szenen also. Neben der „Moskau–Berlin“-Ausstellung zeigt sich Misiano für die Ausrichtung des russischen Pavillons auf der Venedig Biennale verantwortlich und gibt das einzige intellektuelle Kunstmagazin Russlands, das Moscow Art Magazin heraus. Dabei soll er, glaubt man einem Schreiben von Joseph Backsteijn, dem Leiter des Institute of Comtemporary Art, ein nicht teamfähiger Verhinderer und Lügner sein. Die beiden hatten gemeinsam den Grundstein zur Biennale gelegt. Doch dann wandte sich Backsteijn mit einem Beschwerdebrief an das Ministerium für Kultur und Information, ohne zuvor mit Misiano zu sprechen. KünstlerInnen bezeugten zwar die Aussagen Backsteijns, doch der Streit bleibt undurchsichtig.

Backsteijns Institut, das ehemalige Soros Institut, bietet heute die einzige Ausbildung in zeitgenössischer Kunst. Für 200 US-Dollar können hier KünstlerInnen ein halbes Jahr Workshops und Vorträge besuchen. Am Ende des Kurses steht nicht nur eine Gruppenausstellung im eigenen Schauraum, sondern auch eine Präsentation auf der „Art Moscow“, der russischen Kunstmesse, die boomt wie nie zuvor. Da kann sich schon einiges mit den Ansichten eines Intellektuellen wie Misiano beißen. Herrschen aber, das kann über die Moskau Biennale nur einer.

Im musealen Kontext gilt es noch Andre Jerofejew hervorzuheben, der in der neuen Tretjakow-Galerie seine eigene Sammlung verwaltet und einen Projektraum betreibt, den der Düsseldorfer Lichtkünstlers Mischa Kuball ermöglichte. Dieser sammelte in Deutschland Geld und installierte Jerofejew die ersehnte Nische für zeitgenössische Werke in dem staatlichen Museum. Schließlich gibt es noch eine staatliche Galerie, das National Center for Contemporary Art, der wohl atmosphärischste Ausstellungsort Moskaus. In dem großen Dachgeschoss sind vor allem raumgreifende Videoinstallationen zu sehen wie etwa die von Olga Kisselowa. Hierfür vermischt sie Bilder, die sie am 11. September 2001 in Afghanistan und wenig später in Straßburg aufnahm, auf einer speziellen Projektionswand, auf der beide Motive gleichzeitig erkennbar werden und sich die Sichtweisen ergänzen. Sie selbst lebt und arbeitet in Paris und St. Petersburg. Moskau? Nein, hier ist sie nicht zu Hause.

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